Rasen im Olympiastadion Berlin: Herz aus Gras
Horst Schwab züchtet Rasen – nicht nur für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Er sagt: „Die Halme müssen lernen, sich zu wehren“
Horst Schwab parkt seinen Wagen neben der Landstraße, läuft drei Schritte durchs hohe Gras und steht auf einer Wiese. „Wir sind da“, sagt Schwab. „Das ist sie, die Allianz-Arena.“ Natürlich ist sie das nicht wirklich. Als wenn das neue Münchner Fußballstadion, in dem die Weltmeisterschaft 2006 angepfiffen wird, in der bayrischen Provinz stehen würde. Aber hier in Waidhofen, zwischen Nadelwäldern und Bauernhöfen südlich von Ingolstadt, wächst das Allerheiligste der WM 2006 in Deutschland: der Rasen.
Am kommenden Mittwoch wird auch Franz Beckenbauer an dieser Landstraße stehen. Er ist der Präsident des FC Bayern München und Chef des Organisationskomitees der WM 2006. Und Beckenbauer wird sich an diesem Tag einen Rasen für das Münchner Stadion aussuchen. Vermutlich wird es der Rasen sein, auf dem Horst Schwab, 56, jetzt kniet. Er streicht mit der Hand darüber („30 Millimeter hoch, alle zwei Tage geschnitten, steif wie Plastik“) und wippt auf und ab. „Sinkt kaum ein“, sagt Schwab. Wenn der Branchenführer der Rasenindustrie schon nicht einsinkt, dann wird es ein Fußball erst recht nicht. Soll heißen: Der Ball wird auf dem Rasen gleiten, verliert wenig Energie, bleibt in Fahrt. „Das wollen die doch bei der WM, schnellen Fußball, oder?“
Schwab ist kein Fußballfan. Schwab ist ein Rasenfan. Wenn er sich die Sportschau ansieht, dann nicht wegen der Tore, sondern wegen des Grüns. „Ich leide oft“, sagt er, vielleicht genauso wie ein Fan mit seinem Klub. Wenn der Rasen gelbgrün und braun ist, dann dauert es meistens nicht lange, bis sie Schwabs Firma anrufen. So wie die Dortmunder, deren Rasen im Westfalenstadion bis zu sechs Mal im Jahr ausgewechselt werden musste, weil er stets krank war. Knapp 120 000 Euro kostet das Verlegen. Schwabs Arbeiter schälen den Rasen aus der Erde, 2,20 Meter breit sind die Bahnen, jede 30 Meter lang. In der Nacht wird gearbeitet, weil der Rasen dann kalt ist. Wenn er am Morgen in den Lastwagen über die Autobahn geschickt wird, wird er sich erhitzen, „auf bis zu 50 Grad“. Und wenn die Fahrt bis Griechenland geht, dann muss der Rasen dort in der Nacht entrollt werden. Damit er keinen Lichtschock bekommt.
Heiß und kalt
Die Lastwagen rollen ständig. Neben Schwab gibt es nur noch einen Kollegen aus den Niederlanden, der ähnlich gute Rasenqualität bieten kann. Schwab bedient nicht nur das Münchner WM-Stadion, sondern auch die Arenen in Berlin, Leipzig, Stuttgart oder Kaiserslautern. 1,5 Millionen Quadratmeter Rasen liegen vor seiner Tür, das sind 200 Fußballfelder. Und wenn er über die Hügel von Waidhofen fährt, dann zeigt er aus dem Fenster und ruft: „Da liegt Freiburg!“ Und hundert Meter weiter: „Frankfurt!“
Wenn die Fußballwelt nur so übersichtlich wäre wie Waidhofen. Münchens Rasen ist anders als Nürnberg als Bielefeld als Athen. Schwab ist so etwas wie ein Gourmetkoch, er spielt mit den Zutaten, den Samen, probiert, prüft und will wenig verraten. Das Geschäft läuft gut, aber es ist eine knifflige Arbeit, weil die Stadien sehr anspruchsvoll sind, fast zu anspruchsvoll. Die Tribünen ragen steil in den Himmel, die Ecken sind geschlossen, die Ränge liegen eng am Spielfeld. Im Winter kann es vorkommen, dass deshalb kein Sonnenstrahl den Rasen erreicht und auch kein Lüftchen unter das Stadiondach weht. „Sauerstoff, Wasser, Sonne – das sind die Elemente“, sagt Schwab. „Wenn eines fehlt, wird der Patient krank und stirbt.“ Wie so oft in Dortmund, in Hamburg. Und vielleicht auch bald in München.
Früher war vieles einfacher. Da hat er 1972 den Rasen im alten Münchner Olympiastadion verlegt und erst vor vier Jahren austauschen müssen. Die Grätschen der Fußballer sind ja nicht das Problem. „Der Rasen muss gefordert werden, er muss lernen, sich zu wehren“, sagt Schwab. Der Unternehmer Schwab redet über sein Produkt wie ein Vater über seinen Sohn. Er streichelt den Rasen, beobachtet ihn, er spricht sogar mit den Pflanzen. Schwab muss darüber lachen. Er deutet auf eine kleine, weiße Kapelle, die zwischen den Wiesen steht: „Sie gibt mir Kraft.“
Die Fuß-Probe
Es ist die Champions League der Rasenkunde, die Schwab in der Provinz lehrt. Gesät wird bei zunehmendem Mond, gedüngt bei abnehmendem. Über ein Jahr dauert die Züchtung. 25 000 Pflanzen sollten pro Quadratmeter wachsen, tief und dicht verwurzelt. Und erst ganz am Ende rollen die Traktoren an. Fünf Tonnen wiegt so einGefährt, deshalb hat der Traktor riesengroße, profillose Reifen, damit die Last auf einen großen Bereich verteilt wird. „Der Traktor kann mir über den Fuß rollen, ohne mir weh zu tun", sagt Schwab. Neulich erst habe er das wieder ausprobiert. „Ja, wirklich.“ Seinem Produkt geht es gut. Bläulichgrün schimmern die Rasenreste des Berliner Olympiastadions im Schatten des Waldes. Der Fußball-Weltverband Fifa hat viele Regeln erstellt, damit der Rasen auch in den WM-Stadien gut aussieht und ja nicht bei Zweikämpfen durch die Luft fliegt. In einer Woche trifft sich der „Workshop Rasen“ des Organsiationskomitees 2006 und wird sich einen Terminplan überlegen. Im Herbst 2005 sollen die Plätze in den zwölf WM-Städten geprüft werden, ein halbes Jahr später erneut. Es soll alles perfekt sein, wenn die Welt auf Deutschland schaut.
Jetzt kommt erstmal „der Franz“, sagt Schwab. Sympathisch seien sie sich. Als sich Beckenbauer vor einigen Jahren um den Garten seiner Villa in Tirol kümmerte, rief er in Waidhofen an. Schwab schickte schnell einen LKW auf die Autobahn.
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