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Spaniens neuer König Felipe VI.
© afp

Spanien: Felipe muss die Monarchie neu erfinden

Spanien hat einen neuen König. Doch einen Tag nach dem WM-Schock fällt den Untertanen das Jubeln schwer. „Monarquistas“ waren sie ohnehin nie. Felipe VI. steht jetzt vor einer gewaltigen Herausforderung.

Er würde jetzt gerne den neuen König grüßen. Julian Rebollo hat sich bereits am frühen Morgen aufgemacht, um einen guten Platz an der Gran Via zu ergattern, der prachtvollen Straße im Zentrum Madrids, durch die Felipe gleich im offenen Rolls-Royce fahren soll. Doch die Polizei lässt ihn nicht durch mit seiner Fahne. Sie ist rot-gelb-lila gestreift, in den Farben der Republik, Spaniens Regierungsmodell vor der Machtübernahme durch Diktator Francisco Franco. Sie ist an diesem Donnerstag ein nicht erwünschtes Accessoire. Nichts soll die Zeremonie stören, den Eindruck erwecken, dass der neue König Felipe VI. womöglich nicht von seinem ganzen Volk gewollt ist. „Das alles ist doch eine Farce“, schimpft der 73-Jährige, „Wir sind doch nicht im Mittelalter. Selbst meine Enkelinnen verstehen nicht, warum sich jemand nur durch sein Blut als Staatschef qualifizieren soll.“

Nur einen knappen Kilometer weiter stimmt die Inszenierung. Tausende Menschen schwenken ihre rot-gelb-roten Fahnen vorm Palacio Real, dem Königspalast. Sie alle sind gekommen, um ihren neuen König zu bejubeln. Um 12 Uhr 40 öffnen sich die Balkontüren, Felipe VI. tritt heraus mit seiner Frau Letitzia, 41, ihrer achtjährigen Tochter Leonor, der neuen Kronprinzessin, und deren Schwester Sofia, 6. Lauter Jubel aber brandet erst auf, als Felipes Vater Juan Carlos mit seiner Frau Sofia zu sehen ist. „Viva Espana!“, rufen die Menschen im Chor, und es klingt ein bisschen, als ob sie sich dabei auch selbst Mut zuriefen.

Spanien: Verkörpert Felipe eine moderne Form der Monarchie?

Kein Wunder, ist dieser Moment gleich doppelt historisch aufgeladen: Denn am selben Tag, an dem die Regentschaft von Juan Carlos auslief, fand auch eine Ära des spanischen Fußballs ihr jähes Ende. Spanien, der zweifache Europa- und Weltmeister von 2010, gefürchtet als einer der WM-Favoriten, verlor am Mittwochabend 0:2 gegen Chile und schied in der Gruppenphase aus. Der Krönungstag ist für die Spanier der Tag des Neuanfangs.

Denn das schöne Bild eines einheitlichen Spaniens, das hier bei der Proklamationsfeier mit aller Kraft vermittelt werden soll, ist eine Illusion. Das Land ist gleich in mehrfacher Hinsicht geteilt: In Menschen, die in Katalonien und im Baskenland nach Unabhängigkeit streben, während andere ihr Land nicht auseinanderfallen sehen wollen. In Monarchieanhänger und -feinde. In Befürworter und Gegner einer stärkeren Beteiligung des Volkes an politischen Prozessen.

Alberto Velasco, 19, hat sich an diesem Donnerstag extra schick gemacht für seinen neuen König. Gebügeltes Hemd, helle Hose, um seine Schultern flattert die rot-gelb-rot gestreifte Fahne, die er eigentlich für die Weltmeisterschaft gekauft hatte und die er nach dem Aus des Teams am Mittwoch nicht mehr braucht. „Die hat nur Unglück gebracht“, sagt der Politikstudent. „Jetzt bringt sie Felipe hoffentlich mehr Glück“, sagt er auf dem Weg zum Palacio Real. Für ihn verkörpert Felipe eine moderne Form der Monarchie. „Im Gegensatz zu seinem Vater ist er gegen Stierkämpfe, er verzichtet auf eine Krönungsmesse und ist deshalb auch den Konfessionen gegenüber neutral. Dadurch können sich viel mehr Spanier mit ihm identifizieren“, glaubt der Student aus Alicante.

Demonstrationen gegen Felipe waren verboten

Nicht alle in seiner Generation denken wie er, viele Jüngere sind enttäuscht. So wie René Otdaduy. Der 36-Jährige hatte sich viel vorgenommen für diesen Donnerstag. Zusammen mit seiner Gruppe „Coordinadora 25S“, gegründet und benannt nach einem niedergeschlagenen Protest vor dem Parlament am 25. September 2012, wollte auch er gegen die Monarchie demonstrieren. Sie hatten extra einen Thron gebaut, von dem sie Felipe symbolisch stürzen wollten, erzählt er kurz vor der Proklamation. Doch vorab waren jegliche Demonstrationen verboten worden, die Polizei sperrte den Platz Puerta del Sol. Dabei versprach Felipe in seiner Thronrede im Kongress, für seine Regentschaft eine „integre und transparente Monarchie“. Gehört dazu nicht auch, seine Gegner zu Wort kommen zu lassen?

