Mega-Zyklon trifft auf Indien und Bangladesch: Fünf Millionen Menschen fliehen vor „Amphan“
Einer der stärksten Stürme der vergangenen Jahre trifft auf zwei dicht besiedelte Länder. Corona erschwert die Evakuierung. In Notunterkünften versuchen Behörden irgendwie für Abstand zu sorgen.
Ein starker Wirbelsturm hat das Festland in Indien und Bangladesch mit viel Wind und Regen erreicht. Fernsehbilder zeigen, wie Bäume zusammenbrechen. Zuvor waren nach indischen Behördenangaben mehr als drei Millionen Menschen in Notunterkünfte gebracht worden. In Bangladesch mussten 2,2 Millionen Menschen ihre Häuser verlassen.
Nach Angaben des indischen meteorologischen Dienstes ist Zyklon „Amphan“ einer der schlimmsten Stürme in der Region der vergangenen 20 Jahre. Es seien Windgeschwindigkeiten von bis 185 km/h und bis zu 15 Meter hohe Wellen zu erwarten.
Betroffen sein sollen unter anderem dicht besiedelte Städte wie Kolkata mit seinen 15 Millionen Einwohnern, Küstenregionen mit vielen schlecht gebauten Hütten und das Rohingya-Flüchtlingslager mit mehr als einer Million Bewohnern.
Über Kolkata gingen heftige Regenfälle nieder, die Überschwemmungen verursachten. Der heftige Wind entwurzelte Bäume, die Telekommunikation im Sturmgebiet war gestört. In Teilen der Stadt war die Stromversorgung unterbrochen, weil die Energieversorger sie vorsichtshalber abgeschaltet hatten. „Ich habe so etwas mein ganzes Leben lang noch nicht gesehen“, beschrieb Sriparna Bose, eine Hochschuldozentin, die Sturmszenen.
Indien sowie Bangladesch hatten sich in den vergangenen Tagen unter Hochdruck auf den Sturm vorbereitet. Allein im ostindischen Bundesstaat Westbengalen wurden nach Angaben der Behörden mehr als 300.000 Menschen aus Küstendörfern in Sicherheit gebracht.
Mehr als 20.000 Polizisten, Rettungskräfte und Freiwillige waren mit Booten und Bussen an den Evakuierungen beteiligt, wie die Regierungschefin des Bundesstaats, Mamata Banerjee, sagte. Einige Menschen hätten aber trotz der Gefahr nicht ihre Zuhause verlassen wollen, da sie um Hab und Gut fürchteten.
Corona erschwert Evakuierung
Corona macht die große Evakuierung noch schwieriger als sonst. Um Abstand zu gewährleisten, stellten Behörden beider Länder nach eigenen Angaben mehr Notunterkünfte zur Verfügung als sonst bei solchen Stürmen. Es würden etwa gerade leerstehende Schulen genutzt. Doch mehr Gebäude zu finden sei schwierig gewesen, da einige Notunterkünfte zurzeit als Quarantäne-Gebäude oder temporäre Unterkünfte für gestrandete Wanderarbeiter dienten. Teils würden in den Unterkünften Masken oder Desinfektionsmittel verteilt.
„Normalerweise werden vor so einem Mega-Zyklon Hunderte Menschen in Bussen und mit Lastwägen gemeinsam in große öffentliche Gebäude wie Schulen oder Turnhallen evakuiert“, sagte Hilfekoordinator Felix Neuhaus bei AWO International. „Unter Einhaltung der Abstandsregeln ist das jetzt aber kaum umsetzbar.“
Die Hilfsorganisation Save the Children schrieb vor dem Eintreffen des Zyklons in einer Mitteilung, die Menschen würden wohl nicht in erster Linie an Social Distancing denken, wenn es darum ginge, sich in Sicherheit zu bringen.
Besonders verheerend sehen einige Organisationen die Situation im Rohingya-Flüchtlingslager. „Ohne schnelle internationale Hilfe wird sich das Virus ungehindert in den Lagern ausbreiten - und weitere Stürme werden kommen“, sagte die Vizepräsidentin des European Rohingya Council, Ambia Parveen.
Klimawandel verstärkt Stürme
Beide Länder kämpfen mit immer mehr Corona-Infektionen. In Indien gibt es inzwischen mehr als 106.000 bekannte Fälle und mehr als 3000 Tote. Trotz einer strikten Ausgangssperre hat sich die Kurve im zweitbevölkerungsreichsten Land der Welt nach China nicht abgeflacht. Im Flüchtlingslager der Rohingya wurden kürzlich erste Corona-Fälle bestätigt.
Wirbelstürme kommen im Golf von Bengalen immer wieder vor. In Bangladesch fürchten die Behörden, dass "Amphan" der schlimmste Wirbelsturm seit „Sidr“ im Jahr 2007 wird - damals starben rund 3500 Menschen. Bei einem großen Zyklon im Jahr 1999 starben rund 10.000 Menschen. 1991 wurden in Bangladesch fast 140.000 Menschen durch von einem Zyklon ausgelöste Stürme und Überschwemmungen getötet.
Experten gehen davon aus, dass die Windstärke in den vergangenen Jahren unter anderem wegen des Klimawandels tendenziell zugenommen hat. Die Opferzahlen waren aber in den vergangenen Jahren generell kleiner, da es inzwischen mehr gute Notunterkünfte und Evakuierungspläne gibt. (dpa, AFP)