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Eine Sonderedition des 25-Jährigen. Fotografiert im Berliner Computerspielemuseum.
© pa/dpa

25 Jahre Game Boy: "Ich halte das für echt gefährlich!"

Am 21. April 1989 ging der erste Game Boy über den Ladentisch. Fünf Tagesspiegel-Autoren erinnern sich an ihre Erlebnisse mit der ersten mobilen Spielekonsole. Ein Blick zurück - zwischen Liebe und Hass.

Ich war dagegen. Wir schreiben das Jahr 2002, der Junge war elf, und natürlich glaubte ich, er würde fortan kein Buch mehr angucken, sobald er einen GBA in die Finger bekäme. Der GBA, Game Boy Advance, war eine Weiterentwicklung des Game Boys, die es dem Spieler erlaubte, das Ding fortan nicht mehr hochkant, sondern quer zu halten.

Natürlich setzte sich der Junge durch und besaß schon bald einen Game Boy. Und dann passierte etwas Merkwürdiges: Er legte mal nicht Pokemon, sondern ein anderes Spiel ein, es hieß "Planet der Affen". Das sagte mir etwas, ich kannte den Film mit Charlton Heston, und das kleine Ding entfaltete sein ungeheures Suchtpotenzial. Leider bei mir.

Ich nahm dem Jungen also aus pädagogischen Gründen immer öfter seinen GBA weg, "du hast schon viel zu lange damit gespielt" und schickte ein verpixeltes Männchen von links nach rechts über den winzigen Bildschirm, um Affen zu jagen. Ja, ich konnte nicht genug davon bekommen. Der Junge las inzwischen ein Buch. Das heißt, ab und zu musste er mir helfen, wenn ich partout nicht weiterkam.

Das ging so eine ganze Weile, schließlich kam der Nintendo DS heraus, eine Weiterentwicklung mit bereits zwei Bildschirmen. Ich war auch gegen diese Anschaffung, aus gutem Grund. Der Junge setzte sich wieder durch, fuhr auf Klassenfahrt und nahm das Ding mit. Er fehlte mir, klar, der Junge, aber ein bisschen auch der Game Boy. Seine Klassenfahrt führte ihn nach Edinburgh, die Schüler wurden privat einquartiert, in ein Viertel mit ungünstiger Sozialstruktur. Jedenfalls kam er ohne den Game Boy zurück. Was genau geschehen war, habe ich nie erfahren, vielleicht hat er ihn einfach nur verbummelt.

Jedenfalls rief ich in Edinburgh an, erzählte der hörbar überforderten alleinerziehenden Gastmutter, wie sehr uns der Game Boy fehlen würde, vor allem dem Jungen, und ob sie nicht mal gucken könnte, wäre doch möglich, dass ihre Kinder den jetzt ... Sie bürstete mich ziemlich grob ab.

Selbstverständlich hätte ich auch einen neuen kaufen können. Aber wie tief sollte ich eigentlich noch sinken? Nein, keine Frage, ich halte Game Boys für echt gefährlich. Andreas Austilat

Besser als der keusche Kuss von Hélène

Super Mario - ein schon sprichwörtlicher Held.
Super Mario - ein schon sprichwörtlicher Held.
© AFP

Im Sommer 1994 war ich für einen Tag in Carcassonne. Was habe ich für herrliche Erinnerungen an diese Stadt mit ihrer mittelalterlichen Festung. Auf der Autofahrt dorthin habe ich nämlich König Totomesu geschlagen und damit erstmals Level 4 von Super Mario Land erreicht. Es war ein wunderbares Gefühl und vermutlich der prägendste Moment der zwei Wochen, die ich in Südfrankreich verbrachte – mehr noch als der keusche Kuss, den mir die bezaubernde Hélène bei einem späteren Besuch der Airbuswerke hinter einer der ausgestellten Turbinen gab. Denn ich war 14 Jahre alt, als ich zu einem Schüleraustausch in Toulouse weilte, und ich war Spätentwickler – was Computerspiele betraf. Einen eigenen Computer besaß ich nicht, einen Game Boy schon gar nicht. Solch neumodischen Schmarrn lehnten meine Eltern ab.

