Flüchtlinge in Bayern: Gemaltes Bild eines Kindes aus Syrien bewegt nicht nur die Polizei
Das gemalte Bild eines Kindes aus Syrien macht in den sozialen Netzwerken die Runde. Verbreitet hat es die Polizei in Passau. Das Bild macht sprachlos.
Es passiert nicht oft, dass die Polizei mit einem Tweet einen Internet-Hype auslöst. „Geschenk eines syrischen Kindes an die Bundespolizisten in Passau... #sprachlos“, hatte sie auf Twitter unter dem gemalten Bild eines Kindes aus Syrien geschrieben. Das bewegende Bild hat nicht nur bei der Bundespolizei in Passau Rührung ausgelöst. In Windeseile verbreitete sich das Bild in den sozialen Netzwerken. Es wird wohl in die Geschichte eingehen.
Unter #sprachlos sammeln sich die Kommentare der User. Es sei ein unglaublich bewegendes Bild, schreiben die meisten Leute. „Die Symbolik in diesem Bild ist bewegend! Von Krieg, Tod, Verwundung und Schrecken in ein heiles Leben", twitterte jemand. „Was muss dieses Kind nur erlebt haben um solch ein Bild (linkes Bild) zu zeichnen?“, fragt sich ein anderer. Kritik gibt es, wenn auch wenig: „#sprachlos twitterten sie und schützten weiter die bayrischen Grenzen“, twitterte Felix Schulz beispielsweise. „Ich fürchte, das Bild berührt wieder nur jene, die ohnehin berührt sind. #sprachlos“, schreibt Alexander Dinkhoff.
Auf dem zweigeteilten Bild ist Krieg und Frieden zu sehen: Auf der linken Seite malte das Flüchtlingskind das Leben in Syrien. Unter der Flagge des Landes sind zerstörte Häuser, Leichen, Panzer und ein Totenkopf zu sehen. Möven ziehen über die Ruinen einer Kriegslandschaft. Die Zeichnung ist Schwarz gehalten, auf kariertem Papier – nur das Blut sowie die Leichen und abgetrennten Gliedmaße sind Rot. In der Mitte ist eine Frau auf Krücken zu sehen, auch sie hat ein Bein verloren, Blut läuft vom Bein auf den Boden. Das orangefarbene Kleid der Figur grenzt sich vom Grau-Schwarz des Bildes ab – fast fühlt man sich an das Mädchen in Steven Spielbergs Kriegsepos „Schindlers Liste“ erinnert, das mit ihrem roten Kleid im Schwarz-Weiß-Film heraussticht.
Auf der rechten Seite des Bildes vom Flüchtlingskind ist Deutschland zu sehen. Um die Landesflagge ist ein Herz gemalt. Ein intaktes Haus und ein Weg sind davor zu sehen, zwei Figuren tragen Eimer zu dem Weg, vermutlich bauen sie ein Heim für Flüchtlinge. Ein doppeltes Herz umrahmt das Wort „Polizi“. Die Farbe Rot wird hier nicht für Blut, sondern für das Dach des Hauses und die Herzen verwendet.
Der Name des Kindes, welches das Bild gemalt hat, ist unbekannt. Die Herkunft lässt sich nur aus der Verwendung der Landesfahne Syriens erschließen. Ein Polizist hat das Bild in der Notunterkunft in Passau von dem Kind geschenkt bekommen, wie die Polizei mitteilte. In der sogenannten Clearingstelle warten die Flüchtlingsfamilien auf ihre Registrierung. Hier werden sie nach ihrer Ankunft versorgt, Kinder bekommen Spielsachen und auch Malzeug. Personalien werden hier jedoch noch nicht erfasst. Meistens bleiben die Bilder liegen oder landen auf dem Boden. Inzwischen haben die Beamten begonnen, die Bilder an einer Absperrwand aufzuhängen. Eine kleine Galerie ist so entstanden. Manche Beamte nehmen die Bilder auch mit nach Hause.
