Karrierezerfall: Die Passionen des Mel Gibson
Entgleisungen ohne Ende – der unaufhaltsame Absturz des Hollywoodstars und Oscar-Preisträgers Mel Gibson. Die Fans haben ihm lange verziehen - aber jetzt ging er zu weit.
Alkoholexzesse, antisemitische Tiraden, Beschimpfungen – die Liste der Entgleisungen ist lang. Im Internet publizierte Tonbandaufnahmen zeichnen den Oscar-Preisträger Mel Gibson neuerdings gar als gewalttätig. Eine Untersuchung über die Anschuldigungen ist im Gang. Erweisen sich die Bänder als echt, könnten sie Gibsons Karriere beenden.
„Gibson ist nicht nur ein Trunkenbold und Rassist, sondern auch ein gewalttätiger Sexist“ – mit dieser Schlagzeile der Website „Radar Online“ nahm ein neues Kapitel der Saga vom stetigen Karrierezerfall des Schauspielers und Regisseurs seinen Anfang. In der Folge veröffentlichte die Website gleich mehrere Tonbandaufnahmen, die der Online-Publikation von Gibsons inzwischen entfremdeter Verlobten, der russischen Sängerin Oksana Grigorieva, zugespielt worden waren. Gibson scheint auf den Bändern völlig außer Rand und Band zu sein. Er droht Grigorieva, die ihm vor acht Monaten eine Tochter geboren hat, mit Brandstiftung und wünscht ihr, von „Niggern vergewaltigt zu werden“. Für Zündstoff sorgt nebst einer Anhäufung wüster sexistischer und rassistischer Beleidigungen das Geständnis, Grigorieva vor einigen Monaten tätlich angegriffen zu haben. Dabei soll er der Sängerin, die während des Vorfalls ihr Kleinkind im Arm hatte, mehrere Zähne ausgeschlagen haben.
Eine polizeiliche Untersuchung sei eingeleitet worden, meldeten die Fernsehkanäle in Los Angeles. Dabei müsse einiges untersucht werden, vor allem die Authentizität der Tonbandaufnahmen. So viel dürfte feststehen: Erweisen sich die Aufnahmen der Telefongespräche zwischen Gibson und Grigorieva als echt, könnten sie der Karriere des Schauspielers und Regisseurs den Todesstoß versetzen. Noch sei nichts bewiesen, sagte der berühmte Verteidiger Mark Geragos im Fernsehen. Die Stimmen der Beteiligten könnten bewusst gefälscht worden sein. Gibson selbst hat bisher keine Stellung zu den Vorwürfen genommen, doch seine Künstleragentur interpretiert sein Schweigen offenbar als Eingeständnis der Schuld. Ein Sprecher von William Morris Endeavor entschied, sich von Mel Gibson zu trennen.
Ein gemäßigter Lebensstil gehörte noch nie zu den Vorlieben des 54-jährigen Hollywoodstars. Mit seiner ehemaligen, langjährigen Ehefrau Robyn zeugte der irischstämmige, strenggläubige Katholik sieben Kinder. Als erfolgreicher Regisseur und Schauspieler erwirtschaftete er 900 Millionen Dollar, erwarb unzählige Liegenschaften und Ländereien, darunter eine Insel in der Südsee, und baute sich auf einem Anwesen in Malibu seine eigene Privatkirche. Wenig Mäßigung zeigte der Filmheld auch in seinem Alkoholkonsum. 2006 verhaftete ihn die kalifornische Polizei wegen Trunkenheit am Steuer, worauf er den jüdischen Ordnungshüter mit antisemitischen Tiraden beschimpfte: „Kein Wunder, dass ich verhaftet werde. Die Juden waren schon immer für alle kriegerischen Auseinandersetzungen verantwortlich.“ Diese Entgleisung machte weltweit die Runde. Gibson entschuldigte sich später mit einer öffentlichen Erklärung für sein Verhalten und begab sich in eine Entziehungskur. Doch seine Ehe war nicht mehr zu retten. 2006 trennte sich das Ehepaar, drei Jahre später wurde die Scheidung rechtsgültig.
Mel Gibson wuchs in einer katholischen Familie mit elf Kindern auf, als Sohn eines amerikanischen Bahnarbeiters und einer australischen Opernsängerin. Zur Schauspielerei kam er in Australien, seiner zweiten Heimat. Lange hatte er eine untrügliche Nase dafür, was sich gut verkaufte. Filme wie „Mad Max“, „Lethal Weapon“, „Braveheart“ und „Mrs. Soffel“, die von Blut, Schweiß und Tränen triefen, brachten Gibson Weltruhm ein. Am besten spielte er Kerle aus der Gosse, Raubeine, Rächer und romantische Helden. Die Rolle des unbezähmbaren, respektlosen Einzelkämpfers mit dem wilden Blick passte dem Haudegen wie eine zweite Haut. Für das schottische Historiendrama „Braveheart“ wurde er 1995 mit mehreren Oscars geehrt, zum Unwillen vieler Filmkritiker, die Gibson und den Film für überschätzt hielten. Sein selbst finanzierter, überaus kontroverser Film über den Tod von Jesus, „The Passion of the Christ“ – in den USA von der christlichen Rechten zum religiösen Kultfilm erhoben – spielte im Wahljahr 2004 über eine halbe Milliarde Dollar Gewinn ein.
Gibson habe zwar in verschiedenen Rollen Charisma, Humor und gelegentlich sogar Klasse gezeigt, schreibt der Filmkenner und Autor David Thomson. Doch Grenzen – vor allem jene des guten Geschmacks – kenne Gibson nicht. Davon zeugten seine jämmerliche Umsetzung von „Hamlet“ sowie sein fragwürdiger Passionsfilm mit den grausamen Folter- und Exekutionszenen. Insbesondere in den letzten Jahren musste sich Gibson des Vorwurfs erwehren, seine extrem konservativen Ansichten mit missionarischem Eifer über die Leinwand zu verbreiten.
„Hollywood ist eine Fabrik. Schauspieler und Regisseure sind Teile des Getriebes. Wer schlecht funktioniert, wird gnadenlos ersetzt“, hatte Gibson im Frühjahr während der Oscar-Verleihung einem Fernsehmoderator zu Protokoll gegeben. Heute dürfte er sich wünschen, seine damalige Aussage werde nicht auf ihn angewendet. Solange Mel Gibson lukrative Filme dreht, lässt ihn die Traumfabrik vermutlich nicht fallen. Ob ihm seine Fan-Gemeinde, darunter evangelikale Prediger, konservative Radiomoderatoren und Familienorganisationen, auch nach den jüngsten Enthüllungen die Treue halten wird, ist allerdings mehr als fraglich. Die Unterstützung blieb nach den jüngsten Veröffentlichungen aus. In der Vergangenheit hatten sich die Fans weder an Gibsons zutage getretenem Antisemitismus noch an seiner erklärten Abneigung gegen Homosexuelle sichtlich gestört. Aber Gewalt gegen die Mutter seines Kindes, Drohungen und der Wunsch, sie möge vergewaltigt werden, damit ist er wohl zu weit gegangen. Schon wird in Filmkreisen die Vermutung gestreut, sein neuester Film „The Beaver“ – in der Regie von Jodie Foster – werde angesichts der schlechten Presse über den Hauptdarsteller gar nicht in die Kinos kommen. Hollywood kennt keine Gnade.
Ursula Schnyder
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