Island: Eyjafjalla-Vulkan: Glas auf der Haut
Niemand darf sich ohne Genehmigung dem Eyjafjalla-Vulkan nähern – eine Fahrt in die Aschewolke mit einem Panzer aus Berlin.
„Der König will segeln, doch der Wind trifft für ihn die Entscheidung“
Isländisches Sprichwort
Der Wind trägt die Asche vom Berg fort aufs Meer, fort nach Europa. Im benachbarten Reykjavík dagegen erscheinen die Bilder vom Eyjafjalla in Zeitung und Fernsehen so fern, als würde all das in Peru passieren. Seit Tagen trübt in der isländischen Hauptstadt kein Wölkchen den Himmel. Die Temperatur beträgt nur ein Grad über Null, aber die Isländer laufen teilweise schon in T-Shirts durch die Straßen, junge Frauen sitzen draußen vor den Cafés und zeigen ihre tiefen Dekolletés. Die Isländer haben ein anderes Temperaturgefühl – nur so lässt sich erklären, dass sie morgen den ersten offiziellen Sommertag zelebrieren, dafür gibt es im Inselstaat sogar einen eigenen Feiertag.
Eine Aschewolke? In Reykjavík ist sie bisher nicht angekommen. Es wird zwar immer wieder angekündigt, dass sich der Wind gen Westen – also in Richtung Hauptstadt – drehen könnte, doch bisher ist das nicht passiert. Und so gibt es auch Anfang der Woche in den Gesundheitszentren nicht die angekündigten Schutzmasken, die man tragen soll, wenn die Aschewolke kommt. „Wir haben sie noch nicht bekommen, weil die Wolke ja auch noch nicht zu sehen ist“, sagt die freundliche Rezeptionistin. Als sie hört, dass die Besucherin zum Vulkan fährt, kramt sie im Lager und findet in einer Kiste einige Exemplare.
Isländer regeln vieles in letzter Minute, und meist klappt auch alles, schließlich sind die Wege hier kürzer. Trotzdem spiegelt diese Gelassenheit auch die allgemeine Haltung der Isländer wider. Das ist für uns kein großer Ausbruch, sagen einige. Da gab es schon viel spektakulärere. Katla 1918 zum Beispiel, und viele erinnern sich an die Ausbrüche von Hekla, einem Vulkan, der ebenfalls im Süden Islands liegt und seit 1970 etwa alle zehn Jahre ausgebrochen ist. Katla und Hekla sind übrigens beides beliebte Mädchennamen – trotzdem oder gerade deswegen.
Die meisten Isländer haben ein anderes Verhältnis zur Natur. Sie ist überall und scheinbar endlos – kaum ein Wald trübt die freie Sicht auf die moosbewachsenen Lavafelder und die Berge in der Ferne. Ebenso auf der Fahrt Richtung Osten zum Krisengebiet: zum Eyjafjalla. Eine Stunde dauert es mit dem Auto, bis in der Ferne die riesige Aschewolke zu sehen ist, die sich seit einer Woche in den Himmel schraubt.
106 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, in Hvolsvöllur, befindet sich das Hauptquartier der Slysavarnafélagið Landsbjörg, der freiwilligen Rettungsmannschaft Islands. Seit dem 14. April sind die Helfer ununterbrochen im Einsatz, da es in Island keine Armee gibt, kümmern sich die freiwilligen Rettungshelfer um die Menschen in der betroffenen Region. Dafür werden sie von ihrem regulären Job freigestellt. Einer von rund 250 Helfern ist Þór Binó Friðriksson, seit fünf Tagen ist der 23-Jährige nun im Dauereinsatz, nur selten findet er auf einem der Sofas Schlaf. Þór lebt eigentlich in einer Kleinstadt bei Reykjavík. Sein Team wurde unter anderem deshalb zu Hilfe gerufen, weil sie über ein spezielles Gefährt verfügen, das selbst Steinhagel und den schlimmsten Sturm übersteht. Zwei Wagen dieser Art gibt es auf ganz Island. „Es ist ein alter Räumpanzer aus Berlin”, erzählt er und führt den Panzer stolz vor, der nun zum isländischen Rettungswagen umgebaut wurde. Innen pappt noch das deutsche Schild „Rauchen verboten“, und man erkennt die Stelle, an der einst der Wasserwerfer steckte. „Der Wagen ist fast wie ein eigener Bunker“, sagt Þór und muss schmunzeln. „Er ist zehn Tonnen schwer, den haut so schnell nichts um.“ Zeitweise mussten 700 Anwohner aus den weit verstreut liegenden Farmen evakuiert werden. Die größte Gefahr bestand neben der Aschewolke vor allem durch die Fluten, die für einige Tage auch die Nationalstraße Nummer 1, eine Ringstraße rund um die Insel, unterbrachen und die Vulkanhänge herunterstürzten. Manche Bauern liefen die Berge hoch, um sich zu retten.
Das Zentrum des Roten Kreuzes ist weiterhin geöffnet, die meisten Bewohner in der Nähe des Vulkans bleiben trotz der schlechten Bedingungen zu Hause. Sie sorgen sich um ihre Tiere – viele sind Farmer, die Schafe, Pferde oder Kühe halten. Eine Bäuerin zeigt ihre Schafherde, die in einem Stall untergebracht ist. Der feine Staub hat sich durch alle Ritzen geschlichen, und so sind die Schafe auch grau anstatt weiß. Die Bäuerin klopft ihnen aufs Fell und löst eine mächtige Staubwolke aus. Selbst ein gerade frisch geborenes Lamm schaut schon verstaubt in die Gegend.
