Mexiko: Drogenkrieg erreicht das Urlaubsparadies Cancun
Ein Krieg der Kartelle herrscht seit Jahresbeginn an der mexikanischen Karibikküste. Die Regierung schickt die Armee nach Yucatán.
Giselle war 14 Jahre alt, schlank, lange, dunkle Haare – und ein lustiger Mensch. Sie war ein Teenager wie viele in Mexiko. Wie an jedem Freitagnachmittag saß sie am Tisch des Familienrestaurants ihrer Eltern im mexikanischen Touristenort Cancún und machte Hausaufgaben. Ein Kunde verlangte eine Cola, doch die Getränke waren ausgegangen. Zusammen mit ihrem älteren Bruder überquerte Giselle die Straße, um im Supermarkt gegenüber ein paar Flaschen einzukaufen, als unvermittelt die Schießerei losging. Giselle starb im Kugelhagel, ihr Bruder überlebte mit Schusswunden.
Seit Jahresbeginn tobt an der Karibikküste Mexikos ein blutiger Krieg verfeindeter Kartelle. Im Januar attackierten Bewaffnete den Nachtclub „Blue Parrot“ im Ferienort Playa del Carmen, dabei starben fünf Menschen. Dann wurde die Staatsanwaltschaft beschossen und ein Wachmann getötet. In dieser Woche kamen zwei Polizisten ums Leben, als sie von Killern auf Motorrädern angegriffen wurden. Die Regierung, die um die Einnahmen aus dem Tourismus fürchtet, schickte die Armee zur Verstärkung in die Stadt.
Strategischer Umschlagplatz
Doch die Schießereien und Abrechnungen reißen nicht ab. Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Zahl der Morde in den ersten Monaten des Jahres um 169 Prozent zu. Die meisten Gewalttaten geschehen im Stadtzentrum oder der Peripherie und fernab der Touristenmeile. Die Botschaften der USA und Kanadas erließen trotzdem eine Reisewarnung – kurz vor den Hochschulferien, dem sogenannten „spring break“. Es ist die Hauptreisezeit junger Leute aus Nordamerika nach Mexiko. Der Vorsitzende des Hotelierverbandes, Carlos Gobbelin, rechnet deshalb mit bis zu 5000 Stornierungen.
„Cancún und die ganze Halbinsel Yucatán sind ein strategischer Umschlagplatz der Kartelle“, sagt der Journalist und Drogenexperte José Reveles. Hier legten schon immer die Schnellboote mit der heißen Ware an oder es wurden von Kleinflugzeugen Drogenpakete abgeworfen. Auf Yucatán wird vieles von dem Geld gewaschen, das illegal erwirtschaftet wird. Die Touristen sorgen für eine rege Nachfrage nach Drogen. Experten gehen von einem Umsatz von 1,5 Milliarden US-Dollar jährlich aus. Von hier stammt Mario Villeneuve, von 1993 bis 1999 Gouverneur des Bundesstaates und einer der ersten Politiker, die schon in den 90er Jahren wegen Drogenhandels und Geldwäsche vor Gericht landeten.
Dennoch blieb Yucatán lange vom Drogenkrieg verschont. Reelles erklärt das so: Zunächst hatten das Kartell von Juarez und das Golfkartell Yucatán die Region in einer Art „Gentlemen Agreement“ unter sich aufgeteilt. Als beide im Niedergang waren, übernahm eine Gruppe ehemaliger Bundespolizisten unter der Führung der Agentin Leticia Rodríguez alias „Doña Levy“ den Drogenverkauf und Schutzgelderpressungen. Sie rekrutierte Abtrünnige der alten Kartelle, ehemalige Häftlinge und Ex-Polizisten und verfügte über gute Kontakte in Justiz und Verwaltung. Drogenfahndern zufolge kommt es nun innerhalb dieser Gruppe zu Streitereien, ein Teil habe sich mit der aus dem Golfkartell hervorgegangenen Bande der Zetas verbündet, ein anderer mit dem aufsteigenden Kartell Jalisco Nueva Generación, das versuche, in Yucatán Fuß zu fassen. Beide Gruppen haben wiederum Verbindung zu internationalen Mafiabanden aus Russland, China und Südamerika.
Komplex, dezentral und flexibel
Diese verwirrende Dynamik ist der Internetplattform „Insight Crime“ zufolge charakteristisch für die neue Struktur des organisierten Verbrechens in Mexiko. „Dass Bündnisse gewechselt werden oder neue Gruppen aus Deserteuren entstehen, zeigt, wie komplex, dezentral und flexibel die kriminellen Organisationen inzwischen sind“, heißt es. Für die Behörden wird es so immer schwieriger, die Kriminalität in Schach zu halten. Zumal wenn die Sicherheitskräfte wie in diesem Falle mit involviert sind und das von politischer Seite geduldet werde, sagt Sicherheitsexperte Reveles.
Der um sein Geschäft besorgte Unternehmerverband in Cancún hat nun eine Werbekampagne gestartet. Er versucht, die Negativschlagzeilen zu übertönen. „Das alles wird hochgespielt. Am besten hören wir auf, darüber zu reden“, sagte der Vorsitzende der Restaurantbesitzer, Juan Pablo Aguirre, lokalen Medien. Der Tourismus ist für Mexiko ein wichtiger Wirtschaftszweig. 2016 besuchten mehr als 32 Millionen Menschen das Land und gaben 17,5 Milliarden US-Dollar aus. Mehr als ein Drittel besuchte Cancún und die Karibikküste.