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Küchenchef. Claus Henriksen mit Federvieh in der Küche von Schloss Dragsholm.
© promo Schloss Dragsholm

Dänemark: Feinschmecker wie die Wikinger

Katzenminze, Salzmiere und Spargelbier – Dänemark wird immer mehr zu einem Mekka für Gourmets. Sie lieben Lammhirn mit Knoblauchrauke und kandierten Kräutern.

Die Gäste, die nach der Besichtigung der Wikingerschiffe im dänischen Roskilde hungrig ins Restaurant „Snekken“ nebenan gehen, sind meist ziemlich irritiert. Komische Speisekarte ... Dann sickert die Erkenntnis ein: Das Essen ist zwar modern zubereitet, aber nur mit Produkten, die auch den Wikingern zur Verfügung standen, es gibt also keine Kartoffeln, Tomaten, Zitronen, Gurken, Ananas. Die Wissenschaftler des Museums haben für die Besucher eine ganze Liste zum Thema „Welche Lebensmittel kamen wann zu uns?“ zusammengestellt – und das Konzept ist erfolgreich, auch wenn es sich nicht direkt an Gourmets richtet. „Wir haben damit das Restaurant endlich als Teil des Museums etabliert“, sagt Museumssprecherin Rikke Johannsen, „und es kommen viel mehr Gäste als früher zum Essen“.

Das Konzept hat auch einen Namen, der es in den richtigen Zusammenhang rückt: „New Nordic Viking Food“. Neu und nordisch – das zieht Feinschmecker aus aller Welt schon seit Jahren nach Skandinavien. Was Küchenchefs in Kopenhagen, Stockholm, Oslo und Helsinki anrichten, ist die spannende, totale Neuerfindung einer neuen Regionalküche aus dem Nichts, und dieser Wandel hat nicht einmal zehn Jahre gedauert.

Am Anfang, 2004, stand das Manifest der „New Nordic Cuisine“. Der dänische Initiator Claus Meyer hat mit diesem kulinarischen Aufschrei eine Lawine in Bewegung gesetzt, indem er eine schlichte Idee öffentlichkeitswirksam formulierte: Es sei möglich, sehr gut zu kochen, ohne fernen Vorbildern zu folgen, einfach durch Besinnung auf die Produkte, die vor der Haustür wachsen oder im nächsten See schwimmen. Das Kopenhagener Restaurant „Noma“, das Meyer zusammen mit Küchenchef Rene Redzepi 2003 gründete, galt einer internationalen Jury bereits 2010 als „bestes“, in der Realität zumindest interessantestes und meistdiskutiertes Restaurant der Welt.

Die Dänen haben diesen Anstoß in geradezu lehrbuchhafter Weise genutzt. Viele staatliche Gelder flossen in die Promotion und Ausbildung, und heute heißt es unter Insidern, neben der Meerjungfrau und den klassischen Sehenswürdigkeiten seien die Restaurants inzwischen der wichtigste Grund für einen Kopenhagen-Besuch.

Doch langsam strahlt dieser Glanz auch ins Land aus: Wer genau hinschaut, der sieht im ganzen Land den Beginn eines Wandels von agrarischer Massenproduktion zu individueller Qualität. Eine der Schlüsselfiguren dieser Entwicklung ist der Landwirt Søren Wiuff, der seine Pflanzen in Nordostseeland auf einem sandigen Schwemmboden kultiviert, den seine Vorfahren einst der Ostsee abgerungen haben. Der „Lammefjorden“ ist für seinen Spargel berühmt, aber dort wachsen auch viele andere Gemüse und vor allem Kräuter wie Bärwurz und Sauerklee, die ein Noma-Markenzeichen geworden sind. Wiuff ist praktisch der Hoflieferant der dänischen Top-Gastronomie, und sein Rat ist international gefragt, wenn es darum geht, wie Produkte höchster Qualität und mit regionalem Charakter angebaut werden können. Ein Bio-Bauer ist er nicht, er betreibt wissenschaftlich ausgefeilten konventionellen Anbau, obwohl das Zauberwort „organic“ auch in Dänemark immer wichtiger wird.

Schlosshotel Dragsholm ist eines der kulinarischen Zentren Dänemarks

Einer seiner Kunden wohnt gleich um die Ecke. Claus Henriksen, der Küchenchef im Schlosshotel Dragsholm, war Sous-Chef im „Noma“. Nun geht er noch einen Schritt weiter und komponiert Menüs, die ganz und gar die Natur der Umgebung reflektieren. Wiuffs Spargel legt er auf den Grill, bis die Schale schwarze Spuren zeigt. Dann schält er ihn, serviert ihn mit Sauerampfer, krossen Brotscheiben und einem Kräutersalat. Zum geräuchertem Lammhirn in dünnen Scheiben gibt es Zwiebelsprossen, Knoblauchrauke und Bärlauch, und als Dessert wiederum kandierte Kräuter mit einem Selleriesorbet und Joghurt.

Huhn, Lachs, Hering, Nüsse. Alles, was auf diesem Brett im „Snekken“ in Roskilde liegt, kannten schon die alten Wikinger, auch wenn sie es wahrscheinlich einst etwas anders angerichtet haben.
Huhn, Lachs, Hering, Nüsse. Alles, was auf diesem Brett im „Snekken“ in Roskilde liegt, kannten schon die alten Wikinger, auch wenn sie es wahrscheinlich einst etwas anders angerichtet haben.
© Kasper Fogh

Mit der Lieferung all dieser Produkte wäre auch ein Bauer überfordert. Deshalb arbeitet Henriksen mit dem Ranger Jørgen Stoltz zusammen, der in den Wäldern und Wiesen Dragsholms ebenso essbare Pflanzen sammelt wie am Spülsaum der Ostsee. Bärlauch und Queller, das ist fast schon Routine in Skandinaviens Küchen, aber hier kommen Pflanzen wie Taubnessel, Schafgarbe und Katzenminze hinzu und vom Strand Seekohl, Salzmiere oder Strand-Platterbse. Henriksen ist sich ganz sicher, dass er nur mit diesem Rezept eine Chance hat in einer Gegend, in der es sonst nur Felder und Sommerhäuser gibt, anderthalb Autostunden von Kopenhagen entfernt: „Meine Küche kann es so nur hier geben und nirgendwo sonst“.

Landwirt Søren Wiuff auf seinem idealen sandigen Schwemmboden.
Landwirt Søren Wiuff auf seinem idealen sandigen Schwemmboden.
© Kasper Fogh

Kein Wunder, dass nun auch die Getränke zur Diskussion stehen. Qualitätsbesessene Bierbrauer der jüngeren Generation haben in den letzten Jahren in Dänemark rund 160 Kleinbetriebe gegründet. Einer von ihnen ist Tore Jørgensen, der Inhaber der Brauerei in Herslev. Ohne die Fesseln des deutschen Reinheitsgebots experimentiert er mit Kräutern und Honig, und für die Saison hat er zusammen mit Søren Wiuff eine besondere Spezialität ausgetüftelt: Spargelbier, das mit den Wurzeln älterer Pflanzen gebraut wird und Henriksens gegrillten Spargel perfekt begleitet.

Doch das muss natürlich nicht sein. Auch im Museum in Roskilde gibt es Kaffee, den die Wikinger nicht kannten. Doch ohne kommen die kaffeebesessenen Dänen einfach nicht in die Gänge.

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