Panorama: Hurrican "Grace": Der "perfekte Sturm" vor Amerikas Ostküste verschluckte ein Schiff samt Besatzung und kommt ins Kino
Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Ein leichter Wind aus Nordwest weht, als die Andrea Gail den westlichen Rand der Grand Banks südlich von Neufundland erreicht.
Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Ein leichter Wind aus Nordwest weht, als die Andrea Gail den westlichen Rand der Grand Banks südlich von Neufundland erreicht. Die halbe Strecke nach Gloucester an der Ostküste der USA hat Kapitän Bill Tyne schon zurückgelegt. Einen Monat sind er und seine fünf Männer auf Schwertfischfang gewesen. Doch was am 27. Oktober 1991 an Meldungen aus dem Wetterfax quillt, klingt nicht gut: Vor Bermuda hat sich ein Hurrikan gebildet, vom kanadischen Festlandsockel zieht eine Kaltfront herunter und über den Great Lakes ballt sich ein Sturm zusammen.
"Sieht aus als ob es dick kommt", meint Tyne gegenüber der Kapitänin des Fangschiffes Hannah Boden. Sein Schiff befindet sich im Zentrum eines Tiefdrucksystems, das droht, zu einem Wirbelsturm zu werden. Und das den über Bermuda sich austobenden kleineren Hurrikan Grace sowie die anderen Sturmsysteme wie ein Magnet an sich zieht. Tynes Weg nach Massachusetts führt genau durch die Wetterhölle. Andere Schiffe drehen ab, bleiben im Randgebiet des Sturms. Doch Tyne hat den Schiffsbauch voller Fisch und nicht genug Eis an Bord. Später wird Tommy Barrie, der Käpitän der Allison, die sich ebenfalls im Gebiet der Grand Banks befand, sagen: "Er hat getan, was neunzig Prozent von uns getan haben würden - er verschalkte die Luken und blieb auf Kurs." Augen zu und durch.
Es kündigt sich hier ein Sturm an, der am 1. November seinen Höhepunkt erreicht und als einer der fünf schlimmsten Stürme der letzten hundert Jahre in die Annalen eingehen wird. Der aber bis zuletzt von den Wetterdiensten keinen Namen erhält, weil selbst die Simulation auf dem Cray-Computer nicht ergibt, dass sich eine Reihe von ungünstigen Konstellationen zu dem verbinden, was Sebastian Junger in seinem Buch den "perfekten Sturm" nennt. Ein Sturm, der einer ganzen Schiffsbesatzung das Leben kostete. Und dessen Geschichte nun von Wolfgang Petersen verfilmt wurde.
Das Verhängnis nimmt seinen Anfang mit dem Hurrikan Grace über Bermuda, der nach Nordwesten zieht. Dem entgegen bewegt sich ein Hochdruckgebiet von Kanada aus Richtung Südosten, das eine Kaltfront vor sich her treibt. Es ensteht eine 700 Meilen lange Tiefdruckfront, die Grace weiter nach Norden zieht. Ein außertropischer Zyklon formiert sich, der sich aus zwei gegensätzlichen Quellen speist: Aus der trockenen, kalten Luft im Nordwesten und der warmen Luftfeuchtigkeit von Grace im Süden. Als der Kapitän der Andrea Gail sich entschließt, den Kurs auf Gloucester beizubehalten, weiß er nicht, dass das Schlimmste noch bevorsteht: Normalerweise würde Grace irgendwo in der Nähe von Carolina das Festland erreichen und dort schnell an Intensität verlieren. Die Tiefdruckfront wirkt aber wie eine Mauer, die Grace wie einen Gummiball an sich abprallen lässt. Über dem Meer führt der warme Golfstrom dem Sturm weitere Energie zu. Jetzt wird es für Bill Tyne ernst. Es geht nur noch darum, das aus Stahlplatten geschweißte Schiff mit Hilfe des 370-PS-Dieselmotors gegen die Dünung zu halten, um keine Breitseite abzubekommen. Bei Böen erreicht der außertropische Wirbelsturm mehr als 160 Kilometer pro Stunde, Stärke zwölf auf der Beaufortskala. Ein Erkennungsflugzeug macht das Auge des Wirbelsturms mehrere Hundert Kilometer südlich von Neufundland aus (siehe Satellitenbild). Der amerikanische Wetterdienst plant dennoch keine Aufwertung des Sturms, um "unnötige Verwirrung zu vermeiden und die Öffentlichkeit nicht zu beunruhigen".
Die letzte Nachricht, die Bill Tyne seinen Fischerkollegen am Abend des 28. Oktober funkt lautet: "Jetzt geht es los Jungs, und das mit Macht." Wann und wo sich die Andrea Gail den zum Teil über 30 Meter hohen Wellen geschlagen geben musste und schließlich sank, ist ungewiss.
Das Unglück liegt in einem weltweiten Trend. Die Ozeanographin Eva Bauer vom Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam sagt, es habe von Mitte der 60er bis zu den 90er Jahren einen deutlichen Anstieg der durchschnittlichen Wellenhöhe gegeben: "An manchen Messpunkten im Nordatlantik haben wir einen Zuwachs von ein bis zwei Prozent pro Jahr festgestellt." Grund sind starke Winde, die über längere Zeit und mit gleichmäßiger Intensität über eine große Wasserfläche wehen und somit den Wellen regelmäßig Energie zuführen.
Längst hat die Zunahme von Stürmen auch die Versicherungskonzerne auf den Plan gerufen. Die Münchener Rück unterhält eine ganze Forschungsgruppe für Geowissenschaften, denn Naturkatastrophen kosten die Versicherer viel Geld. "Weltweit ist in den letzten 15 bis 20 Jahren eine massive Zunahme von Stürmen zu verzeichnen", sagt der Geophysiker Ernst Rauch. Sie enstünden nicht nur häufiger, sondern seien auch intensiver. Seit den 60ern hat sich die Zahl der Stürme gar fast vervierfacht. Ob dies aber auf vom Menschen verursachte Klimaveränderungen zurückzuführen ist, bleibt unklar. Mojib Latif, der am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie Klimasimulationen am Computer erstellt meint: "Wir können noch nicht berechnen, was in Zukunft mit den Hurrikanen wird." Anders als beim Temperaturanstieg gebe es auch keinen eindeutigen Trend. So habe es zwischen 1880 und 1900 schon einmal einen signifikanten Anstieg der Sturmintensität gegeben. Manche Computerberechnungen legten aber nahe, dass wegen der Erderwärmung die Hurrikane sogar abnehmen könnten. Den sechs Männern auf der Andrea Gail wird das nichts mehr nützen.
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