Alles Hipster: Immer mehr Politiker tragen Nerd-Brillen
Großes Modell, großer Typ: Immer mehr Politiker wollen mit Nerd-Brillen ihr Image verändern. Jüngstes Beispiel ist Ex-Bundespräsident Wulff. Am konsequentesten aber ist CSU-Generalsekretär Dobrindt
Die CSU hat einen neuen Generalsekretär. Der alte war pausbäckig und sah oft müde aus mit seinen kleinen Augen; er trug keine Brille, aber dunkle Anzüge mit hellen Hemden darunter. Bayrisch-bieder. Der neue könnte auch einem Modekatalog entlaufen sein – mit den braunen, eckigen Schuhen und der anthrazitfarbenen Krawatte zum eng geschnittenen knallblauen Anzug. Und diese Brille erst. Schwer und groß und dick umrandet. Sie trägt wohl am meisten dazu bei, dass man ihn kaum wiedererkennt, den neuen und alten CSU-Generalsekretär.
Alexander Dobrindt hat sich von jetzt auf gleich komplett überholt, was durchaus als Ansage an alle anderen interpretiert werden darf. Hier bin ich, frisch, dynamisch, voller Tatendrang! „Gerade Brillen können Menschen optisch radikal verändern. Und das ad-hoc“, sagt Ralph Anderl, der in Berlin als Brillendesigner tätig ist und natürlich schon mitbekommen hat, dass immer mehr Politiker plötzlich neue Gestelle ausführen: die sogenannten Nerd-Brillen. Große Gläser, dicke, dunkle Rahmen, breite Bügel.
Keine drei Jahre ist es her, da waren auch bei den wichtigsten Männern des Landes noch schlichte, randlose Brillen angesagt. Frank-Walter Steinmeier, der SPD-Fraktionschef, wechselte dann als einer der Ersten von konturlos zu Horn – allerdings in Form einer sehr gemäßigten Variante, mit verhältnismäßig dünnem schwarzen Rahmen. Guido Westerwelle, Norbert Röttgen, Frank Schäffler, Alexander Dobrindt und noch ein paar mehr taten es ihm mit wuchtigeren Modellen nach.
Die Nerdbrille ist ein typisches Merkmal der "Hipster". Bilder von der diesjährigen Olympiade:
Zuletzt zeigte sich auch der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff im neuen Look. So dünn, ja beinahe hager wie er sonst wirkte, so dick und groß ist seine neue Brille, ebenfalls ein Nerd-Modell. Fünf Monate nach seinem Rücktritt trägt er sein neues Leben auch im Gesicht. „Christian Wulff will damit natürlich einen Neuanfang repräsentieren“, sagt Ralph Anderl.
Politiker ändern ihren Stil absichtlich.
Dass Typveränderungen einfach so, aus einer Laune heraus passieren, daran glaubt der Brillendesigner nicht: „Politiker verändern ihren Stil nicht aus Versehen. Die haben Berater, die Trends genau studieren und ihre Leute dann entsprechend einkleiden. Damit sie etwas signalisieren, ein Zeichen setzen.“ Das, wofür Kinder in der Schule gehänselt wurden (Streber! Klugscheißer!), steht heute für Selbstbewusstsein, Seriosität und Stärke. Es geht in der Politik um Profil und, was nicht umsonst davon abstammt, auch um Profilierung. „Mit den randlosen Brillen standen Politiker für Konturlosigkeit, jetzt hebt man sich ab, strahlt Entscheidungsfreude aus“, sagt der Brillenfachmann.
Politiker und ihr Kleidungsstil:
Neu erfunden haben die hohen Herren den Trend zur dicken, schwarzen freilich nicht. Henry Kissinger und Jürgen Wischnewski trugen schon vor einem halben Jahrhundert opulente Hornbrillen. Und Regisseur Woody Allen oder die griechische Sängerin Nana Mouskouri haben – zumindest gefühlt – nie etwas anderes getragen. Sie scheinen dem allgemeinen Wandlungswahn zu trotzen, ganz im Gegensatz zu einigen Politikern, die ihr Erscheinungsbild oft ändern. Haare nach hinten, Haare wieder nach vorne. Mit Krawatte, ohne. Brille auf, Brille ab. Alter Mensch, neuer Mensch. Als könnte man sich seine Sünden einfach so weggelen.
Ralph Anderl nennt es eine „Ebbe- und Flutbewegung“, die nicht nur die Politik erfasst. „Die Frequenz, in der die Menschen neuen Trends folgen, ist immer höher geworden“, sagt er lachend. „Ich könnte jetzt zum Beispiel auch argumentieren, dass dicke Brillenrahmen für Starrheit und Bewegungslosigkeit stehen. Vielleicht bewirkt das ja was.“
Tatsächlich sind CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und seine Politikerkollegen recht spät dran, tragen die Stars in Hollywood doch schon seit einigen Jahren ziemlich dick auf. Als echte Marke dürfte Mann mit Horn also kaum mehr durchgehen. Es braucht schon andere Alleinstellungsmerkmale. Kleiner Tipp: Ovale Brillen mit vielfarbigen Gläsern sollen gerade ganz groß im Kommen sein.