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„Ich bin ein notorischer Beginner.“ Designer Wolfgang Joop vor seiner Villa am Heiligen See in Potsdam.
© dpa

Wolfgang Joop 70!: "Ich merke, dass ich mich der Natur überlassen muss"

Der Designer Wolfgang Joop wird an diesem Dienstag 70 Jahre alt. Im Interview erzählt er über seine Heimatstadt Potsdam, seine Jugend und seine Art, älter zu werden.

Macht es Potsdam leichter, inneren Frieden mit dem Älterwerden zu finden?

Potsdam nicht unbedingt. Aber ich glaube, man muss versuchen, den Kontakt zur Natur nicht zu verlieren. Und den habe ich hier natürlich in wunderschöner Art und Weise, sogar eben diese dressierte Natur. Ich mag, das hat mich schon als junger Mensch so verwöhnt, diese von Lenné dressierte Natur. Es fing schon etwas früher an. Aber vor allem Lenné hat diese Parklandschaft entworfen, im humanistischen Sinne Mensch und Natur miteinander zu verbinden.

Sie sind 2003, auf dem Höhepunkt Ihrer internationalen Karriere als Modedesigner, nach Potsdam zurückgekehrt. Warum eigentlich?
Es war meine Heimat, der Ort meiner Kindheit. Mein Herz schlägt immer noch hoch, wenn ich an der Orangerie entlanggehe, nach Bornstedt, am Friedhof entlang, am Belvedere mit dem göttlichen Blick vorbei. Es war zerstört, als ich Kind war. Wir haben trotz aller Warnungen und Verbote darauf gespielt. Ich bin ganz nach oben geklettert. Auf dem Balkon hatte ich Liebesabenteuer, mit meiner späteren Frau Karin, die jetzt mit ihrer Familie auch wieder in Potsdam lebt. Ja, eigentlich habe ich diese Rückreise, diesen emotionalen Weg wieder nach Potsdam, nie alleine angetreten. Ich habe immer versucht, allen meinen Partnern, meinen Kindern und Freunden dieses Paradies zu zeigen.

Sie erleben diese Wurzeln mit dem Älterwerden intensiver, werden sie wichtiger?
Vielleicht, vielleicht auch nicht, beides ist möglich. Man muss ja alles immer wieder definieren, man kann es entweder neu erobern oder loslassen. Es kommt darauf an, was man selbst will, womit man zurechtkommt. Das Älterwerden ist ja wirklich eine Frage der Klugheit. Intelligenz erhält man vielleicht mit der Geburt. Klugheit lernt man, erwirbt man, in der Liebe mit den Jahren. Klugheit und Liebe, beide ziehen einen. Eins geht ohne das andere nicht. Klugheit hat mit Liebe zu tun, und Liebe auch viel mit Klugheit. Ich merke, dass ich mich der Natur überlassen muss. Es gibt so eine Lehre, die es trifft. Alles, was sein endgültiges Wachstum erreicht hat, muss zurückkehren, kleiner werden und verschwinden. Das ist in der Natur so, das ist wohl mit allen großen Ideen so, mit Gesellschaften, Königreichen und Planeten. Langsam begreife ich das für mich: Du bläst dich noch einmal furchtbar auf, mit vielen Verantwortungen und Herausforderungen, und dann werde auch ich irgendwann den Weg gehen müssen, den die Natur, den meine Mutter, mein Vater und Tante Ulla mir ja schon gezeigt haben.

Haben Sie Angst vor dem Ende?
Gerade wenn man älter wird, ist Angst kein guter Berater. Als sensibler Mensch hat man natürlich auch die Fähigkeit zur Antizipation. Man hat diese manchmal erdrückende Vorstellungskraft, die auch eine Nebenwirkung kreativer Menschen ist. Lars von Trier hat diese Ängste und Depressionen, unter denen man sich gar nicht mehr zu bewegen wagt, in seinem Film Melancholia sehr gut beschrieben. Ich muss oft daran denken, gerade, wenn ich hier in Potsdam bin, an diesem unverschämt schönen Ort, der auch traurig machen kann. Es ist ja nicht so, dass man keine Angst hat. Man kann sich vieles ausmalen, was einem im Alter bevorsteht, Hilflosigkeit, Schwächerwerden, Nachlassen der Kräfte. Aber es hat keinen Sinn, sich zu ängstigen. Man muss lernen, die Angst zurückzuweisen, sie zu überwinden, wenn sie sich meldet.

Kann man das überhaupt lernen?
Man kann lernen, zu kalkulieren. Wenn meine Zeit knapper wird, frage ich mich: Halte ich mich jetzt mit Ängsten auf? Oder breche ich auf, noch einmal alles zu betrachten, intensiver zu erleben und zugleich auch großzügiger zu denken, als ich es bisher getan habe. Ich wurde mal gefragt, wie man sich als 60-Jähriger fühlt. Plötzlich habe ich noch zehn Jahre draufbekommen, und ich habe das selbst nicht gemerkt. Ich hab mich gar nicht richtig umgeguckt, und da ist es so weit. Das Schwerste für mich war der 50ste.

