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Zeitweise brannte es an fast 80 Orten. Die schwedischen Einsatzkräfte benötigten internationale Hilfe.
© Robert Henriksson/TT News Agency/dpa

80 Millionen Euro Schaden: Die Waldbrände kommen Schweden teuer zu stehen

Die Feuer sind aus, die Kritik an Behörden und Regierung in Schweden hält an. Viele fragen sich, wie die Feuer sich so ausbreiten konnten.

Den Sommer 2018 werden die Schweden so schnell nicht vergessen. Wochenlange, mancherorts monatelange Trockenheit und Temperaturen um die 30 Grad trieben viele der Nordländer, die ihre Ferien zu Hause verbrachten, an ihre unzähligen Seen und die Küstenstrände.

Während es für sie ein Bilderbuchsommer war, werden viele andere die Wochen anders in Erinnerung behalten: bedroht von Bränden im Land als Zeit des Horrors und der Angst – der Angst um Besitz und Leben. Mehr als 70 Brände waren es zeitweilig, bei mehreren mussten die Feuerwehren und der Zivilschutz MSB sehr schnell die weiße Flagge hissen. Diese Großbrände zu löschen, ist illusorisch, sie lassen sich bestenfalls eindämmen, heißt es von der Behörde.

Jetzt sind die Feuer im Prinzip alle gelöscht, die Ferien zu Ende und langsam wird bilanziert, analysiert – und kritisiert. Die erfreulichste Meldung dabei: Es gab, anders als in Griechenland und beim letzten Großbrand 2014 in der schwedischen Provinz Västmanland, kein Todesopfer.

Die betroffene Fläche ist doppelt so groß wie 2014

Wie die MSB-Sprecherin Clara Osvald dem Tagesspiegel mitteilt, mussten bei Evakuierungsaktionen 330 Menschen ihre Häuser verlassen. "Die gesamte von den Bränden betroffene Fläche beträgt 25.000 Hektar", sagt Osvald. Damit waren die Feuer doppelt so groß wie 2014.

Der ökonomische Schaden und die gesamten Kosten für die Lösch- und Rettungsarbeiten ließen sich noch nicht beziffern, erklärt Osvald weiter. Die schwedische Regierung hatte die EU um Hilfe gebeten und so bekamen die schwedischen Einsatzkräfte Unterstützung von rund 450 internationalen Helfern, die mit sieben Löschflugzeugen und 18 Helikoptern die Flammen bekämpften.

Versicherer gehen von fast 80 Millionen Euro Schaden aus

2014 beliefen sich die Kosten nur für die internationalen Einsätze auf zwei Millionen Euro. Die Rechnung dürfte 2018 also sehr, sehr sehr viel höher ausfallen. Noch viel größer sind die Kosten für die schwedische Versicherungswirtschaft. Sie geht nach Informationen der Zeitung "Dagens Nyheter" (DN) davon aus, dass bis zu 800 Millionen Kronen (rund 77 Millionen Euro) an Betroffene ausgezahlt werden müssen.

Viele Schweden fragen sich, wie es so weit kommen konnte. Ohne Frage, seit dem Frühjahr war das Land von einer ungewöhnlichen Trocken- und dann auch Hitzeperiode betroffen. Zudem liegt der Verdacht nahe, dass viele Feuer keines natürlichen Ursprungs waren.

Wie die Polizei der Zeitung DN bestätigte, waren bis Ende Juli mehr 100 Voruntersuchungen wegen des Verdachts der Brandstiftung eingeleitet worden. Johan Sjöström, Experte für Waldbrände am Research Institute of Sweden, sagte dem Blatt: "Etwa fünf Prozent der Waldbrände werden durch Blitzeinschlag verursacht." Bei größeren Bränden ab 0,5 Hektar Fläche gehe man von 15 Prozent aus.

Viele Feuer nicht natürlichen Ursprungs

"Der Rest hat auf irgendeine Art mit menschlicher Aktivität zu tun – sei es durch Unachtsamkeit, fehlerhaftes Verhalten oder Vorsatz zum Beispiel von Pyromanen", sagte Sjöström.

Nach Angaben der Polizei werden mehr als die Hälfte der Verfahren sehr schnell eingestellt, weil klar ist, dass sich kein Verursacher feststellen lässt. Doch gibt es mindestens zwei weitere Faktoren, die begünstigten, dass die Brände sich so ausbreiten konnten: zum einen das Krisenmanagement von Regierung und Zivilschutz, zum anderen die industrialisierte Waldwirtschaft.

Nicht nur Schweden rieben sich verwundert die Augen, als bekannt wurde, dass das Land nicht über Löschflugzeuge verfügt. Und das, obwohl mehr als 60 Prozent der Landfläche von Wald bedeckt und die Voraussetzungen für Löscheinsätze aus der Luft optimal sind, weil sich Flugzeuge und Helikopter dank der vielen Seen leicht mit Wasser betanken lassen.