Für die Schafe gibt es immerhin noch Ställe, doch die zahlreichen Islandpferde leben das ganze Jahr über im Freien, manche sogar wild. Wo sollen sie untergebracht werden? Wie kann man verhindern, dass sie das durch Fluoride verseuchte Gras futtern?
Doch die Isländer halten sich ruhig und tapfer, sie versuchen, das Beste aus ihrer Lage zu machen. Sie sind müde, aber nicht hoffnungslos. Irgendwie wird es schon weitergehen, wenn auch ihre Unbekümmertheit zunehmend verloren ist, was den Eyjafjalla angeht. Bisher war er für sie ein schöner Berg, nun ist er auch Gefahr. Immer wieder befreien sie ihre Häuser von dem Staub, der einfach überall ist.
Auch die Rettungshelfer haben damit zu kämpfen, heute Morgen noch bedeckte eine drei Zentimeter dicke Ascheschicht den Panzer. Nun glänzt er im Sonnenlicht. „Denk an deine Maske“, sagen die Helfer, bevor wir uns auf den Weg zum Vulkan machen. Auch in Hvolsvöllur ist die Luft noch angenehm, der Eyjafjalla schraubt die Wolke weiter ins Land. Die unterbrochene Straße ist inzwischen repariert, dennoch ist sie bis Montagabend für den allgemeinen Verkehr gesperrt – nur Anwohner und Journalisten dürfen an der Patrouille vorbei.
„Dies ist kein Touristenvulkan“, warnt Ólöf Baldursdóttir, die Sprecherin der Rettungshelfer. Wir passieren die Kontrolle und steuern direkt auf die Wand zu, die an diesem Tag dunkelgrau und nicht mehr schwarz ist. Sie ähnelt eher einem kräftigen Nebel, nur dass die Luft sehr stickig ist. Ich begleite den Fotografen Christopher Lund und den in Island berühmten Umweltaktivisten und Autor Andri Snær Magnason. Der 36-jährige Andri ist an diesem Tag zu Witzen aufgelegt. Vorhin rief ihn eine schwedische Journalistin an und fragte, was denn gerade in Island los sei. „Das ist die Rache für die globale Erwärmung”, sagt er ihr. Warum er heute hier ist? „Wir wollen die Asche einatmen”, scherzt er.
Christopher steuert mit seinem Jeep weiter zielstrebig die Straße entlang, es ist grau und stickig. In der Nähe müssten die Berge sein, doch davon ist nichts zu sehen. Wir fahren in eine Schleierwand – zwischendurch scheint ein wenig Licht durch, kurz darauf wird es wieder verschluckt. Der Staub setzt sich überall ab, in den Haaren, auf der Haut – alles ist von einem feinen Aschefilm bedeckt. Kameras und Handys müssen in Plastik eingepackt werden, damit sie nicht kaputtgehen. Alle husten ständig, die Pappmasken bieten nur wenig Schutz – die Profis haben richtige Gasmasken dabei.
Wir steigen aus, machen Fotos. Sobald man durch das trockene Gras läuft, wirbelt es große Staubwolken auf. „Ist es nicht Wahnsinn, dass dies alles vor kurzem tief unter der Erde war?”, sagt Andri Snær. Die Augen brennen, es fühlt sich an, als würden winzig kleine Glassplitter wie Schmirgelpapier auf der Netzhaut reiben. Entzündungen in den Augen sind neben Rauchvergiftungen die größte Gefahr bei der Fahrt durch die Region. Nach einer Stunde Ascheschlucken kehren wir zurück und versuchen, das Grau aus Haaren, Kleidern und Poren zu waschen.
Zurück im Hauptquartier der Slysavarnafélagið Landsbjörg findet der isländische Geophysiker Einar Kjartansson, dass die Lage gar nicht mehr so schlimm sei. Die Wolke werde kleiner und bewege sich in geringerer Höhe. Erstmals ist auch die rote Lava zu erkennen. Einar glaubt nicht, dass der benachbarte große Vulkan Katla, vor dem sich jetzt viele fürchten und dessen Wucht um ein Vielfaches größer sein könnte, bald ausbricht. „Ich mache mir wegen Katla keine Sorgen, andere Vulkane sind da eruptiver”, sagt der Experte vom Icelandic Meterological Institute. „Hekla zum Beispiel.“
Island hat viele Vulkane. Kurz darauf wird es unruhig. „Es gibt Meldungen, dass Hekla ausbricht“, ruft ein Journalist. Ólöf Baldursdóttir runzelt die Stirn, dann läuft sie kurz hinaus und kommt nach wenigen Minuten wieder. Sie hat sich den nahe gelegenen Vulkan angesehen und zur Sicherheit im Internet beim Wetterinstitut nachgeschaut. „Das ist doch Quatsch”, ruft sie in die Runde. Die anwesenden Reporter beruhigen sich wieder. Dann diskutieren einige Fotografen über ihre schlechte Bezahlung in der fernen Heimat. Von weit her gekommen, sind sie die einzigen Vulkanopfer Islands.
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