Moskau: Einmal Bewährung, zweimal Straflager für Pussy-Riot-Sängerinnen
Im Berufungsverfahren gegen die Punk-Band Pussy Riot ist ein Urteil gefallen: Eine der Angeklagten kommt auf Bewährung frei. Die beiden übrigen Sängerinnen aber müssen tatsächlich zwei Jahre ins Straflager.
Das Urteil im Berufungsverfahren der Punk-Band Pussy Riot ist gefallen: Zwei Jahre Haft für Marija Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa, die eigentlichen Akteurinnen der Anti-Putin-Performance. Doch Jekaterina Samuzewitsch, die dritte Angeklagte, die in erster Instanz die gleiche Strafe kassiert hatte, kommt mit Bewährung davon. Dies entschied am Mittwoch das Moskauer Stadtgericht im Berufungsverfahren. Die Verteidigung will jetzt den Obersten Gerichtshof Russlands und notfalls den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen. Die Causa der feministischen Punk-Gruppe Pussy Riot ist eine der spektakulärsten der jüngeren russischen Justizgeschichte. Zwei Mitglieder der Band – Aljochina und Tolokonnikowa – hatten kurz vor den russischen Präsidentenwahlen Anfang März mit Häkelmasken vor dem Gesicht, ansonsten aber leicht bekleidet, auf dem Altar der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche zur Gottesmutter um Vertreibung Putins gebetet und dabei die orthodoxe Liturgie parodiert, teils in nicht druckreifem Slang. Drei Mitglieder, darunter die auf Bewährung verurteilte Samuzewitsch, hatten bei dem Auftritt assistiert. Strenggläubige und die staatlichen Medien forderten strenge Strafen wegen Gotteslästerung.
Einen derartigen Straftatbestand gibt das russische Recht jedoch nicht her. Ebenso wenig wie den der Majestätsbeleidigung, den Menschenrechtsgruppen als eigentliches Vergehen der Frauen in den Augen der Obrigkeit sehen. Aljochina, Tolokonnikowa und Samuzewitsch wurden daher wegen Rowdytums angeklagt und Mitte August zu je zwei Jahren Haft verurteilt, obwohl darauf lediglich Bußgelder oder Ordnungsstrafen stehen. Beweisanträge oder Forderungen nach Anhörung von Entlastungszeugen und Experten schmetterten die Richter im ersten wie im zweiten Verfahren ab. Das Berufungsgericht verkündete am Mittwoch sein Urteil nach zweieinhalbstündiger Verhandlung. Die Musikerinnen hatten auf Freispruch plädiert, die Staatsanwaltschaft erneut auf zwei Jahre Lagerhaft. Einen Antrag der Verteidigung auf Anhörung von Zeugen und ein neues Gutachten lehnten die drei Richter ab.
Im Prozess erklärten die Frauen, dass es sich bei ihrem Auftritt in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau um einen rein politisch Protest gehandelt habe. Sie hätten nicht die Religion beleidigt. Ihre Kritik an Kremchef Wladimir Putin bekräftigten die Bandmitglieder jedoch. „Wir sind bisher gegen Putin aufgetreten und tun dies jetzt“, sagte die Aktivistin Samuzewitsch. Die Richterin unterbrach immer wieder Aussagen der Kremlgegnerinnen gegen Putin mit dem Hinweis, das Gericht sei keine politische Bühne, wie Beobachter berichteten.
Auf die Angeklagten sei Druck ausgeübt worden, klagte der Anwalt Nikolai Polosow: die Ermittler hätten versucht, die Pussy-Frauen, die schon „sehr müde und zermürbt“ seien, gegeneinander auszuspielen. Der Trick, mit dem schon der Sowjetgeheimdienst KGB zuweilen bei Dissidenten erfolgreich war, funktionierte. Samuzewitsch hatte unmittelbar vor dem Berufungsverfahren ihre Anwältin entlassen und darauf bestanden, ihre Causa gesondert zu verhandeln. Sie sei nur bereit, sich für das zu verantworten, was sie wirklich getan habe
Anwalt Polosow kritisierte zudem die russische Regierung scharf für ihre öffentliche Einmischung in den Prozess. Präsident Wladimir Putin hatte am Montag im Interview mit dem Fernsehsender NTV erklärt, er halte das Urteil gegen die drei Frauen für richtig. Die Entscheidung sei korrekt, denn niemand dürfe „die moralischen Grundlagen untergraben“, hatte Putin gesagt. Das sei zweifellos eine Ausübung von Druck auf das Berufungsgericht, dessen Entscheidung dadurch vermutlich beeinflusst werde, sagte Polosow. Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten während des Prozesses Anhänger und Gegner der Frauen. Auf einem großen Transparent forderten Putin-Gegner den Rücktritt des Präsidenten. Mindestens zwei Menschen wurden festgenommen, hieß es.
Ministerpräsident Dmitri Medwedew hatte mit einer Forderung nach Milde Mitte September die Hoffnung genährt, dass die Bandmitglieder auf Bewährung frei kommen könnten. Die drei Frauen weiter in Gefangenschaft zu halten sei „unproduktiv“, sagte Medwedew. Auch die Russisch-Orthodoxe Kirche hat sich für eine Begnadigung der Musikerinnen eingesetzt. Voraussetzung sei, dass die Frauen Reue für ihr „Punk-Gebet“ gegen Präsident Wladimir Putin in der Kathedrale zeigten, teilte die Kirche mit.
(mit dpa/dapd/AFP)
Elke Windisch