Mehr als jeder vierte Spanier ist arbeitslos

Otaduy macht das nur noch wütender. Wie er können viele junge Spanier nicht fassen, dass an der Spitze seines Staates weiterhin jemand stehen soll, der sich bloß durch seine Geburt für diese Aufgabe qualifiziert hat. Sie wollen kein System mittragen, in dem eine Familie Pomp, Privilegien und Paläste genießt, während sie sogar für ein Praktikum bezahlen müssen, weil die Plätze so begehrt sind. Mehr als jeder vierte Spanier ist arbeitslos, unter den Jüngeren sogar jeder Dritte – so viele wie nie zuvor.

Auch Otaduy sucht einen Job. Er hat Soziologie studiert, anschließend in einer kleinen Firma Bildungsprojekte für öffentliche Einrichtungen organisiert. Als die Mittel gestrichen wurden, ging die Firma pleite. Vier Jahre ist das jetzt her. Wenn man ihn fragt, was er heute macht, sagte er: „Ich bin Precario.“ Klingt wie ein Beruf, bezeichnet aber die Lebenssituation einer ganzen Generation. Trotz guter Ausbildung finden diese jungen Spanier keine Jobs, sie bilden ein Prekariat ohne Perspektive.

Die Staatsverschuldung liegt auf Rekordniveau mit 96,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 2015 wird sie die symbolische Marke von 100 Prozent überschreiten, teilte die spanische Zentralbank am vergangenen Freitag mit. Weil sich die „Precarios“ von der Politik ignoriert fühlen, haben sie sich organisiert, um gegen Korruption, Kürzungen und die Monarchie zu protestieren, die sie nicht als moralisches Korrektiv der Politik, sondern nur als Teil des maroden Systems sehen. „Wer gegen die Monarchie kämpft, kämpft für die Demokratie“, sagt Otaduy fest entschlossen.

Diesen Kampf hat Otaduy verloren. Vorerst. Felipe ist nun König. Und doch muss er seinen Gegnern nun beweisen, dass er auch ihr König sein kann. Dabei steht er vor keiner geringeren Herausforderung, als die Monarchie in seinem Land neu zu erfinden – denn „Monárquicos“ waren die Spanier nie, sie sind „Juan Carlistas“, dankbar dafür, was Juan Carlos in seiner 39-jährigen Amtszeit für ihr Land getan hat. 1969 war er von Diktator Franciso Franco als Nachfolger bestimmt worden, er sollte Spanien als faschistische Monarchie regieren. Doch nur zwei Tage nach Francos Tod am 20. November 1975 sprach sich Juan Carlos für die Demokratie aus.

Wie Juan Carlos 1981 einen Militärputsch in Spanien abwendete

1978 wurde die demokratische Verfassung verabschiedet – nur drei Jahre später wurde Juan Carlos Schwur auf die wohl größte Probe gestellt: Angehörige der Armee und einstige Anhänger Francos versuchten die Macht am 23. Februar 1981 durch einen Militärputsch zu übernehmen, sie stürmten das Parlament, gaben Warnschüsse ab, durch Valencia rollten bereits die Panzer. Doch Juan Carlos, als König auch Chef des Militärs, vereitelte die Übernahme. Er zog die Putschisten auf seine Seite und bekannte sich in einer Fernsehansprache erneut klar zur Demokratie. Noch heute sind die Einschusslöcher in der Decke des Parlaments zu sehen, als Mahnung und Warnung. Felipe, damals 13 Jahre alt, hatte die Verhandlungen hinter den Kulissen mitverfolgt. „Er sollte sehen, wie ich mein Amt ausübe, wenn alles in Frage gestellt ist“, sagte Juan Carlos später über diese Nacht.

Antonio Martínez erinnert sich noch gut an diesen Tag, der als „23F“ in die Geschichtsbücher einging. Er war 21 und verfolgte die Ansprache im Fernsehen. „Juan Carlos hat das Land damals gerettet. Er hat uns viel Ruhe gebracht“, sagt der heute 54-Jährige, während er einen Karton für Weinflaschen zusammenfaltet. Martínez, graue Haare, schwarze Weste über dem weißen Hemd, ist Maitre im Café de Oriente, das vis a vis vom Palacio Real liegt. Er weiß, was Juan Carlos geleistet hat und ist trotzdem froh, dass der König den Weg jetzt freimacht für seinen Sohn. „Der war ja schon ganz tollpatschig“, meint Martínez, „schon vor zwei Jahren hätte er abtreten sollen.“ Damals war der Finanzskandal um Juan Carlos’ Tochter Cristina und seinen Schwiegersohn Iñaki Urgandarin bekannt geworden, der sich im Namen des Königshauses bereichert hatte und dem Ansehen der Monarchie schwer schadete.

Juan Carlos konnte die Korruptionsaffäre von seiner Person trennen, beging aber selbst einen großen Fehler, als er, der Ehrenvorsitzende des Tierschutzverbands WWF, sich auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2012 zur Elefantenjagd nach Botswana einladen ließ, begleitet nicht von seiner Frau Sofia, sondern von der Deutschen Corinna zu Sayn-Wittgenstein. Bekannt wurde der Luxustrip nur, weil sich Juan Carlos die Hüfte brach und in Spanien behandelt werden musste.

