Sieben Jahre im Tierheim: Eine Hündin, die keiner haben will
Es ist eine Rekordmarke: Seit sieben Jahren lebt ein Hund im Tierheim. Niemand will ihn haben. Dabei sei Shirin, wenn sie Vertrauen gefasst habe, ein richtiger Sofahund, sagt ein Pfleger. Aber ihre Rasse steht auf der Liste.
Als sich damals europaweit die Menschen in ihre Häuser zurückzogen, weil es draußen lebensgefährlich werden konnte, als in Berlin die Sitzung des Bundestags vorzeitig beendet wurde, damit die Abgeordneten sich in Sicherheit bringen konnten vor Kyrill, dem Orkan, der eine Schneise der Verwüstung durch den halben Kontinent fräste, da band irgendwo jemand seinem Hund das Halsband um, klemmte die Leine daran fest, öffnete die Haustür und begann den letzten gemeinsamen Weg. Zum Tierheim am Rande der Stadt, wo es schon ländlich ist. Eine Kleingartenkolonie liegt abends verwaist und dunkel da, und Wind heult ungebremster als zwischen den Häusern der Stadt.
Dort angekommen, wurde der Hund angebunden und verlassen.
Am nächsten Morgen entdeckten die Pfleger das Tier, das außer sich geraten war. Es biss um sich und ließ niemanden an sich ran. Zuletzt rückten sie ihm zu zweit mit Seilen und Stangen zuleibe und brachten es so zur Krankenstation ihres Heims, wo es sich beruhigen sollte.
Die Welt draußen dreht sich weiter - nur nicht für die Hündin Shirin
Das ist am kommenden Sonntag genau sieben Jahre her. Am 19. Januar 2007 hießen der deutsche Arbeitsminister Franz Müntefering und der US-Präsident Georg W. Bush. Es hat sich also viel getan seither. Aber der Hund aus jener Nacht, der ein Weibchen ist, lebt noch immer in dem Tierheim. Das ist eine Rekordmarke. „Shirin!“, die Ohren mit den abgeknickten Spitzen heben sich, „warum will dich keiner?“ Da schaut auch der Hund fragend.
Gerade ist er aus seinem Box genannten Einzelzimmer mit Futter- und Wolldeckenecke, vergittertem Auslauf und Fußbodenheizung gekommen. Angeleint von Pfleger Daniel Prinich, 33, der damals einer der beiden war, die den wild gewordenen Hund losbanden. Wenn Prinich sich jetzt hinhockt, wuselt das kniehohe Tier schwanzwedelnd um ihn herum, und Prinich tätschelt den Hund und knautscht dessen Gesicht, und wenn er „Sitz“ sagt, macht der Hund das.
Der Wunsch nach einem ruhigen Zuhause
Prinich wird mit Shirin spazieren gehen. Denn nicht nur, dass sich seit sieben Jahren kein Zuhause für sie fand, es gibt auch keinen ehrenamtlichen Gassigeher für sie. Im Tierheim denken sie inzwischen, der unauffällige Hund werde vielleicht übersehen. Doch er ist auch eine Herausforderung – für Land und Leute.
Shirin brauche anfangs Geduld, sagt Prinich, die Folge jener Nacht vor sieben Jahren sei ein Abstandsbedürfnis Fremden gegenüber. Für die ist darum „Nicht anfassen!“ die oberste Regel. Bis Shirin von sich aus signalisiere, dass Nähe erwünscht ist. Das könne einige Tage dauern. Damit war sie für die paar Interessenten, die es überhaupt gab, ungeeignet. Die einen wollten sie tagsüber mit in ihren Laden nehmen, die anderen hatten kleine Kinder.
Wenn Prinich sich ein Zuhause für Shirin wünschen dürfte, wäre das ein ruhiges, unaufgeregtes, vielleicht ältere, auf jeden Fall hundeerfahrene Menschen. Regelmäßige Tagesabläufe, ganz so wie im Tierheim, wo Shirin sich wohlfühlt, und gerne mit Sofa. Auf dem könnte sie dann mit sitzen und fernsehen. Sie sei ein richtiger Sofahund, sagt Prinich, was seltsam genug ist – Shirin steht nämlich auf der Liste der „gefährlich“ genannten Hunde.
