Russland: Ein Triebwerk war Schuld am Abbruch des Sojus-Starts
Nach der Havarie beim jüngsten Sojus-Start gibt es Lob für das Rettungssystem und Kritik an „Roskosmos“.
Als der Amerikaner Nick Hague am vergangenen Donnerstag im kasachischen Baikonur seinen Platz im Raumschiff Sojus MS-10 einnahm, war er sicher, er würde einer exklusiven Kaste angehören: Er wäre Astronaut. Doch nach nur zwei Minuten musste der Raketenstart zur internationalen Raumstation ISS wegen einer Havarie abgebrochen werden. Die Besatzung wurde in einem spektakulären Manöver gerettet. Kurz darauf bestimmte die russische Akademie für Raumfahrt, Hague sei kein Astronaut. „Er hat lediglich an einem Raketenflug teilgenommen.“ Die Trägerrakete hatte nur eine Höhe von 80 Kilometern erreicht. Die so genannte Karman-Linie, die die Luft- von der Raumfahrt trennt, liegt jedoch in 100 Kilometern Höhe über dem Meeresspiegel.
Sein Konstrukteur nannte das Teil "Möhre"
Diese Spitzfindigkeit kann Hague egal sein, denn er ist wie sein russischer Kollege Alexej Owtschinin, der schon „richtig“ im All war und sich Kosmonaut nennen darf, mit dem Leben davongekommen. Das Rettungssystem SAS hat tadellos funktioniert – was ein Erfolg im Misserfolg ist. Und letztlich das Wichtigste. Zwei Minuten nach dem Start hatte sich das Triebwerk der zweiten Stufe abgeschaltet, weil sich eine der vier „Möhren“ nicht lösen wollte. Den despektierlichen Namen „Möhre“ haben die Triebwerke der ersten Stufe von ihrem legendären Konstrukteur Sergej Koroljow vor gut 50 Jahren wegen ihrer Form bekommen. Der Aufbau russischer Trägerraketen hat sich seither nicht verändert. Die Bestandteile der ersten Stufe sind symmetrisch um die zweite gruppiert und werden im Normalfall nach dem Ausbrennen abgetrennt. Einer dieser Mechanismen hat versagt. Das ist ein vorläufiges Ergebnis, die genauen Untersuchungen zu den Ursachen der Havarie haben in dem Werk in Samara begonnen, das die Trägerrakete im Frühjahr 2016 ausgeliefert hatte.
Sie hatte den Startplatz Nr. 1
Die russische Raumfahrtbehörde „Roskosmos“ hatte den Start von Owtschinin und Hague mit beträchtlicher Symbolik aufgeladen. Er war dem 100-jährigen Bestehen des „Werkes für experimentellen Maschinenbau“ in Samara gewidmet, das die Sojus-Trägersysteme herstellt. In Baikonur stand die Rakete auf Startplatz Nr. 1. Dort, wo Juri Gagarin als erster Mensch ins All gestartet war. Seit langer Zeit wurde auch der Chef der Nasa wieder einmal eingeladen. Jim Bridenstine wusste diese Geste zu würdigen. In einem Interview am Tag vor dem Start sagte er: Ungeachtet aller politischen Differenzen, „im Kosmos kann man den Russen vertrauen“.
Die Nasa ist auf Russland angewiesen
Dabei blieb Bridenstine auch nach dem verunglückten Start – und das mit guten Gründen. Auch wenn es in diesem Jahr weitgehend unbemerkt mehrere Havarien gegeben hat, Russlands bemannte Raumfahrt ist zuverlässig. Der letzte vergleichbare Vorfall liegt 35 Jahre zurück. Im September 1983 musste der Flug der Kosmonauten Wladimir Titow und Gennadi Strekalow in knapp 100 Kilometern Höhe abgebrochen werden. Auch damals gelang das Rettungsmanöver, die Kosmonauten landeten am Fallschirm.
Die Nasa ist auf Russland angewiesen. Atlas- und Antares-Trägerraketen fliegen mit russischen Antrieben. Zudem kann die US-Raumfahrtbehörde ihre Astronauten schon lange nicht mehr selbst ins All bringen. Das wird so bleiben, auch wenn der schillernde Unternehmer Elon Musk für 2019 einen bemannten Start angekündigt hat. Ein Platz im Sojus-Raumschiff ist günstiger, er kostet derzeit 35 bis 40 Millionen Dollar und damit rund die Hälfte der Musk-Offerte. Nasa-Programme für die bemannte Raumfahrt werden nicht vor 2020 wieder aufgenommen. Dann geht es aber nicht zur ISS, sondern vor allem soll die Lunar Orbital Gateway Station für Missionen zum Mond oder zum Mars aufgebaut werden. Ihre Anteile an der ISS haben die Amerikaner Anfang des Jahres privaten Investoren angeboten.
Die Raumfahrt ist ein knallhartes Geschäft geworden
Doch auch Russland ist auf die USA angewiesen. Ein Viertel des Etats von „Roskosmos“ sind Einnahmen aus Dienstleistungen wie dem Transport von Satelliten und Raumfahrern für andere. Neben der Nasa sind die Esa und Japan die wichtigsten Kunden. Raumfahrt ist kaum mehr Romantik und Abenteuer, sie ist knallhartes Geschäft. Gerade das sei eines der Probleme in Russland, ist der Raketenkonstrukteur Wjatscheslaw Rodin überzeugt. Seit einem Jahrzehnt würden auf dem Sessel des 1966 gestorbenen genialen Konstrukteurs Koroljow nur Ökonomen sitzen. Es stimmt nicht ganz, derzeit steht an der Spitze von „Roskosmos“ Dmitri Rogosin. Der hat eine Journalistik-Ausbildung absolviert.
Roskosmos bezahlt junge Ingenieure zu schlecht
Was stimmt: Der Branche fehlen die Fachleute. Das wird immer wieder angesprochen in der kritischen Diskussion über die Raumfahrt, die in Russland nicht erst seit der jüngsten Havarie geführt wird. Viele von diesen Experten werden an der Moskauer Bauman-Universität ausgebildet, sie hat nicht nur Ingenieure, sondern auch viele Kosmonauten hervorgebracht. Bauman-Rektor, Anatoli Alexandrow, beklagt, Roskosmos bezahle zu schlecht. Junge Ingenieure erhielten im Monat umgerechnet zwischen 500 und 700 Euro. „Das ist nicht, was sich die jungen Leute vorstellen“, sagt Alexandrow. In der Privatwirtschaft gibt es für Absolventen der angesehenen Uni leicht das Doppelte – von einem Job im Ausland ganz zu schweigen.
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