Schweden hat keine eigenen Löschflugzeuge

Nach den Bränden 2014 hatte die Regierung entschieden, immerhin zwei Löschflugzeuge zu kaufen. Diesen Plan verwarf sie aber, um Geld zu sparen. Ein Gutachten stellte nach den Feuern 2014 fest, es habe sich um keine Naturkatastrophe gehandelt. Vielmehr seien Aktivitäten der staatlichen Institutionen schlecht organisiert gewesen, es habe an ausgebildeten Kräften gefehlt – und die technische Ausrüstung habe nicht ausgereicht. Echte Konsequenzen wurden daraus bis zum Sommer 2018 nicht gezogen.

Der sozialdemokratische Regierungschef Stefan Löfven, der sich am 9. September zur Wiederwahl stellt, muss sich nun kritischer Fragen erwehren, ob nicht auch seine Regierung Verantwortung für die erstaunliche Ausbreitung der Waldbrände trägt, weil durch Einsparungen die Einsatzbereitschaft der staatlichen Krisenbereitschaft massiv beeinträchtigt wurde.

Zivilschutz fordert mehr Kompetenzen bei Großlagen

Die Feuerwehrgewerkschaft hatte kurz vor Ausbruch der Brände beklagt, dass es wegen fehlender Ausbildung des Personals an allen Ecken und Enden hapere. Akut unterbesetzt seien in vielen Orten die freiwilligen Feuerwehren. Der Zivilschutz MSB kritisiert, die Feuer wären besser zu bekämpfen gewesen, wenn die Regierung schneller reagiert hätte.

Der MSB fordert, bei derartigen Großlagen mit noch mehr Kompetenzen gegenüber den Kommunen ausgestattet zu werden. Formell hat der MSB bis heute keine nationale Einsatzführungsrolle – und konnte daher auch die Anfrage des Tagesspiegels nicht beantworten, wie viele inländische Kräfte insgesamt am Kampf gegen die Brände beteiligt waren.

Schwedens Premier Stefan Löfven muss sich im Wahlkampf kritischen Fragen stellen.
Schwedens Premier Stefan Löfven muss sich im Wahlkampf kritischen Fragen stellen.
© Pontus Lundahl/TT News Agency/Reuters

Für Umweltschützer spielt ein anderer Faktor eine mindestens ebenso große Rolle. "In den vergangenen 60 Jahren sind große Teile unserer Wälder in Nadelbaummonokulturen umgewandelt worden, im Norden des Landes meistens in Kiefernplantagen", sagt Stig-Olof Holm, Vorstandsmitglied der Umweltorganisation "Rädda skogen" ("Rettet den Wald") und Dozent für Ökologie an der Universität Umeå, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Jüngere oder mittelalte Nadelbaummonokulturen hätten eine dichte Struktur: "In den Kiefernplantagen gibt es daher ein höheres Brandrisiko."

In schwedischen Medien wiesen andere Experten zudem darauf hin, dass die Fichten und Kiefern –  sehr harzige Bäume, die leicht und heftig brennen - in industrialisierten Wäldern, dieselbe Höhe haben. Flammen könnten sich in dem dichten Wald so leicht von Baumkrone zu Baumkrone ausbreiten, viel leichter als in einem Mischwald mit unterschiedlich alten Bäumen. Szenen, die auch Feuerwehrleute schwedischen Medien beschrieben.

Umweltschützer kritisieren industrielle Waldwirtschaft

Die Organisation "Rädda skogen" gibt an, dass mehr als 90 Prozent der Wälder bewirtschaftet sind oder wurden, beziehungsweise forstwirtschaftlich beeinflusst sind. Holm fordert von der Regierung endlich neue gesetzliche Regelungen für mehr Mischwald. Das sei bislang nicht absehbar, weil hinter den bisher vorliegenden Vorschlägen die Personen stünden, "die seit Jahrzehnten die Interessen der Waldindustrie gestützt haben", erklärt Holm

Schweden ist heute der drittgrößte Holz-, Papier- und Zellstoff-Exporteur der Welt – und Deutschland einer der größten Importeure schwedischer Holzprodukte.

Dass die lange Trocken- und Hitzeperiode, die die Brände begünstigte, Auswirkungen des Klimawandels sind, davon sind schwedische Wissenschaftler überzeugt. Schwedens höchster Punkt liegt an einem Gletscher - auf dem Kebnekaise-Berg. Und der ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten durchschnittlich um einen Meter pro Jahr geschrumpft, wie die Universität Stockholm Anfang August mitteilte. Allein im Juli 2018 um vier Meter.

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