Streit um Baby Gammy: Ein Kind ist immer ein Geschenk
Ein Kind, das zur Ware und bei Nicht-Gefallen zurückgegeben wird: Deshalb berührt der Fall der thailändischen Leihmutter Pattharamon Janbua und ihres sechs Monate alten Sohnes Gammy die Menschen weltweit. Ein Kommentar.
Ein Kind ist für viele Menschen das größte Geschenk ihres Lebens. Kein Kind bekommen zu können dagegen das größte Unglück. Diese kinderlosen Mütter und Väter nehmen oft jahrelange medizinische Strapazen oder bürokratische Kämpfe auf sich, um doch irgendwie einen Sohn oder eine Tochter zu bekommen. Sie zahlen dafür einen hohen Preis. Und manchmal auch Geld an andere Frauen, damit diese ihre Kinder zur Welt bringen.
Ein australisches Ehepaar hat einer Thailänderin umgerechnet etwa 10.000 Euro für eine solche Leihmutterschaft überwiesen. Nicht geplant war, dass Pattharamon Janbua zwei Kinder bekommen würde, ein gesundes Mädchen und einen Jungen mit Downsyndrom und Herzfehler. Wer dies zu welchem Zeitpunkt wusste, ob die vermittelnde Agentur die Australier von der Zwillingsgeburt informierte – was das Ehepaar bestreitet –, oder aber, ob die beiden von der Thailänderin sogar eine Abtreibung verlangten, die die Schwangere aus religiösen Gründen nicht vornehmen lassen wollte, lässt sich kaum klären. Klar ist aber, dass das Schicksal des Jungen Gammy weltweit die Menschen berührt.
Bei der Online-Fundraising-Aktion „Hope for Gammy“ hatten bis zum Dienstagvormittag rund fünfeinhalbtausend Menschen mehr als 230.000 australische Dollar für die medizinische Behandlung des Babys gespendet. Kommentatoren verfluchen die australischen Eltern, die nur das gesunde Mädchen nahmen. Australiens Einwanderungsminister nennt Pattharamon Januba „eine Heilige“, weil sie weiter für Gammy sorgt.
Dass ein kleiner Mensch zur Ware werden kann, die man bestellt, und bei Nichtgefallen zurückgehen lässt, wühlt an dem Fall so auf. Und weil er zeigt, welches Leben oft für das bessere gehalten wird: das ohne Behinderung. Man muss für diese Erkenntnis nicht bis nach Australien gehen. Ist in Deutschland eine Schwangere älter als 35, gilt ihr Zustand als Risikoschwangerschaft. Dann übernimmt die Krankenkasse von vornherein die Kosten einer Fruchtwasseruntersuchung auf mögliche Behinderungen des Embryos. Seit einiger Zeit kann auch über einen teuren Test des Mutterblutes das Downsyndrom bei Ungeborenen festgestellt werden. Ihn zahlt die Kasse nicht, trotzdem nutzen ihn werdende Eltern. Denn das Ergebnis der Pränataldiagnostik spielt für sie eine entscheidende Rolle: Neun von zehn Embryonen mit Downsyndrom werden abgetrieben.
Das Wissen über die eigene Herkunft spielt eine wichtige Rolle
Dabei ist nicht unbedingt der Egoismus der Mutter oder das Streben nach Perfektion der Grund, wie Abtreibungsgegner manchmal durchblicken lassen, sondern es ist oft eine massive Verunsicherung. Das liegt zum Beispiel an Ärzten, die einer Schwangeren offensiv zum Abbruch raten, um später nicht verklagt zu werden. Es liegt an den Berichten von Eltern behinderter Kinder über Anfeindungen und mangelnde Unterstützung sowie der Angst, dass das eigene Kind in einer auf Leistung ausgerichteten Gesellschaft gar nicht glücklich werden kann.
Dass das Wissen über die eigene Herkunft für einen Menschen eine wichtige Rolle spielt, zeigen die Berichte von Kindern anonymer Samenspender. Unter anderem deshalb ist Leihmutterschaft in Deutschland verboten. Es ist ohnehin ein hoch emotionales Thema, auch aufgrund der herausragenden Rolle, die hierzulande der leiblichen Mutter zugeschrieben wird. Was ausländische Leihmütter wie Pattharamon Januba betrifft, ist Deutschland eine rechtliche Grauzone, an die auch die Politik ungern rühren möchte und lieber darauf hofft, dass möglichst wenige solcher Fälle eintreten.
Bedeutet das also, dass man es in einer Welt, in der jeder versucht, nichts dem Zufall zu überlassen, akzeptieren muss, wenn der Herzenswunsch nach einem eigenen Kind nicht in Erfüllung geht? Eigentlich kann sich niemand anmaßen, jemandem vorzuschreiben, nicht alles zu versuchen, um doch Kinder zu bekommen. Vielleicht ist das auch gar nicht der Punkt. Vielleicht geht es vielmehr darum, dafür Sorge zu tragen, dass ein Kind – behindert oder nicht –, wenn es auf die Welt gekommen ist, auch so behandelt wird, wie das, was es ist: ein Geschenk.
Ruth Ciesinger
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