So soll es vielen gehen.
Es ist diese Zahl. Wenn man 50 wird, dann stellt man sich vor, noch mal so viel ist hundert. Und hundert wird man ja meist nicht. Man ist also längst über die Hälfte hinausgeschossen. Dann guckt man sich um, dann sieht man andere 50-Jährige und ist erschrocken. So ging es mir. Ich wollte vorher nie 50-Jährige kennenlernen, die waren besserwisserisch, frustriert, verwiesen immer auf ihr Erworbenes. Das interessierte mich nie …

… und inzwischen sind noch mal zwei Jahrzehnte vorbei …
… und ich kann mich mit zwanzig Jahren mehr auf dem Buckel unter die jungen Leute mischen. Ich habe gelernt, mich für dieses Schicksal zu bedanken. Ich glaube deshalb, das Kind in mir, mein inner child, ist nicht älter geworden. Ich verstehe die jungen Leute, ihre Ängste, ihre Sorgen.

Was stört Sie?
Ich verstehe nicht, wie wenig sie etwa über das Schicksal Potsdams wissen. Ich gehe ja regelmäßig ins Fitnessstudio, ganz normal, fahre mit dem Fahrrad hin. Ich trainiere und unterhalte mich dann mit den 20-Jährigen, den 25-Jährigen. Die männlichen jungen Leute haben unheimlich gut geschnittene Haare, das hatten wir nie. Sie sind alle super gepflegt. Sie sind alle tätowiert und gepierct, alles, was noch vor zwanzig Jahren hier in der Gegend undenkbar war. Optisch ist das bereits eine komplette Verabredung mit dem Rest der Welt, so weit sind sie ja.

Wie Potsdam einmal war

„Ich bin ein notorischer Beginner.“ Designer Wolfgang Joop vor seiner Villa am Heiligen See in Potsdam.
„Ich bin ein notorischer Beginner.“ Designer Wolfgang Joop vor seiner Villa am Heiligen See in Potsdam.
© dpa

Aber?
Wenn ich erzähle, wie es in Potsdam früher einmal war, wenn ich erinnern will, sagen die mir immer: Du ick bin eben ne andere Generation! Ich entgegne dann: Ich war auch eine andere Generation und ich wusste trotzdem, wer Charlie Chaplin war, Greta Garbo und Marlene Dietrich, Babelsberg, die Weimarer Republik, und all das. Dabei war ich nicht einmal gut in Geschichte, ich war nicht einmal besonders aufmerksam. Aber irgendwie sind mir die Dinge mitgeteilt worden. Ich musste sie auch nicht googeln. Vielleicht habe ich länger zuhören können als viele junge Leute heute. Oder, wenn ich sage: Wisst ihr eigentlich, dass früher hier an diesem Bahnhof ein Imbisstand war. Wenn ich als kleiner Junge auf dem Koffer saß und auf den Zug nach Braunschweig wartete, der nicht kam, an dem Tag, oder erst Stunden später, und ich ne Bockwurst essen wollte, war der immer geschlossen.

Und die Reaktion?
Wat, keene Asia-Pfanne? Keene Pizzeria, keene Bäckerei? Nee, sach ick dann. Ooch keen Piemkie, keen Saturn, gar nüscht. (lacht) Und dann erzähl ick aus dem Potsdam der 80er, wo es vier Wochen Vorbereitungen brauchte, wenn man mal Spaghetti Bolognese kochen wollte. Man musste einen Schlachter kennen, der einem Rinderhack unterm Ladentisch zuschob. Dass man irgendwo Thymian, Basilikum und Rosmarin kaufen konnte, war auch nicht drin. Man musste jemanden kennen, der das im Garten hatte. Ich werde dann immer angeguckt, als ob ich aus dem Biedermeier berichte.

Nervt Sie das?
Nein, es ist keine Ignoranz, kein böser Wille. Was mich daran erschreckt, ist etwas anderes: Es verstört niemanden, dass da eine so große Informationslücke ist. Man sagt einfach: Ick bin eben ne andere Generation, das war’s. Ich predige dann immer: Kinder, im Englischen sagt man: The future is made of the present. Unsere Zukunft wird jetzt gemacht, und sie wurde auch gestern gemacht.

Wie gehen Sie damit um?
Ich bin ein notorischer Beginner. Ich beginne immer vieles, weil ich mich in dem Moment des Beginnens am wohlsten fühle. Ich bin nicht der Typ, der sich in der Stagnation wohlfühlt. Ich fühle mich wohl, wenn ich gefordert bin, wie gerade jetzt wieder, ich lebe bis zur Erschöpfung, ich arbeite mit größter Intensität, nehme lieber Herausforderungen an, als all zu zimperlich mit mir umzugehen. Ich fahre ja auch jeden Tag quer durch Potsdam mit dem Fahrrad. Da schaue ich öfter dem Tod ins Auge. Wenn du da in deiner Jogginghose langfährst und über die Straße willst, machen Autofahrer Jagd auf dich. Es bremst kaum einer, die Leute sind furchtbar in Eile heutzutage.