Und ich, entsprechend indoktriniert, eigentlich auch. Bis zu jenem Sommer. Mein Austauschpartner Guillaume, ein bleicher, rotschöpfiger Junge mit Monobraue und Schwänzchen im Haar, besaß einen Game Boy, an dem er längst jedes Interesse verloren hatte. So hatte ich freie Bahn, wie auch die Sucht sich Bahn brach. Täglich kämpfte ich mich stundenlang durchs Sarasaland, bis mir das Gerät einschlafend aus der Hand fiel, und nachts träumte ich davon, Prinzessin Daisy aus den Klauen des bösen Außerirdischen Tatanga zu befreien. Besseres hatte ich eh nicht zu tun, da Guillaume sich nach einem langen Schultag noch bis zum Abend im Zimmer einschloss, um zu pauken. Ich hingegen perfektionierte meine Fingerfertigkeiten im zweiwöchigen Game-Boy-Trainingslager und ignorierte das Stirnrunzeln meiner Austauscheltern, wenn ich bei Ausflügen keine Augen für die Schönheit der Landschaft hatte. Am Ende hatte ich Level 9 geschafft, ein Meilenstein meiner frühen Jugend.

Auf der Rückreise im Bus griff meine Hand immerzu ins Leere, erstes Symptom heftiger Phantomschmerzen. Für einen neuen Game Boy wäre ich wohl freiwillig nach Hause gelaufen. Doch mit etwas Abstand überstand ich den Entzug ohne Schäden. Auch weil bald eine lebensverändernde Erkenntnis in mir reifte: Mit den Hélènes dieser Welt zu spielen, ist am Ende doch wesentlich erfüllender. Jannis van Oy

Auf dem Altar der Gleichberechtigung geopfert

Vor zehn Jahren begann für den Game Boy der Anfang vom Ende. Nintendo stellte zwar nicht die Produktion der mobilen Spielekonsole ein, doch der Name, der über anderthalb Jahrzehnte praktisch synonym für alle elektronischen Spielecomputer für die Jackentasche verwendet wurde, erschien den Japanern nicht länger als passend. Statt Game Boy heißt das Spielzeug seither Nintendo DS. Als der erste DS im Jahr 2004 auf den Markt kam, musste die Pressestelle des Herstellers allerdings regelmäßig bei den Redaktionen landauf, landab anrufen und darum bitten, die neue mobile Spielekonsole bei ihrem richtigen Namen zu nennen und nicht etwa Game Boy DS, wie es anfangs häufig vorkam. Die Interventionen waren durchaus nachvollziehbar. Das Unternehmen legte auf die korrekte Bezeichnung nicht nur so viel Wert, um die Besonderheit der neuen Geräte mit ihren zwei Bildschirmen (Double Screen = DS) hervorzuheben. Noch wichtiger war es den Marketingleuten, den Begriff Game Boy als Bezeichnung für ein Jungen-Spielzeug zu vermeiden. Es ging um mehr als bei "Aus Raider wurde Twix", wo nur der Name, aber nicht die Süßigkeit ausgetauscht wurde.

Der Name Game Boy wurde auf dem Altar der Gleichberechtigung geopfert. Dazu passten auch die neuen Spiele wie ganz besonders die Nintendogs. Mit ihren kuscheligen Hunde-Welpen sollten sie die angepeilte Zielgruppe der jungen weiblichen Spieler bezaubern – und taten dies auch sehr erfolgreich. Um die verspielten Vierbeiner zu rufen, tippte man auf den unteren Touch-Bildschirm. Nach etwas Training reagierten die Beagles oder Chihuahuas sogar aufs Wort, denn der DS verfügte nun auch über ein Mikrofon. Die Nintendogs hatten für den DS die gleiche Bedeutung wie einst Tetris für den ersten Gameboy.

Der alte Name ist inzwischen längst Geschichte geworden. Und die Strategie der Japaner ist tatsächlich aufgegangen. Von sämtlichen Versionen des Game Boys wurden in 15 Jahren knapp 120 Millionen Stück weltweit verkauft. Der sowohl für Girls als auch für Boys geeignete Nintendo DS hingegen ging in den zehn Jahren seit dem Handelsstart bereits über 155 Millionen Mal über den Ladentisch. Kurt Sagatz

Wahnsinnige am Steuerknüppel

Es war immer dieser Moment, wenn ich die Augen schloss. Sobald noch im Dunkel hinter den Lidern das Grün des kleinen Monitors nachflackerte und Kästchen sich zu Türmen formierten, dann wusste ich – heute war es wieder eine Runde "Tetris" zu viel gewesen.

