Hohe Lebenshaltungskosten in Israel: Facebook-Post ruft zum Auswandern nach Berlin auf
Trotz heftiger Sozialproteste im Sommer 2011 sind die Lebenshaltungskosten in Israel weiter enorm hoch. Ein Facebook-Post ruft nun dazu auf, in die deutsche Hauptstadt auszuwandern.
Als wäre nichts geschehen, lebt Yonatan Levi auch drei Jahre nach den Sommerprotesten in Israel noch immer in einer Wohngemeinschaft in Tel Aviv. „Ich kann es mir nicht leisten, alleine zu leben, geschweige denn eine Wohnung zu kaufen“, sagt der 29-jährige Berufstätige. Vor drei Jahren war er einer der knapp ein Dutzend Initiatoren und Organisatoren der Proteste auf dem RothschildBoulevard im Zentrum Tel Avis, bei dem Tausende Israelis unter anderem gegen die hohen Lebensmittelpreise und Mieten protestierten. Er erinnert sich noch genau an den Sommer, in dem mehr als 120 Zeltstädte in ganz Israel aufgebaut wurden: „Wir glaubten, dass danach nichts mehr so sein würde, wie es vor den Protesten war. Wir dachten, wir gründen Israel neu, wie es unsere Großeltern getan hatten.“
Doch heute weiß Yonatan, dass sich nichts verändert hat. Noch immer lässt er viel Geld an der Supermarktkasse, wenn er einkaufen geht. Noch immer braucht er gar nicht darüber nachzudenken, mal ohne Mitbewohner zu leben.
Es war ruhig geworden um das Soziale in Israel. Doch seit einigen Tagen ist sie wieder da, die Diskussion über die hohen Lebenshaltungskosten. Diesmal jedoch zieht es die Protestierenden nicht auf die Straßen ihres eigenen Landes, sondern gleich ins Ausland – nach Berlin.
Wir wandern nach Berlin aus
Es begann mit einem Post in der Facebook-Gruppe „Olim be Berlin“ (Wir wandern nach Berlin aus): Gerade einmal 19 Cent kostet der Schokopudding in der deutschen Hauptstadt. Rund drei Schekel, 60 Cent, sind es in Israel. Dabei liegt der Durchschnittsverdienst pro Jahr und Haushalt laut OECD in Israel mit 20 434 Dollar unter dem Durchschnitt und unter dem Deutschlands (30 721 Dollar).
Die jungen Israelis riefen auf Facebook europäische Länder dazu auf, ihnen eine Aufenthaltserlaubnis zu geben, damit sie den unmöglich hohen Preisen in ihrer Heimat entfliehen können. „Wir sehen uns in Berlin“ heißt es da. Prompt folgte die Reaktion von Politikern: Finanzminister Yair Lapid (Yesh Atid) äußerte Verständnis und kündigte vor kurzem an, er wolle Preiskontrollen einführen. Doch dass sich nun etwas verändern wird, daran zweifelt nicht nur die ehemalige Protestgemeinde, sondern auch der Wirtschaftswissenschaftler Omer Moav von der IDC Herzliya und der Warwick Universität in England. „Ich bin sehr besorgt über Israels Zukunft.“ Das Problem seien die Monopole und die hohen Steuern für Importe. „Die Regierung sollte diesen Unsinn beenden. Doch Premierminister Benjamin Netanjahu konzentriert sich auf das Verteidigungsbudget und eben nicht den wirtschaftlichen oder zivilen Bereich. Und Finanzminister Lapid will von allen gemocht werden und ist nicht bereit, irgendetwas zu verändern.“
Der Pudding-Post hat die Diskussion immerhin wieder ins Rollen gebracht. Daphni Leef, 28, die damalige Initiatorin der Sommerproteste, hat vor wenigen Tagen über Facebook zum Boykott besonders teurer Produkte wie Cornflakes aufgerufen. Weitere Aktionen seien geplant, es brauche eben Zeit, bis Veränderungen eintreten. „Ich glaube nicht, dass die Proteste vergeblich waren. Jedes zehnjährige Kind, das dabei war, wird sich daran erinnern, der Protest wird Teil seiner Identität werden. Es hat gelernt, dass es in Ordnung ist, für seine Rechte einzustehen.“
Der Schokopudding - Symbol für die Situation der Mittelklasse
Yonatan, der für einen Think Tank arbeitet und sich mit sozialpolitischen Themen befasst, nennt die Atmosphäre in Israel hingegen enttäuschend. „Seit den Wahlen 2012 ist die Situation sogar schlimmer geworden. Die Leute sind wütend, weil sich trotz des historischen Ereignisses nichts verändert hat.“ Kurz nach den Protesten ließ Premierminister Netanjahu (Likud) das neu zusammengestellte sogenannte Trajtenberg-Komitee Vorschläge erarbeiten. Eine der wenigen Dinge, die erreicht wurden, war, dass der Kindergarten für Kinder ab drei Jahren nun vom Staat bezahlt wird, sagt Yonatan.
Daphni und Yonatan haben eine Menge Freunde, die ins Ausland gegangen sind. „Viele von ihnen sind nach Berlin“, sagt Yonatan und hat Verständnis dafür. Dennoch: „Es ist besorgniserregend, wenn so viele junge Menschen meiner Generation aufgeben.“ Der Schokopudding stehe dabei nur symbolisch dafür, dass sich die Politiker nicht um die Situation der Mittelklasse kümmern. „Sie machen uns Angst vor einen Nuklearkrieg mit dem Iran, aber wir können nicht von Angst leben. Wir brauchen Visionen, Hoffnung und soziale Solidarität.“