"Es wird also beim unbekannten syrischen Flüchtlingskind bleiben"
Es ist nicht selten, dass die Kinder das Erlebte durch Malen ausdrücken. „Das Handelsblatt“ widmet den vielen Bildern von Flüchtlingskindern in einer Sonderausgabe am Freitag auf den Seiten 38 und 39 besonderes Augenmerk. Die Bilder stammen ebenfalls aus Passau. „Einmal pro Woche kommt eine Ehrenamtliche in die Clearingstelle in Passau um mit den Flüchtlingskindern zu malen“, schreibt die Zeitung. Viele nutzten das Angebot zu malen, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten und ihre Träume auszudrücken. Die „jungen Künstler“ seien zwischen 14 und 17 Jahren alt. Es ist gut möglich, dass das zweigeteilte Bild von Krieg und Frieden ebenfalls auf diesem Weg entstanden ist.
Da die Bundespolizisten ständig wechseln, sei nicht herauszufinden, wer derjenige war, dem das Kind das Bild übergeben hat. "Es wird also beim unbekannten syrischen Flüchtlingskind bleiben", erklärt Frank Koller, Pressesprecher der Bundespolizeiinspektion Freyung.
Verbreitet hat das Bild die Bundespolizei Bayern über ihren Twitter-Account. „Dieses Bild hat uns sehr gerührt“, sagt Fabian Hüppe, Sprecher der Bundespolizeidirektion München. „Deswegen haben wir uns entschieden, es zu verbreiten.“ Und weiter: „Viele Kollegen nehmen auch Bilder der Flüchtlingskinder mit, als emotionale Andenken. Denn auch für sie ist das hier gerade eine Ausnahmesituation.“ Von wem das Bild stammt, weiß auch Hüppe nicht. Er hat keine weiteren Informationen zu dem Kind oder seiner Familie.
Innerhalb von wenigen Stunden verbreitete es sich tausendfach in den sozialen Netzwerken. Polizeisprecher Hüppe zeigte sich überrascht: „Mit so einer starken Verbreitung hatte ich nicht gerechnet.“ Hunderte Beamte aus ganz Deutschland unterstützen seit Monaten die bayerischen Kollegen bei der Registrierung der Flüchtlinge. „Viele sind wochenlang von ihren eigenen Kindern getrennt und ein solches Bild, das das Schicksal der Flüchtlinge so drastisch aufzeigt, lässt niemanden unberührt“, ergänzte Hüppe. Bei der Bundespolizei entfaltet das Bild eine besondere Wirkung. „Dass das Kind auch die Polizei mit einem roten Herz gemalt hat, berührt die Kollegen natürlich und gibt ihnen eine weitere Motivation für die Arbeit.“
„Es ist wahrscheinlich, dass das Kind die dargestellten Ereignisse erlebt hat, da es diese sonst nicht so zeichnen könnte“, sagt die Psychologin und Traumaforscherin Iris-Tatjana Kolassa von der Universität Ulm der Deutschen Presseagentur (DPA). Vermutlich sei das Malen der Ereignisse auch eine Form der inneren Verarbeitung. Kinder seien in einer sensiblen Entwicklungsphase, und solche Erlebnisse hinterließen tiefe Spuren. Die Wunden könne aber auch erst viel später aufreißen. „Dann, wenn zum Beispiel ein Geräusch gehört wird, das als Schuss interpretiert wird, oder wenn das Kind erneut Blut oder Verletzung sieht oder sich massiv hilflos, bedroht und überfordert fühlt“, erläutert Kolassa.
In der Phase, in der noch keine Symptome für eine posttraumatische Belastungsstörung vorhanden seien, sollten vor allem Sicherheit, Schutz und Tagesstruktur vermittelt werden, rät sie. „Ein Ansprechpartner ist gut, aber man sollte nicht über traumatische Details sprechen, wenn das Bedürfnis nicht vom Kind kommt.“ Die Professorin für klinische und biologische Psychologie ist auch nicht von dem krassen Gegensatz des Bildes überrascht. „Deutschland wird in diesem Bild idealisiert als Land, in dem es Struktur, Schutz und Sicherheit gibt. Und das ist die wichtigste Hoffnung der betroffenen Flüchtlinge.“