Panorama: „Hauptschule als Negativauslese kann nicht funktionieren“
Der Rektor der Heinrich-von-Stephan-Schule über den „Rütli-Schwung“ und die Gemeinschaftsschule
Herr Großpietsch, was haben Sie gedacht, als Sie vor einem Jahr von dem Rütli-Brief erfahren haben?
Mich hat die überraschte Reaktion gewundert. Die Misere war doch nicht neu.
An Ihrer Schule herrscht aber keine Misere. Sie gewinnen ständig Auszeichnungen und wurden in der „Süddeutschen Zeitung“ als „Wunder von Moabit“ gefeiert. Was machen Sie anders als die vielen Hauptschulen, über die Wissenschaftler sagen, sie hätten „eine außerordentlich schädliche Auswirkung auf die Leistungsentwicklung“?
Wir haben vor acht Jahren damit angefangen, eine integrierte Haupt- und Realschule zu werden. Vorher waren wir Hauptschule und haben gemerkt, dass uns alle Bemühungen nicht weiterbringen, solange nur die schwierigsten zehn Prozent der Schüler zusammen sind: Wenn sich diese Negativauslese konzentriert, kann es nicht funktionieren. Man hat uns den Schulversuch mit der integrierten Schule gestattet unter der Bedingung, dass wir mindestens 33 Prozent Realschulkinder haben.
Aber warum sind Eltern von potenziellen Realschülern bereit, ihre Kinder bei Ihnen anzumelden?
Weil es bei uns kaum Gewalt gibt, weil wir den Übergang ins Berufsleben gut organisieren, weil wir in Fächern wie Mathematik und Deutsch gute Ergebnisse schaffen.
Eltern haben doch normalerweise Angst, dass ihre Kinder von schlechteren Schülern heruntergezogen werden.
Man muss den Kindern, die mehr können, eben andere Aufgaben geben, solche, die auf Realschulniveau liegen. Das klappt bei uns. Das konnte man etwa anhand unserer guten Ergebnisse bei Pisa im Jahr 2003 sehen.
Ihre Erfolge sind in Berlin kein Geheimnis. Warum haben andere Hauptschulen Ihr Modell nicht übernommen?
Ich weiß es nicht. Wir haben mehr Besucher aus Lettland als aus Berlin.
Dieses Desinteresse könnte sich verlieren angesichts der anhaltenden bundesweiten Debatte über die Abschaffung der Hauptschulen und ihre mögliche Verschmelzung mit den Realschulen.
Ich hoffe. Ich halte das Hamburger Modell, das nur Gymnasien und so genannte Stadtteilschulen vorsieht, für das intelligenteste, das zurzeit auf dem Markt ist. Das sollte auch für Berlin der Weg sein.
Wenn Sie für die Zweigliedrigkeit plädieren, warum sind Sie jetzt der Arbeitsgruppe beigetreten, die im Auftrag des Bildungssenators die Einführung der Gemeinschaftsschule verfolgt?
Es ist doch völlig in Ordnung, wenn wir es schaffen, 20 funktionierende Gemeinschaftsschulen ins Leben zu rufen. Meine Schule würde auch gern dabei sein und hat auch schon eine Grundschule in Aussicht, die mit ihr kooperieren würde. Aber ich glaube nicht, dass die Gemeinschaftsschule in der Fläche klappt: Eher wird man in Deutschland das Biertrinken und das Fußballspielen abschaffen als die Gymnasien. Deshalb wird es wohl auf das Zwei-Säulen-Modell hinauslaufen.
Noch immer sind die meisten Berliner Hauptschulen Problemschulen. Hat sich durch die ganze Rütli-Diskussion gar nichts verändert?
Im Kern tut sich natürlich nichts, solange man die schwierigsten Schüler unter einem Dach konzentriert. Dennoch war die Rütli-Diskussion nicht vergebens, denn sie hat etwas gebracht, was auch ich den „Rütli-Schwung“ nenne. Dazu gehört, dass die Hauptschulen viel schneller als zunächst geplant Sozialarbeiter bekommen haben. Und die wird man ihnen auch nicht mehr wegnehmen, solange Rütli nicht vergessen ist. Zudem hat Rütli dazu geführt, dass man neuen Schulen, die wie wir integrierte Haupt- und Realschulen werden wollen, nicht mehr so viele Steine in den Weg legt.
Bayern will in seine Hauptschulen investieren und aus ihnen Ganztagsschulen machen. Ist das die Lösung?
Nicht die Lösung, aber es wäre sinnvoll. Auch wir wollen Ganztagsbetrieb werden. Aber es kann Jahre dauern, bis der Bezirk das Geld für die Umbauten bewilligt.
Das Gespräch führte Susanne Vieth-Entus
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