Panorama: Die Narren von Israel
Wenn der Karneval in Deutschland vorbei ist, fängt er in Israel erst richtig an. Hier heißt er Purim und ist ein religiöser Feiertag.
Super Mario beißt gerade genüsslich in seinen Hotdog während ein paar Meter weiter Piratenbräute tanzen. Die Bässe dröhnen an diesem Nachmittag durch Tel Aviv, das Bier an den Ständen am Straßenrand fließt, Eltern schieben kleine Elefanten und Prinzessinnen in Kinderwagen vor sich her. Es könnte Karneval in Köln sein. Wäre da nicht der Mann mit seiner bunten Perücke, der auf und ab springt und „Olé, olé, Purim, olé“ ruft.
Wenn der Karneval in Deutschland vorbei ist, fängt er in Israel erst richtig an. Hier heißt er Purim und ist ein religiöser Feiertag, den sowohl ultraorthodoxe Juden in Jerusalem als auch die säkularen Tel Aviver ausgelassen feiern: verkleidet, mit ausgiebig Alkohol, lauten Rasseln und Geschrei. Und doch hat Purim als religiöser Feiertag eine ganz andere Bedeutung. Und so ist auch das Programm in den Synagogen ein ganz besonderes.
Zwar ist der eigentliche Festtag erst am Sonntag, doch da das Wochenende in Israel bereits am Freitag beginnt – Samstag ist Sabbat, ein Ruhetag – lassen sich die Israelis die Chance auf ausgelassenes Feiern nicht nehmen. Kinder und Erwachsene sind verkleidet, sitzen bei Sonnenschein und warmen 25 Grad in den Straßencafés, von überallher schallt Musik, bunte Luftballons zieren Eingangstüren.
Schon am Morgen ist Pippi Langstrumpf am Strand von Tel Aviv entlanggejoggt, zusammen mit einer Horde Menschen mit bunten Röcken. Tel Aviv, das schon an allen anderen Tagen im Jahr für seine Partys und sein Nachtleben bekannt ist, dreht an diesem Wochenende völlig durch. Selbst die alte Dame, die ihre drei kleinen Schoßhunde im Park spazieren führt, hat sich einen goldglitzernden Hut aufgesetzt.
Am Nachmittag dann steigen in den verschiedenen Stadtteilen Straßenparaden mit lauter Musik und Essensständen. Der 21-jährige Ben ist mit seinem Freund zur Street Parade gekommen – das größte Fest an diesem Freitag mitten in der Stadt. Ben ist als Arzt verkleidet, mit grünem Kittel, Mundschutz und Stethoskop. „Mein Vater ist Zahnarzt. Da war die Idee naheliegend“, erzählt er. „An Purim ziehen wir alle mit einem Lächeln im Gesicht durch die Straßen.“
Eigentlich jedoch ist Purim ein religiöser Feiertag. Und so ist auch das Programm in den Synagogen – bereits am Samstagabend – ein ganz besonderes.
„An Purim feiern wir, dass Gott unser Volk gerettet hat. Er hat es ermöglicht, dass wir den Krieg gewinnen, den einzigen, den wir in der Diaspora geführt und gewonnen haben“, erklärt Rabbi Ariel Konstantyn, der die orthodoxe Gemeinde Beit El in Tel Aviv leitet. Im Buch Esther steht es geschrieben: Haman, ein Berater des Königs, überredete den Perserkönig Ahasuerus dazu, alle Juden im persischen Reich umzubringen. Auf Anraten von ihrem Onkel Mordechai hin sprach Esther, die jüdische Frau des Perserkönigs, mit ihrem Mann. Sie bat ihn, ihrem Volk zu helfen.
„Dabei riskierte sie ihr Leben, denn sie offenbarte zum ersten Mal ihre jüdische Identität vor ihrem Ehemann, die sie die ganze Zeit verschwiegen hatte“, erzählt der Rabbi. Ahasuerus sorgte daraufhin tatsächlich dafür, dass Haman gehängt wurde. „Doch seinen Befehl, die Juden zu töten, konnte er nicht mehr rückgängig machen“, erklärt der Rabbi. „So erlaubte er den Juden stattdessen, sich zu verteidigen und sich auf den Kampf vorzubereiten.“ Ein Jahr später siegten die Juden und überlebten.
Am 14. Adar des jüdischen Kalenders – dieses Jahr fiel der auf den 24. Februar – feiern die Juden deshalb Purim. Wenn im Gottesdienst das Wort „Haman“ ertönt, schwingen die Kinder ihre Ratschen, alle schreien wild durcheinander. Laut sein ist erlaubt und Kreativität gefragt, wie Rabbi Ariel Konstantyn erklärt: „Manche kleben sich einen Zettel mit dem Wort ‚Haman’ auf die Schuhsohle und trampeln dann.“ Und natürlich ist auch der Rabbi an Purim verkleidet. Da es bei Esther darum ging, die eigene Maskerade abzulegen, dreht sich Purim zunächst um das Maskieren. „Wir verkleiden uns, legen die Kostüme und Masken später ab und zeigen, wer sich dahinter versteckt hat“, erklärt der Rabbi.
Gleiches gilt für den Alkohol. Der floss schon damals bei der Siegesfeier und auch heutzutage an Purim – bei strenggläubigen Juden und säkularen Partygängern gleichermaßen. „Wir sagen: ‚Wenn Wein reinfließt, kommt das Geheimnis heraus.’ Mit Alkohol können wir zeigen, wer wir wirklich sind.“ Einige sehen darin die Chance, sich einmal im Jahr endlich betrinken zu dürfen. Purim ist ein Tag, an dem die Menschen in Israel gemeinsam feiern und neue Leute kennenlernen. Wie an Karneval auch werden Süßigkeiten auf der Straße verteilt. Wie an Halloween geht man zum Beispiel auch von Haustür zu Haustür, bittet aber nicht um Süßes, sondern bringt kleine Päckchen mit. In den Supermarktregalen stapeln sich vor Purim Schachteln mit den sogenannten Hamantaschen: Dreieckige Kekse, gefüllt mit Mohn, Nüssen, Datteln oder Pflaumen. „Außerdem spendet man den Bedürftigen Geld, damit sie sich eine ordentliche Mahlzeit leisten können.“ Denn aus Freude über die Rettung haben sich die Juden auch damals mit Speisen beschenkt und Spenden an die Armen verteilt.
Das Verkleiden beginnt in Israel schon immer gut zwei Wochen vorher. „Meine Kinder haben in der Schule und im Kindergarten jeden Tag ein anderes Verkleidungsmotto. Gestern war Pyjama-Tag, heute ist Tag der Superhelden“, erzählt der Rabbi. Und so verwandelt auch Tali ihren Geschenkeladen „Paradiso“ im Dizengoff Center einen Monat vor Purim in ein reines Verkleidungsgeschäft. „Die Tage davor ist hier die Hölle los, jeder will noch schnell ein Kostüm“, erklärt sie. Elinor und Alona haben es mittlerweile in den Laden geschafft und eine Tiara ausgesucht. Daneben halten sich Frauen vor dem Spiegel Schmetterlingsflügel an den Rücken und ziehen Piratenhüte auf. Der Trend: Hauptsache viel Haut zeigen, weiß Tali: „Die Frauen wollen sexy aussehen. Ob sie als Krankenschwester gehen oder als Piratenbraut: Die Röcke sind kurz.“ Und wer auf mehr als eine Party geht, braucht in der Regel auch mehr als ein Kostüm. Elinor: „Ich brauche noch ein Prinzessinnenoutfit.“
Lissy Kaufmann
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