Spanien: "Die Monarchie geht am Stock"
Spaniens König Juan Carlos stürzt das Königshaus in eine tiefe Krise – fast zwei Drittel der Spanier wollen, dass er abdankt. Vor allem die jüngere Generation wendet sich von der Monarchie ab.
Buhrufe, Pfiffe, lautstarker Protest. Wenn sich Spaniens königliche Hoheiten in der Öffentlichkeit sehen lassen, bekommen sie neuerdings nicht nur artigen Applaus zu hören. Manchmal wird ihr Auftritt ein Spießrutenlaufen. Das bekam dieser Tage die 75 Jahre alte Königin Sofia zu spüren, als sie mit ihrem Gefolge in Spaniens Hauptstadt Madrid an einer Filmpremiere teilnahm. „Ganoven“, riefen wütend einige Demonstranten, die sich vor dem Kino aufgebaut hatten und von nervös in die Menge starrenden Leibwächtern auf Distanz gehalten wurden. Ein junger Mann hielt ein großes Pappschild in die Höhe, auf dem der Königsfamilie Korruption und Vetternwirtschaft angelastet wurde: „Ein König, der Geschenke akzeptiert, muss sich nicht wundern, wenn seine Kinder Ähnliches machen.“
Prinzessin Cristina, mit 48 Jahren die jüngste Tochter von König Juan Carlos, steht derzeit zusammen mit Ehemann Iñaki Urdangarin im Zentrum eines großen Bestechungs- und Betrugsskandals. Ein Untersuchungsrichter in Palma de Mallorca beschuldigt die beiden, öffentliche Gelder in Millionenhöhe ergaunert und zudem den Fiskus systematisch betrogen zu haben.
Alle schauen betreten, wenn Juan Carlos redet
Königin Sofia schaut, sichtlich betreten, nach unten auf den roten Teppich. Tut so, als ob sie nichts gehört und nichts gesehen hat. Winkt den Menschen dann freundlich zu. Immerhin kann sich Sofia mit der Erkenntnis trösten, dass der Zorn der Untertanen wohl mehr ihrem Gemahl, dem König, gilt. Der beim Volk wegen seiner Elefantenjagden, Seitensprünge und anderer Dinge, zu denen auch die Annahme von Luxusgeschenken gehört, ziemlich unten durch ist.
Und der Zorn gilt natürlich dem königlichen Schwiegersohn Urdangarin samt Cristina, die beide mit ihrer vom Ermittlungsrichter attestierten „Geldgier“ der Krone einen weiteren schweren Schlag versetzten. Zum 76. Geburtstag von Juan Carlos vor wenigen Tagen veröffentlichte die Zeitung „El Mundo“ eine Umfrage mit bitteren Wahrheiten. Fast zwei Drittel der befragten Spanier wollen ihren alten König am liebsten in den Ruhestand schicken. Sie sind dafür, dass er nach 38 Jahren endlich abdankt.
Die Stimmung ist aufgeheizt. Nur Königin Sofia und Kronprinz Felipe können in den Augen der Untertanen noch bestehen. Beide vermochten bisher alle königlichen Affären klug zu umschiffen. Sofia hat sich als Mutter der Nation viele Herzen erobert. Felipe gilt als exzellent ausgebildeter Thronfolger, dem zugetraut wird, den Job als König und Staatschef einmal besser auszufüllen als sein Vater.
Soweit Felipe überhaupt noch dazu kommt, die Krone aufzusetzen und ihren bröckelnden Ruf wieder aufzupolieren. Denn der Wind dreht sich zunehmend gegen die Monarchie selbst. Erstmals in der Geschichte der spanischen Meinungsforschung wurde die Frage „Unterstützen Sie die Monarchie als Staatsform für Spanien“ nicht mehr von einer Mehrheit mit „Si“ beantwortet.
Das neue Jahr startet alles andere als gut für Juan Carlos, der nach seinen vielen Gesundheitsproblemen und Hüftoperationen eigentlich beweisen wollte, dass er sehr wohl noch ein würdiger Staatsrepräsentant sein kann. Doch sein mit Spannung erwarteter Auftritt ging voll daneben: Als der König erstmals nach Monaten der Krankheit beim Neujahrsempfang für das Militär wieder vor eine größere Menschenmenge trat, bekam das Volk einen tattrigen Staatschef zu sehen. Dessen Stimme stotterte, dessen Hände zitterten und der überhaupt erhebliche Schwierigkeiten hatte, seine Rede bis zum Ende vom Blatt zu lesen. Die versammelten Generäle stierten peinlich berührt nach oben.