Listenhunde warten durchschnittlich 435 Tage auf ein neues Heim
Die Liste! Im Tierheim in Hohenschönhausen fangen sogar Menschen an zu knurren, wenn es um diese Liste im Berliner Hundegesetz geht. Viel Elend habe die gebracht. Den Tieren, die abgegeben oder ausgesetzt wurden. Und dem Heim, in dem die Listenhunde immer länger bleiben: Durchschnittlich 382 Tage hockten sie 2011 bis zur Vermittlung im Tierheim (ein Nicht-Listenhund 110 Tage), 2012 bereits 435 Tage (die anderen 140 Tage). Und nicht nur die statistikbelastende Shirin ist ein Listenhund, in den sechs Hundehäusern des Tierheims kommen die immer öfter vor: Von 317 Hunden sind derzeit 109 Listenhunde, und davon viele American-Staffordshire-Terrier-Mixe – wie Shirin. Bei wöchentlich veranschlagten Kosten allein für Futter und Pflege von 100 Euro pro Hund wird die Hundepolitik des Senats so zum finanziellen Problem für das spendenfinanzierte Tierheim.
Darum lieb ich alles was so grün ist
Prinich öffnet das Gittertor. Die Sonne scheint, das Gekläff der anderen Hunde verhallt allmählich, während Shirin artig neben ihrem Pfleger hertippelt, wie sie neben jedem Pfleger artig hertippeln würde. Die Männer und Frauen in den tierheimeigenen grünen Jacken sind längst allesamt ihre Freunde. Grüne Jacken = gut zu mir. Das hat sie gelernt.
Wenn andere Hunde des Wegs kommen, nimmt Prinich die Leine kürzer. Shirin schaut aufmerksam, die Ohren gespitzt, Lärm macht sie nicht. Sie sei von Anfang an ein stiller Hund gewesen, sagt Prinich. Viel Auslauf brauche sie auch nicht. Sie hatte kurz nach ihrer Aufnahme im Tierheim einen Kreuzbandriss, der ist zwar kuriert, aber sie läuft ein wenig humpelig und hat kaum Kondition.
Hundeführerscheine statt neue Gefahrenlisten
Dem Berliner Gesetzgeber bleibt das egal. Auch das geplante neue, dem „Bello-Dialog“ erwachsene Hundegesetz, das, wenn das Abgeordnetenhaus zugestimmt hat, die derzeitigen Regelungen ablösen soll, führt American Staffordshire-Terrier und alle Mixe weiter als gefährliche Hunde. Zusammen mit statt bisher neun nur noch drei weiteren Rassen: Pitbull-Terrier, Bullterrier und Tosa Inu.
Im Tierheim halten sie jedwede Liste für falsch und predigen, es komme auf das Umfeld, die Erziehung, sprich: auf den Menschen an, wie ein Hund sich verhalte. Deshalb sind sie hier für den Hundeführerschein, für überprüfte Sachkunde, die ebenfalls mit dem neuen Gesetz kommen soll. So halten sie es auch mit ihren Gassigehern, die alle geschult werden.
Draußen begegnen Prinich und Shirin zwei Pflegerinnen aus dem Vogelhaus. Junge Frauen in den grünen Jacken. Begeistert zieht Shirin los, allseits großes Hallo, ein paar Worte werden gewechselt, dann gehen alle weiter, und Shirin, immer noch im Freudentaumel, sieht zwei Verwaltungsmitarbeiterinnen auf sich zukommen. Frauen ohne grüne Jacken. Sie wedelt immer noch mit dem Schwanz, doch als eine der Frauen die Hand nach ihr ausstreckt, fliegt ein Schalter um und ihr Kiefer schnellt vor. Es gibt einen hellen, feinen, durchdringenden Ton. Die Frau zieht ihre Hand zurück. Shirin hat nicht getroffen, nur gewarnt.
Wer sich für Shirin interessiert, kann unter Tel. 030 / 76 888 173 einen Besuchstermin im Tierheim vereinbaren.
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