Ich selbst hatte Mitte der 90er Jahre keinen Game Boy, auch keinen Commodore 64, um darauf spielen zu können. Aber meine Freundin Annika hatte einen C64. Wenn ich zu ihr ging, tranken wir Fanta Pink Grapefruit, hörten Drei-Fragezeichen-Kassetten und malträtierten den Joystick des Computers in dem Glauben, der Turmspringer der "Summer Games" würde besonders schöne Kunststücke in der Luft vollführen, wenn wir nur lange genug wie die Wahnsinnigen am Steuerknüppel rüttelten. Ohne Erfolg.

Tetris auf dem Game Boy war anders. Unmissverständlich. Stein auf Stein. Level für Level. In der Schlichtheit des Spiels steckte ein ungeheurer Reiz – der Drang, die Steine immer höher zu bauen, bis man alles mit der erlösenden Kästchenreihe, dem fehlenden Puzzleteil, verpuffen ließ. Kurz bevor die Reihen an die obere Kante des Displays stießen, kurz vor dem Untergang. Adrenalin pur.

Zu meinem Glück waren Game Boys vielfältig verfügbar, in den Kinderzimmern meiner Freunde, auf Klassenfahrten, in der Schule. Der größte Spaß: Tetris-Duelle. Über ein Verbindungskabel spielten wir gegeneinander, entwickelten Taktiken, knallten dem anderen mit etwas Geschick reihenweise Kästchen vor den Latz.

Erst Jahre später entdeckte ich die Faszination des Spiels wieder, während eines Dänemarkurlaubes mit meinem damaligen Freund und seiner Familie. An dämmrigen Nachmittagen, nach dem Pilzesammeln, rutschte ich tief in den Ohrensessel, den Game Boy im Schoß wie ein wertvolles Schmuckkästchen. Ich schaltete das kleine grüne Display an und lieferte mir Duelle mit der Mutter meines Freundes, deren Passion das Tetrisspielen war und die täglich wohl mehrere Trainingsstunden absolvierte. Und plötzlich fühlte ich mich wieder wie beim hilflosen Rütteln am Joystick des C64. Es war aussichtslos. Meine Gegnerin war unschlagbar. Lydia Brakebusch

Verliebter als in Patrick Swayze

Ende der 90er Jahre, Fernsehschauen mit der Familie am frühen Sonntagabend. Auf dem Wohnzimmertisch stehen Schnittchen, das Holz im Kachelofen knistert. Es läuft die Wiederholung der US-amerikanischen Bürgerkriegsserie "Fackeln im Sturm" mit Patrick Swayze. In den war ich als Neunjährige ziemlich verknallt. Doch nicht einmal mein Traummann mit Pferd und Uniform konnte mich plötzlich von dem rechteckigen Kasten in meinen Händen ablenken.

Hoch konzentriert, die kleine Stirn in Falten, hämmerte ich in die Tasten. Ich war Super Mario und musste Prinzessin Daisy aus der Gefangenschaft des Außerirdischen Tatanga, ein kleines lila Monster mit spitzen Eckzähnen, befreien. Ich kämpfte furchtlos gegen brüllende Löwen, feuerspeiende Seepferdchen, speerwerfende Bienen und fleischfressende Pflanzen.

Meinen Eltern warf ich hier und da ein "Mist, tot" zu, wenn mein Mario von Pyramiden oder in lodernde Feuerschluchten stürzte. Hatte ich die Prinzessin im letzten Level befreit – nach einigen Monaten Übung schaffte ich das in einem Rutsch – stieß ich ein inbrünstiges "Ja, durchgeschafft" aus.

Ungefähr so fanden mich meine Eltern nicht nur beim sonntäglichen Fernsehabend vor, auch bei Familienfesten, im Restaurant, im Schwimmbad, am Strand, im Auto oder im Schulbus. Ich war süchtig nach dem Game Boy. Definitiv.

Vielleicht war es der gleiche Jahrgang, der uns so zusammengeschweißt hat, den Game Boy und mich. Wir sind beide 1989er. Zum neunten Geburtstag habe ich ihn dann endlich bekommen, meinen Game Boy, ein Modell der Special Edition. Der einzige Unterschied zum Original war die Farbe, den neuen gab es nicht nur in Weiß, sondern in sechs verschiedenen Farben. Meiner war blau. Und ich liebte ihn – noch mehr als Patrick Swayze.

Warum meine Eltern mich nicht vom ständigen Zocken abhielten? Weil sie mich verstanden. Nach "Fackeln im Sturm" schickten sie mich ins Bett, meinen Game Boy musste ich im Wohnzimmer lassen. Dann verirrten Mama und Papa sich in dunklen Unterwasserwelten und bedrohlichen Steinschluchten. So gut wie ich wurden sie nie. Eva Riedmann

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