Ich denke immer, mein altes Potsdam hatte so viele Autos nie und hat sie auch nicht verdient. Früher gab es mal einen Trabbi, in meiner Kindheit mal einen Pferdewagen. Heute fährt man Zweit- und Drittwagen. Und dann sitzt eine einzige Figur drin. Ich finde es mittlerweile asozial, dass es so viele Autos in Potsdam gibt, diese Stadt ist dafür nicht gemacht. Noch gefährlicher sind übrigens die Radrennfahrer. Ich schaukle auf meinem Fahrrad ja immer so ein bisschen hin und her. Neulich jagte da auf einmal direkt an meinem Ohr so ein Radrennfahrer vorbei, gestöpselt, darauf den Helm, stromlinienförmige Kleidung. Wäre ich in dem Moment aus Versehen nur einen Hauch nach links gegondelt, hätte der mich total umgemäht. Ich fahre ja bis heute unvorsichtigerweise ohne Helm. Und ich muss mich beim Fahren auch immerzu umgucken. Denn richtig vertraut ist mir Potsdam immer noch nicht.

Weil sich die Stadt so schnell verändert?
Das auch, vor allem aber, weil ich nun durch Gegenden komme, die ich mir früher nie anguckte. Ich wollte, wenn ich nach Potsdam zurückkam, sofort zum Vertrauten. Ich wollte am liebsten zu meiner Großmutter, zu meinem Großvater nach Bornstedt. Ich wollte zu den Pferden, Kühen und den Kälbchen. Ich bin damals noch in den Hühnerstall gegangen und habe unter dem Protest der Hühner die Eier reingeholt. Das war eine Welt, die man sich gar nicht mehr vorstellen kann.

Beschreiben Sie sie bitte!
Es war ja in Bornstedt nicht nur ein einfacher, primitiver Haushalt, sondern es war schon diese seltsame Potsdamer Mischung. Aus ziemlich großem ästhetischen Anspruch, exquisiter Lebenshaltung, Noblesse und trotzdem auch aus Bodenständigkeit, Einfachheit und Mangel. Das war schon seltsam, für mich magisch. Da war so ein, heute würde ich beinahe sagen, provinzieller Snobismus, dort in Bornstedt, bei meiner Familie jedenfalls. Mein Großvater und meine Großmutter waren stets Zentrum von alldem, was geschah. Und auch Schutz, mir konnte auf diesem Hof nichts passieren. Später hat Tante Ulla mit ihrer Energie, ihrer Entschlossenheit und ihrem Mut diesen Ort verteidigt. Bis zu ihrem Tod. Komischerweise, als Tante Ulla starb, das war 2002, und ich in der Kirche neben Jette, Florentine, Karin und Edwin und allen stand, habe ich einen schwarzen Schmetterling über dem Sarg gesehen. Da wusste ich, es ändert sich alles. Schmetterlinge zeigen immer an, dass sich etwas ändert. Und es hat sich seitdem auch alles verändert.

Wie erleben Sie diese Veränderung?
Potsdam ist schwer zu verstehen, sehr schwer. Das sage ich als echter Potsdamer. Die Stadt ist immer inhomogen und kontrovers gewesen. Es ist ein Ort, der sich zu Recht Weltkulturerbe nennt. Die Gebäude sind exquisit, die Parks einmalig, die Landschaft transformiert zu einem Kunstwerk. Es gibt Gärten, Schlösser, Bauernhöfe, die Intellektuellen, die Beamten, die neuen Milliardäre, wow! Aber dann gibt es gleichzeitig unglaublich Provinzielles, Betüddeltes, es gibt diese Pseudogemütlichkeit des Holländerviertels, was mich immer an Sylt erinnert. Es hat etwas Geducktes, Herzensgutes, Ökohaftes. Dann fahre ich auf dem Weg zum Bahnhof an den Resten der Einkaufskultur aus den Sixties vorbei, an dieser kommunistischen Architektur, die noch am Alten Markt steht …

… an der Platte, also an der Fachhochschule, Staudenhof, der inzwischen sanierten Bibliothek …
… es ist ein Futurismus, den man heute grotesk findet. Aber diese Architektur hatte wenigstens noch eine eigene Handschrift. Ich könnte damit leben, wenn das stehen bliebe. Für mich hat auch diese Dekadenz, dieser Charme des Vernachlässigten, einen großen ästhetischen Wert.
Mögen Sie das Potsdam, so wie es heute ist?
Ja, und ich weiß keine Alternative, ehrlich. Für mich gibt es keine. Als Potsdamer darf ich auch Kritik an der Stadt äußern. Anderen erlaube ich das nicht. Wenn Leute herkommen, manches spießig finden, meckern, wenn es kein gutes Restaurant gibt, dass man überhaupt nichts richtig erleben kann, dann haben sie für mich nichts beizutragen. Geht man nach Berlin, dann ist das zwar ein andauerndes Versprechen, das einem aber auch keiner erfüllt. Ich denke, Luftholen kann ich in Potsdam besser.

Das Interview führte Sabine Schicketanz. Mitarbeit: Thorsten Metzner.

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