Ein Desaster für den König und seine Imageberater, die bisher vergeblich gegen die öffentliche Meinung kämpfen. Die Monarchie wanke gefährlich, meinte danach entsetzt „El Mundo“. „Es wachsen die Zweifel, dass Juan Carlos tatsächlich in der Lage ist, das Amt des Staatsoberhaupts auszufüllen.“
Hinzu fügen sich die Bilder eines Königs, der sich seit seinem Elefantenjagdunfall im afrikanischen Botswana vor knapp zwei Jahren nur noch höchst mühsam auf Krücken bewegt. Eine Szene, die vielen als symptomatisch für den Zustand des Königshauses gilt. „Die Monarchie geht am Stock“, witzelt das Volk, das den Verfall der früher so angesehenen Institution mit bitterem Humor begleitet.
Die ältere Generation hält noch zu ihm
Auf Kritik stößt die Tatsache, dass sich der König schon mehrfach in einem privaten und nicht in einem staatlichen Krankenhaus die Hüfte richten ließ. Er ließ sogar eigens zwei berühmte Chirurgen aus den USA kommen. Dies verstärkt im Spanien der Wirtschaftskrise und wachsenden Armut den Abstand des Königshauses zum Volk. Die große Mehrheit der Bevölkerung muss sich den überfüllten öffentlichen Hospitälern anvertrauen. Spaniens staatlicher Gesundheitsdienst leidet unter radikalen Sparmaßnahmen, was dazu führt, dass Facharztbesuche und Operationen erst nach monatelanger Wartezeit erfolgen können.
Lediglich die ältere Generation sieht über königliche Sündenfälle großzügig hinweg. Die ergrauten Monarchisten rechnen dem König bis heute hoch an, dass er 1981 die damals noch junge Demokratie gegen einen Putschversuch des Militärs verteidigte. Doch unter den jüngeren Spaniern gilt das Königshaus als verschwenderisch und überflüssig, als eine Institution früherer Jahrhunderte, die besser durch einen demokratisch gewählten Staatspräsidenten ersetzt werden sollte.
Eine Revolution ist aber noch nicht in Sicht
Eine Revolution ist in Spanien aber noch nicht in Sicht. Kurz vor Jahreswechsel hatte Juan Carlos seine „Entschlossenheit“ verkündet, „als König von Spanien weiterzumachen“. Ähnliches hatte bereits Königin Sofia vorhergesagt: „Der König wird bis zu seinem Tod regieren.“
Dabei hatte die niederländische Königin Beatrix I. vor einem Jahr bewiesen, dass Monarchen sehr wohl mit Würde abtreten und den Weg für eine neue Generation freimachen können. Ende April 2013 rückte Sohn Willem-Alexander auf den Thron.
In Spanien beschwört die konservative Regierung derweil die „Kontinuität und Stabilität“ im heimischen Königshaus. Die königskritische Zeitung „El Pais“ sieht das anders. Angesichts derartiger Erstarrung drohe nun „ein weiteres Jahr des Martyriums für die Monarchie“.
Doch auch unter den eisernen Anhängern des Königshauses wächst die Sorge, dass der Hof irgendwann vom Volk hinweggefegt werden könnte, wenn nicht bald frischer Wind durch den verstaubten Palast weht.
„Die junge Generation der unter 45-Jährigen hat sich schon abgewendet“, warnt Luis María Anson, eine der grauen Eminenzen unter den spanischen Königshauskennern und ein prominenter konservativer Journalist. Die jungen Spanier seien buchstäblich angewidert von der Monarchie. Dieses System sei „an sein Ende gekommen“. Wenn Spanien nicht bald für mehr Ordnung sowie Transparenz im Königshaus sorge und wenn sich die Monarchie nicht „von innen heraus“ reformiere, dann werde dies eben „revolutionär von draußen“ geschehen. „Im ersten Fall wird die parlamentarische Monarchie überleben“, prophezeit Anson, „im zweiten Fall wird sie überrollt werden.“