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Beschneidung
© AFP

Beschneidung: Im Glauben verletzt

Um die rituelle Beschneidung jüdischer Knaben ist Streit entbrannt. Juristen und Ärzte wollen sie verbieten, weil dafür keine medizinische Notwendigkeit besteht. Juden und Muslime sind empört.

Die rituelle Beschneidung der männlichen Vorhaut hat eine über 3000-jährige Tradition. Juden und Muslime berufen sich dabei gleichermaßen auf Gottes Aufforderung an Stammvater Abraham, „alles Männliche soll bei euch beschnitten werden“. Die Beschneidung von Knaben, medizinisch als Zirkumzision bezeichnet, ist in ihren Folgen überhaupt nicht zu vergleichen mit der weiblichen Genitalverstümmelung. Trotzdem ist sie in Deutschland und vor allem in Dänemark gerade wieder zum Thema für Politiker, Ärzte und Juristen geworden, die sie verhindert oder gar verboten wissen wollen.

Wie die in Berlin erscheinende „Jüdische Allgemeine“ berichtet, stoßen Angriffe auf die rituelle Beschneidung bei Vertretern jüdischer Gemeinden in Deutschland auf einhellige Empörung. „Die Beschneidung männlicher Nachkommen ist seit 3400 Jahren untrennbarer Bestandteil unseres Glaubens“, erklärte der Düsseldorfer Gemeinderabbiner Julian Chaim Soussan für die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland. Die jüdische „Brit Mila“, wie der Ritus heißt, findet traditionell noch vor dem achten Lebenstag statt. Wenn das in Dänemark nicht mehr möglich sei, könne eine Art Beschneidungstourismus die Folge sein, fürchtet Soussan. „Es erschüttert uns, dass Juden nur gut sechs Jahrzehnte nach der Schoah in einem westeuropäischen Staat ernsthaft darüber nachdenken müssen, ihre Heimat zu verlassen, um ihr Judentum frei praktizieren zu können.“

Traditionell ist für die rituelle Beschneidung im Judentum der sogenannte Mohel zuständig. Im „Deutschen Ärzteblatt“ beschäftigten sich kürzlich jedoch zwei Medizin- und ein Juraprofessor mit der Frage, wie Ärzte sich verhalten sollten, wenn Eltern den Wunsch nach einer Zirkumzision aus religiösen Gründen an sie herantragen. In den Augen der Wissenschaftler ein echtes Dilemma: Einerseits haben die Eltern das Sorgerecht für ihr Kind, auch in religiösen Angelegenheiten. „Andererseits wird von dem Arzt die Vornahme eines Eingriffs verlangt, für den keine medizinische Notwendigkeit besteht.“ Eines Eingriffs, der nach Ansicht der Autoren streng genommen als Körperverletzung gewertet werden könnte und der, wie jede Operation, nicht frei ist von Risiken und Nebenwirkungen. Für die Kinderchirurgen Maximilian Stehr und Hans -Georg Dietz vom Dr. von Hauner’schen Kinderspital der Uni München und den Strafrechtler Holm Putzke von der Uni Bochum ist deshalb klar: „Solange die Rechtslage gerichtlich nicht geklärt ist, sollte der Arzt die Vornahme einer medizinisch nicht indizierten Zirkumzision ablehnen.“ Aus medizinischer Sicht kann die Beschneidung dagegen nötig sein, wenn die Vorhaut des Penis so verengt ist, dass das Wasserlassen erschwert ist oder sich darunter immer wieder Entzündungen bilden. Doch in leichten Fällen ist oft gar keine Operation nötig, auch kortisonhaltige Salben können helfen. Viele Eltern, die die Beschneidung aus religiösen Gründen wünschten, schöben eine Verengung der Vorhaut und Beschwerden ihres Sohnes zudem nur vor, um den Eingriff auf Kassenkosten vornehmen zu lassen, monieren die Münchner Kinderchirurgen.

Die Debatte ist verwirrend: Tatsächlich werden seit Jahren auch immer wieder medizinische Argumente dafür vorgebracht, die Vorhaut nicht allein im Krankheitsfall zu entfernen. Zuletzt hat die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Empfehlung zur vorbeugenden Beschneidung ausgesprochen, nachdem eine Studie zu dem Schluss gekommen war, dass in Afrika das Infektionsrisiko dadurch deutlich sinken würde. Ein sicherer Schutz ist die Beschneidung aber keineswegs – und in den meisten Ländern stünden Aufwand und Ergebnis in keinem angemessenen Verhältnis. Auch Peniskrebs ist zu selten, als dass das ein Argument wäre. In den USA, wo noch vor zehn Jahren sechs von zehn Jungen kurz nach der Geburt von Ärzten beschnitten wurden, weil man das für eine gute Art der Vorbeugung hielt, sind die Zahlen deutlich heruntergegangen, seit die einschlägige Fachgesellschaft die Zirkumzision nicht mehr als Routinemaßnahme empfiehlt.

Bleiben, neben den eng umschriebenen medizinischen Indikationen, die religiös motivierten Beschneidungen jüdischer und muslimischer Jungen.

Der niedergelassene Berliner Kinderchirurg Yadollah Moazami-Goudarzi sieht seine Rolle als Arzt hier nicht zuletzt im aufklärenden Gespräch: „Wenn Eltern mit diesem Wunsch in meine Praxis kommen, versuche ich ihnen klarzumachen, dass die Beschneidung auch Nachteile mit sich bringt und dass ihre Kinder in einer veränderten Gesellschaft aufwachsen, unter anderen hygienischen und klimatischen Bedingungen als die Religionsgründer.” Im Zweifelsfall plädiert er für eine „sparsame Zirkumzision”, eine plastische Erweiterung, wie sie bei Phimoseoperationen zur Anwendung kommt. „Doch das kann nur ein Chirurg machen.” Charité-Urologe Frank Christoph hat es in der kinderurologischen Sprechstunde am Otto-Heubner-Zentrum auf dem Campus Virchow fast ausschließlich mit jungen Patienten zu tun, die die Operation wegen einer Verengung der Vorhaut brauchen. Sie kommen meist zwischen dem zweiten und dem zehnten Lebensjahr. „Wir sind nur selten mit der Bitte um eine Beschneidung aus rituellen Gründen konfrontiert.“ Bisher sei auch nur sehr selten ein Kind nach einer Beschneidung mit einer schweren Komplikation in die Klinik gekommen. „Die rituellen Beschneider verfügen offensichtlich über eine durch Tradition und langjährige Erfahrung erworbene Expertise.“ So gesehen sind medizinische Bedenken gegen eine Beschneidung eher unbegründet.

Bedenken regen sich allerdings auch bei Mitgliedern der religiösen Gemeinschaften. Niemand solle „im Namen der Religion ein Messer an das Fleisch eines Babys setzen“, schrieb schon vor zehn Jahren die jüdische Ärztin und Psychotherapeutin Jenny Goodman. Die britische Beschneidungsgegnerin beruft sich ihrerseits auf ein Bibelzitat. Schließlich hörte Abraham von seinem Gott auch die Mahnung: „Lege nicht Hand an den Knaben und tue ihm nichts zuleide.“

Bleibt die Frage, ob ihm tatsächlich etwas zuleide getan wird. Vielleicht ist das am Ende eine Glaubensfrage.

Adelheid Müller-Lissner

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