Zwar entschuldigte sich Juan Carlos zähneknirschend, doch sein Ansehen litt zusehends, das Volks wandte sich mehr und mehr von seinem König ab. Anfang diesen Jahres bekannten sich in Umfragen erstmals weniger als die Hälfte der Spanier zur Monarchie, 62 Prozent sprachen sich sogar für eine Abdankung aus.

Juan Carlos darf sich auch weiterhin König nennen

Nun sah offenbar auch Juan Carlos ein, dass seine Zeit vorbei war. Vor nicht einmal zwei Wochen, am 2. Juni, gab Ministerpräsident Manuel Rajoy den Rücktrittswunsch des Königs bekannt – das Problem nur: Ein solcher Rücktritt ist in Spaniens Verfassung gar nicht vorgesehen. Im Eilverfahren verabschiedete der Kongress deshalb vergangene Woche die Änderung mit der Mehrheit von 299 Stimmen. Abgelehnt wurde dagegen ein Antrag der oppositionellen Vereinten Linken (IU) und kleinerer Parteien, das Volk per Referendum über die Abschaffung der Monarchie abstimmen zu lassen. „Die Frage der Staatsform steht nicht auf der Tagesordnung“, sagte Rajoy, der mit der konservativen Volkspartei (PP) das Land regiert – der Blick auf die Straße zeigte jedoch ein anderes Bild. Wie René Otaduy demonstrierten in Spanien zehntausende Menschen gegen die Monarchie und forderten eine Volksabstimmung. Viele schwenkten rot-gelb-lila gestreifte Fahnen, die Farben der Republik. „Wir brauchen eine neue Staatsform“, sagt Otaduy. „Es kann doch nicht sein, dass an der Spitze unseres Staates ein Mann und nun dessen Sohn steht, der von Franco bestimmt wurde. Das wäre doch so, als ob Deutschlands Staatschef von Hitler nominiert worden wäre“, empört er sich.

Maitre Martínez hat Felipe bereits acht Mal getroffen, er leitete das Catering bei einer Preisverleihung, der Prinz kam anschließend in die Küche, um sich für das gute Essen zu bedanken. „Er ist ein sehr höflicher Mensch”, versichert Martínez und zeigt stolz die Fotos vom Handshake, die er auf seinem Handy gespeichert hat. Einmal hat er Felipe sogar persönlich bedient im Café de Oriente, 17 Jahre ist das jetzt her, der Prinz war damals noch „soltero”, Single, und kam mit ein paar Freunden vorbei. Auf ein Bierchen? „Nein, nein, der trinkt nur Coca Cola”, versichert Martínez.

Das spanische Königshaus ist eines der preiswertesten in Europa

„Felipe der Bescheidene”, so witzeln bereits die Medien über ihn, weil er seine Proklamationsfeier im kleinen Rahmen hält. 2000 Gäste waren nach der Vereidigung im Kongress am Donnerstagvormittag in den Palacio Real geladen, weder Vertreter anderer Königshäuser noch Staats- oder Regierungschefs – bloß kein großer Zirkus wie bei Willem-Alexander, der sich im vergangenem April zum König der Niederlande krönen ließ. Solch eine Feier hätte Felipe wohl gleich zum Start Minuspunkte beschert. Dabei ist das spanische Königshaus bereits eines der preiswertesten in Europa – zumindest den offiziellen Budgetberechnungen nach. 8,16 Millionen Euro wurden für Juan Carlos und seinen Hofstaat 2013 ausgegeben, das sind 18 Cent pro Einwohner – und nur knapp die Hälfte dessen, was Deutschland pro Einwohner für den Haushalt des Bundespräsidenten zahlt. Allerdings: Das Geld, das beispielsweise für Palastangestellte oder die Palastwache ausgegeben wird, ist in den Berechnungen nicht enthalten.

Doch die Kosten zu reduzieren wird allein nicht ausreichen, um sein Volk von „Juan Carlistas“ zu „Felipistas“ werden zu lassen – zumal es sich nicht so schnell von seinem Vater lösen können wird. Der darf sich weiter König nennen, Spanien hat damit gleich zwei Regenten, eine bisher beispiellose Ehre. Und für Felipe womöglich eine Bürde. Er werde ein "Verfechter der Einheit Spaniens sein", kündigte er am Donnerstag an, eine Anspielung darauf, dass er die nach Unabhängigkeit strebenden Menschen in Katalonien und im Baskenland für die Einheit des Landes gewinnen will. Es wird seine erste große Bewährungsprobe sein.

„Precarios“ wie Otaduy werden genau verfolgen, ob und wie er mit den Menschen in den Dialog tritt. Einen Scherz machen können sie immerhin schon über ihren neuen König: Seine Proklamation sei am Ende doch ein gutes Zeichen, zeige sie doch, dass auch ein 46-Jähriger ohne Berufserfahrung in Spanien einen Job finden kann.

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