Erfahrungsbericht einer Tagesspiegel-Mitarbeiterin: Drogen im Drink
Tagesspiegel-Mitarbeiterin Ilona Viczian war auf dem Oktoberfest - und bekam dort seltsame Pillen in ihr Bier geschüttet. Ein Erfahrungsbericht.
Ilona Viczian kam mit einem Arthur F. Burns-Stipendium nach Berlin, sie arbeitet für zwei Monate für den Tagesspiegel. In ihrer Wahlheimat Washington ist sie für den TV-Sender Al Jazeera tätig. Sie erlebte die hier von ihr beschrieben Episode um seltsame Pillen in ihrem Getränk am vergangenen Wochenende auf dem Oktoberfest in München - also ausgerechnet an dem Wochenende, als mehr als zehn Millionen Deutsche dem Münchener Tatort eine Traumquote bescherten. Thema des Tatorts: Ein Unbekannter, der Menschen auf dem Oktoberfest Drogen ins Bier schüttet.
Es sollte mein erstes Oktoberfest werden. Ich hatte ursprünglich nicht geplant hinzugehen, aber der Trip wurde für uns Stipendiaten organisiert und ich bekam Lust, mich da reinzustürzen und diese Erfahrung zu machen. Gleich nach Ankunft in München, bevor noch ein geschäftlicher Termin auf dem Programm stand, ging ich daran, mir ein Dirndl zu kaufen, wenn schon, denn schon. Ich machte Bilder von mir in unterschiedlichen Dirndl-Ausführungen und schickte sie Freunden, um Meinungen einzuholen. Was für ein Spaß! Ehrlich gesagt hatte ich schon immer so eines tragen wollen und das Dirndl war auch einer der Gründe, dass ich mitgefahren war. Wer steht schon nicht darauf, sich zu verkleiden? Dass ein organisiertes Besäufnis auf einem großen Festplatz außer einem netten Kostüm auch eine ganze Menge von Problemen mit sich bringen kann, sollte ich schon bald rausfinden.
Wir kamen zu acht auf der Wiesn an. Glücklicherweise trafen wir einen ehemaligen Stipendiaten, der uns einlud, mit ihm an seinem Tisch im Augustiner Biergarten zu sitzen. Natürlich waren wir froh, überhaupt Plätze zu haben und so begann es: Prost! Prost! Alle fünf Minuten noch ein Prost… Hühnchen wurde bestellt, Fotos gestellt und mehr Bier geordert. Ich brauchte mehr als eine Stunde für diese riesige Maß. Uns wurde erzählt, dass das Bier anlässlich des Oktoberfests extra stark ist, was ich nicht ganz glauben kann und auch nicht wirklich verstehen. Wenn die Leute ohnehin den ganzen Tag trinken, warum dann noch mehr Benzin ins Feuer gießen?
Von Beginn an war dort ein junger Deutscher, Jan, der mir sehr viel Aufmerksamkeit widmete. Er wirkte alles in allem nett. In gebrochenem Englisch überschüttete er mich mit Komplimenten und tat alles, um ein Gespräch zwischen uns in Gang zu bringen. Aber vor allem hörte er nicht auf, mich die ganze Zeit anzustarren. Zunächst war ich etwas geschmeichelt, aber dann wurde er mir zu viel und ich drehte mich weg. Das Festzelt war extrem überlaufen, die Lage chaotisch, Menschen setzten sich ständig um. Irgendwann setzte ich mich auf den einzigen freien Platz – direkt neben Jan. Ich redete mit einigen Italienern, die zu Jan zu gehören schienen. Ich vermied es ausdrücklich, Augenkontakt mit ihm aufzunehmen oder ihm irgendwelche Signale zu senden, dass ich seine Avancen erwidern würde.
Ungewöhnlich viele aufsteigende Bläschen
Als ich mich von einem Gespräch zu meiner Maß drehte und dorthin schaute, bemerkte ich ungewöhnlich viele aufsteigende Bläschen. Ich warf einen genaueren Blick hinein, hielt die Maß gegen das Licht. Dort waren zwei große Pillen, die sich in meinem Bier auflösten. Ich war geschockt. Mir fiel wirklich buchstäblich die Kinnlade herunter. Ich griff ins Glas und fischte die beiden Pillen raus. Dann zeigte ich sie allen am Tisch. In diesem Moment wollte ich wirklich nicht glauben, dass jemand von den Leuten an meinem Tisch, mit denen ich die vergangenen Stunden verbracht hatte, so etwas gemacht haben konnte. Ich konnte es einfach nicht glauben.
Ich zeigte die Pillen meinen Freunden. „Lasst uns hier verschwinden“, war ihre Reaktion. Ich war immer noch geschockt und unsicher, was zu tun. Ich wollte nicht allen den Tag ruinieren. Ich zeigte die Pillen einem der Italiener, dem Begleiter von Jan. „Geh zur Polizei“, sagte er. Wollte er mich mit umgekehrter Psychologie austricksen? Wusste er, wie blöd es sich für ein Opfer anfühlt, zur Polizei zu gehen und zu riskieren, dass man selbst verdächtigt wird, diesen Vorfall irgendwie provoziert zu haben? Diese Fragen gingen mir durch den Kopf.
Jan war plötzlich weg
Jan war in der Zwischenzeit verschwunden, wir konnten ihn nirgendwo finden. Zum Glück machte eine meiner Freundinnen Druck, sie setzte durch, dass der Begleiter Jans und wir als Gruppe zur Polizei gehen. Da dämmerte mir erst so richtig, was eben passiert war und mir kamen die Tränen. Doch wir hatten Fotos von Jan und eben seinen Begleiter bei uns, der Jans Kontaktdaten an uns weitergab und ich war mir sicher, dass die Polizei ihn verhaften würde. Es fühlte sich richtig an, den Vorfall zu melden. Wie der Fall weitergehen und ob die Polizei Jan finden wird, ist bislang noch unklar.
In Deutschland nennt sich der Strafbestand „versuchte Körperverletzung“, erfuhr ich. Wahrscheinlich gibt es vergleichbare Fälle schon so lange, wie es Drogen gibt. Aber dass einem selbst so etwas passiert, erscheint surreal, bis es passiert. Obwohl ich viel Glück gehabt und die Pillen gesehen habe, war ich danach etwas paranoid, hatte das Gefühl, dass irgendwelche Männer mir folgen würden, natürlich mit schlechten Absichten. Ich bemerkte selbst diesen negativen psychologischen Effekt, konnte ihn aber nicht mal eben abstellen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob und wie ich das ganze hätte verhindern können. Was ich gelernt habe? Das eigene Getränk im Auge behalten, es zur Not mit auf die Toilette nehmen oder nur bei jemandem lassen, dem man vertraut. Und wenn irgendwas passiert, sofort zur Polizei gehen. Es handelt sich um eine ernste Straftat. Menschen, die anderen Drogen ins Getränk schütten, sollten nicht frei herumlaufen.
Ilona Viczian
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