Luftarchäologie in England: Dürre legt urzeitliche Siedlungen frei
Archäologen in England können aus der Luft plötzlich neue Stätten entdecken – ohne einen einzigen Spatenstich.
Alle Welt leidet unter der Hitze und der Trockenheit, aber es gibt auch jenseits der Eisverkäufer Gewinner dieser Wetterlage: die Luftarchäologen. In England können sie zurzeit ihr Glück kaum fassen, denn diese Trockenheit, die Felder verdorren lässt, ist für Luftarchäologen eine Steilvorlage, charakteristische Bewuchsmerkmale sind leichter zu erkennen.
Wo unter der Erde eine Mauer liegt, können die Pflanzen darüber nicht so tief Wurzeln bilden und vertrocknen schneller als die Pflanzen neben der Mauer. Die Mauer hebt sich also als heller Grundriss von der Umgebung ab. So zu sehen in Tixall Hall, Staffordshire. Nur das Torhaus des Landsitzes aus dem 16. Jahrhundert unter der Herrschaft von Elisabeth I. ist erhalten geblieben, doch nun zeigt die Luftaufnahme ein Muster von hellen Mauern, die Aufschluss über die exakte Größe des Hauses geben. Man wusste zwar von dem Gebäude, doch der Verlauf der Mauern ist nun genau zu erkennen.
Zu den spektakulären Entdeckungen gehören zwei neue neolithische Cursus Monumente bei Clifton Reynes, Milton Keynes. Cursus Monumente sind lange, rätselhafte rechteckige Wall oder Grabenkonstruktionen, die hundert Meter oder zehn Kilometer lang sein können. Über deren Bedeutung ist man sich noch nicht ganz im Klaren. Sie datieren aus der Zeit von 3600 bis 3000 vor Christus und gehören damit zu den ältesten Baudenkmälern Englands. Die meisten der 100 Cursus Monumente in England wurden durch Luftarchäologie entdeckt.
Bei Eynsham, Oxfordshire, gibt es eine prähistorische Landschaft mit Grabmälern aus der Zeit um 4000 bis 700 vor Christus. Die Überreste einer Siedlung waren bekannt und das Gebiet ist als Denkmal geschützt, doch die aktuellen Bilder haben viele neue kreisförmige Gruben zu Tage gefördert, die nun als grüne Kreise auf dem gelben Acker liegen. Hier finden also Pflanzen tiefere Wurzeln bis in die Gräben, also wachsen sie anders als die in der Umgebung. Auf Grund der unterschiedlichen Bewuchsmerkmale ergeben sich dann diese Bilder bei Trockenheit.
Würde es jetzt regnen, wäre das Bild durch die dann gleiche Bodenfeuchtigkeit wie von Zauberhand weggewischt. „Diese Periode sehr heißen Wetters hat uns die perfekten Bedingungen für unsere Luftarchäologen geliefert, die nun unter die Erde schauen können, da die Bewuchsmerkmale viel besser definiert sind, wenn der Boden weniger Feuchtigkeit hat“, sagt Duncan Wilson, CEO von Historic England, die seit über 50 Jahren systematisch über England fliegen.
Die letzte Trockenperiode 2011 war auch ergiebig und trotzdem hat man nun neue historische Stätten entdeckt. „Dies war einer meiner heftigsten Sommer in den letzten 20 Jahren, die ich geflogen bin“, sagt Damian Grady, Luftaufklärungsmanager von Historic England. „Wir haben sehr wertvolle Entdeckungen in Gebieten gemacht, die normalerweise keine Bewuchsmerkmale offenbaren.“
Bei St Ive in Cornwall, wo Runddörfer aus der Eisenzeit bekannt sind, wurde ein neuer Graben entdeckt, der nur eine Öffnung nach innen hatte. Von der Bebauung innerhalb des Kreises fehlt aber jede Spur. Dafür befindet sich rechts daneben eine rätselhafte rechteckige Konstruktion, ebenfalls mit einem Eingang, die Rätsel aufgibt. Links neben dem großen Kreis findet sich ein kleinerer, der als bronzezeitliches Hügelgrab interpretiert wird. Diese neuen Funde unterstreichen die konstante Besiedlung der Gegend um St Ive seit 4000 vor Christus.
Ebenfalls in Cornwall bei Lansallos hat man eine ungewöhnliche Formation aus konzentrischen Kreisgräben mit jeweils einem Eingang gefunden, die Kreisgräben sind wieder durch parallele Gräben miteinander verbunden. Die Forscher vermuten, dass der innere Kreis eine Siedlung schütze, während der äußere Graben etwas mit sicherer Viehhaltung zu tun haben könnte.
Bemerkenswert ist die Entdeckung vier prähistorischer Farmen bei Stogumber, Sumerset. Sie gelten als typisch für die Bronzezeit und die Eisenzeit. Dabei ist zu sehen, dass eine runde Konstruktion später von einer rechteckigen überlagert wurde, was wunderbar zeigt, wie verschiedene Siedlungsschichten übereinander liegen.
Auch in Schottland wurden durch Luftsurveys neue Entdeckungen gemacht
Die Entdeckungen aus der Luft führten nicht notwendigerweise gleich zu neuen Ausgrabungen der Archäologen. „Die Ergebnisse werden kartiert und man spricht mit den betroffenen Farmern, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie auf historischem Boden ackern und nicht zu tief pflügen sollen“, sagt Debbie Hickman von Historic England. Unter Umständen werden die Fundorte auch unter Denkmalschutz gestellt. Zu den bedeutenden Entdeckungen gehören die vier fast quadratischen eisenzeitlichen Grabhügel bei Pocklington in den Yorkshire Wolds.
Die zu sehenden Gräben haben die Grabhügel geschützt, die national selten vertreten sind, in dieser Gegend aber bekannt sind. Oft wurden diese Grabhügel auch für besondere Begräbnisse mit Beigaben verwendet. Diese Entdeckung ist für die Luftarchäologen der Beweis, dass man selbst in gut erforschten Regionen wie den Yorkshire Wolds bei passenden Bedingungen wie jetzt einer anhaltenden Trockenheit noch Neues entdecken kann.
Auch in Schottland, wo seit den 30er Jahren Historic Environment Scotland (HES) archäologische Luftsurveys unternimmt, wurden dank der jetzigen Trockenheit in der Borders-Region an der Grenze zu England neue eisenzeitliche Siedlungen entdeckt sowie ein römisches Lager bei Peebles, rund 40 Kilometer südlich von Edinburgh, was bemerkenswert ist.
So werden dank der Trockenheit wertvolle Erkenntnisse über Besiedlungszusammenhänge längst vergangener Jahrtausende ohne einen einzigen Spatenstich erweitert. Nicht jeder Graben muss historisch sein, aber die geschulten Augen der Luftarchäologen können meist aus dem Kontext und ihrem Erfahrungsschatz heraus die notwendigen Schlüsse ziehen.
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