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Auf dem Oktoberfest in München kommt es immer wieder zu Entgleisungen.
© dpa

Bier, Flirt - und Missbrauch: Grenzverlust auf dem Oktoberfest

Flirten, anbandeln - dafür ist das Oktoberfest bekannt. Doch immer wieder gibt es auch sexuelle Übergriffe. Nach der Silvesternacht von Köln ein besonders heikles Thema. Auf der Wiesn allerdings spielt vor allem Alkohol eine Rolle.

Zwei Mal sexuell missbraucht binnen zwei Stunden. Das Opfer: Eine 35-Jährige. Sie hatte das Oktoberfest besucht und war betrunken auf einer Bank eingeschlafen. Erst machte sich ein 19-Jähriger über sie her, ein bis zwei Stunden später auch ein 38-Jähriger. Tatort: Der berüchtigte Hügel hinter den Zelten. Dort landen viele, die zu viel starkes Oktoberfestbier getrunken haben. Ihre Wehrlosigkeit lockt Täter an - von Taschendieben über Spanner bis zu Sexualtätern. Im Gedränge des Fests, bierselig und vermeintlich anonym in der Masse, fühlen sich einige Kriminelle sicher. Doch die Polizei ist auf dem Oktoberfest präsent wie an kaum einem anderen Ort. Bis zu 600 Beamte werden dieses Jahr auf dem Volksfest unterwegs sein. Das gesamte rund 30 Hektar große Gelände - samt dunklem Hügel - wird mit Videokameras überwacht. Teilweise sehen die Beamten daher rechtzeitig, was sich anbahnt.

Manchen Sexualtäter umringten Beamte bereits, als er sich noch an sein Opfer heranmachte. Dieses Jahr soll es noch mehr Kameras geben. „Wir haben bis zu 29 Kameras. Sie sind so aufgestellt, dass wir so wenig weiße Flecken wie möglich haben“, sagt der Sprecher der Münchner Polizei, Marcus da Gloria Martins. Auch Taschendieb-Fahnder, geschult im Erkennen auffälligen Verhaltens, leisteten wichtige Arbeit. Im Fall der 35-Jährigen trugen sie zur Festnahme eines Täters bei. „Sie hatten den Mann schon vorher im Visier“, sagt da Gloria Martins. 26 Sexualdelikte rund um die Wiesn wurden im vergangenen Jahr angezeigt, 2014 waren es 23, davor 32.

„Vor dem Hintergrund der Vielzahl der Besucher ist das ein sehr niedriger Wert“

Täter wie Opfer stammen aus aller Welt, wie die sechs Millionen Besucher des Volksfestes. „Vor dem Hintergrund der Vielzahl der Besucher ist das ein sehr niedriger Wert“, meint der Polizeisprecher. Es herrsche gute Stimmung, und angesichts der großen Menge an Bier - etwa sieben Millionen Maß werden während des Festes ausgeschenkt - sei es eine „geringe Zahl“. Dennoch sei jede Tat eine zu viel. Alkohol, schnelle Fahrgeschäfte, Massen-Ekstase, erotische Avancen: Die Wiesn sei grundsätzlich ein „rauschhaftes, dionysisches Fest“ mit archaischen Riten und erzeuge bei den Teilnehmern eine Art Trance, erläuterte die Psychologin Brigitte Veiz schon vor zehn Jahren in ihrer Studie „Das Oktoberfest - Masse, Rausch und Ritual“.

Im Ausland prägen nicht zuletzt Bilder draller Mädchen im Dirndl, Herzchen und sich küssende Paare das Image des Festes als Flirt- und Kontaktbörse. Tatsächlich werden auch dauerhafte Bande auf der Wiesn geknüpft. Aber es werden auch Grenzen übertreten. Seit 2003 finden Frauen Hilfe bei der Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“. Mitorganisatorin Kristina Gottlöber vermutet bei den Sexualtaten eine hohe Dunkelziffer. Diverse Studien in verschiedenen Ländern gehen davon aus, dass nur zehn Prozent der Sexualtaten angezeigt werden.

Aktion „Sichere Wiesn“

Rund 200 Frauen wandten sich 2015 an die Aktion „Sichere Wiesn“. Manche seien verwirrt, hätten ihre Gruppe verloren oder ihr Hotel vergessen, sagt Mitorganisatorin Gottlöber. Gerade dann würden sie leicht Opfer. „Täter gucken sehr gezielt und sprechen Frauen an, die aufgelöst wirken. „Geh halt mit, ich bring dich heim“.“ In den Zelten wiederum heize die ausgelassene Stimmung mögliche Täter an. „Es ist eine besonders freizügige Atmosphäre, die suggeriert: Hier ist alles erlaubt“, sagt Gottlöber. Aber: „Selbst wenn ich mich im Zelt ausziehe, darf mich niemand vergewaltigen.“

Die Schuld trage stets der Täter. Ein anderes Projekt packt die Männer nun an der Ehre. Mit der Aktion „Wiesn-Gentleman“ appelliert der soziale Träger Condrobs an Gewissen und Beschützergeist. „Wir werben für positives Verhalten“, sagt Birgit Treml aus der Geschäftsführung des Condrobs-Jugendbereichs. Die Hoffnung: „Dass wir eine Haltungsänderung bewirken.“ Szenen wie in der Silvesternacht in Köln mit Massenübergriffen auf Frauen erwarten weder Helfer noch Polizei. „Wir haben uns das auf eine mögliche Relevanz für das Oktoberfest hin angeschaut, uns zusammen mit dem Veranstalter Gedanken gemacht, wie man das Sicherheitsniveau ausbauen kann, und entsprechende Maßnahmen umgesetzt“, sagt Polizeisprecher da Gloria Martins. „Wir gehen aber nicht davon aus, dass dieses Thema im Rahmen des Oktoberfests eine Relevanz haben wird.“ (dpa)

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