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© dpa

Hirnforschung: Die Illusion vom großen Geld

Der Mensch kann nicht mit Finanzen umgehen, sagen Hirnforscher – Gier und Angst beherrschen ihn. Denn: Im Hirn wird beim Thema Geld das gleiche Areal aktiviert wie beim Sex oder der Einnahme von Kokain.

Winfried Kill hat in der Finanzkrise buchstäblich den Verstand verloren. Der 70-jährige Gründer der Indus-Aktiengesellschaft – Umsatz eine Milliarde – ist seit Monaten unzurechnungsfähig, er starrt nur noch vor sich hin. „Panikzustände“ wurden ihm attestiert. Zu Panik hatte er allerdings guten Grund. 75 Millionen, 100 Millionen, die genaue Höhe seiner Spekulationsverluste ist unklar. Wie kann es passieren, dass ein erfahrener Erfolgsmensch, der in seinem Leben bewiesen hat, dass er weiß, wie man investiert, plötzlich alles verzockt? Und nicht nur sein eigenes Geld, auch das seiner Frau und das des Sohnes?

Es häufen sich die Meldungen, dass die Banken, die die Finanzkrise mit ihren riskanten Geschäften verursacht haben, wieder voll dabei sind beim Zocken, als wäre nichts gewesen. Auch Kleinanleger sind dabei bei der neuen Party, die Aktienkurse steigen und steigen, die Rennerei geht wieder los. Haben sie alle nichts gelernt? Wollen sie alle nichts lernen?

Der Mensch kann nicht lernen. Jedenfalls nicht, wenn es um Geld geht. Das sagt Daniel Kahnemann. Daniel Kahnemann ist Nobelpreisträger. Wie auch sein Kollege Amos Tversky. Die beiden gelten als Begründer der sogenannten Neuroökonomie. Das ist eine Mischung aus Hirnforschung, Ökonomie und Psychologie. In den letzten Jahren haben sie und andere Forscher versucht zu erklären, warum der Mensch mit Geld nicht rational umgehen kann. Sie haben herausgefunden, dass beim Gedanken an eine Gelderwartung ein Hirnareal aktiviert wird, das auch beim Sex und bei der Einnahme von Kokain die Kontrolle steuert, keine gute Vorraussetzung für eine Entscheidung.

Grundsätzlich bewegt sich der Mensch in Sachen Geld zwischen den Zuständen Gier und Angst. Steigen die Aktien, steigt das Hochgefühl. Es steigt auch das Gefühl, cleverer zu sein als andere. Das ist ein mächtiges Gefühl, so mächtig, dass es einen selber mattsetzen kann. Wenn dann die Kurse plötzlich nicht mehr steigen, und dieser Tag kommt bestimmt, will der Clevere nicht wahrhaben, dass er plötzlich nicht mehr recht hat. Er hält an seinen Verlusten fest bis zum bitteren Ende. Recht haben führt an der Börse direkt ins Unglück, weil der Markt sich nicht darum schert, was irgendein Cleverer denkt. Der Markt macht, was er will, niemand kann Kurse vorhersagen. Nur eines macht der Markt irgendwann ganz sicher: Er sinkt wieder. Viele haben das bitter erfahren müssen, mancher erinnert sich an sein Gefühl, das er hatte, als alle Kurse stiegen. Der Gedanke, dass die Party eines Tages zu Ende sein könnte, wurde einfach verdrängt. Die Erinnerung an die anschließenden Verluste führt aber keineswegs zu einem Lerneffekt. Ganz im Gegenteil. Laut Kahnemann und Tversky neigt der Mensch dazu, die Verluste wieder reinholen zu wollen, und kauft in die fallenden Kurse hinein nach. Oder sucht in einer späteren Phase wieder sein Glück. Es gibt auch viele Menschen, die größere Gewinne gar nicht erst zulassen. Ihre horrende Angst, der Gewinn könne wieder zerrinnen, lässt sie die Aktien schnell verkaufen, sie geben sich mit wenig zufrieden. Umgekehrt lassen sie aus Angst, Verluste sich selbst und anderen gegenüber zugeben zu müssen, die Verluste laufen, bis sie völlig entnervt die Aktie verkaufen. Der Mensch macht also genau das Falsche, wenn er seinen Emotionen nachgibt. Richtig wäre das Gegenteil, die Gewinne laufen zu lassen und die Verluste zu begrenzen. Dazu bedarf es großer Disziplin, weil die Gefühle dauernd das Gegenteil verlangen.

Es gibt Hilfsmittel. Zunächst sollten Anleger mit niemandem darüber reden. Dann müssen sie anderen gegenüber auch nicht recht behalten. Eine weitere Hilfe ist mechanischer Art. Fonds benutzen sie, Vermögensverwalter, Banken, Trader ebenfalls. Sie stellen eine sogenannte Stopp-loss-Order ein. Das ist auch für den Kleinanleger ganz einfach. Bei seinem Online-Broker muss er nur einen Kurs eintragen, bei dessen Unterschreiten automatisch verkauft wird. Egal, was die Gefühle gerade raten. Mit solchen Stopp-Ordern braucht der Anleger keine Angst mehr vor horrenden Verlusten haben. Und wenn die Kurse steigen, kann er die Stopp-Order schrittweise nach oben verlegen. Damit sichert er nach und nach einen immer höheren Gewinn.

Experten wie Van K. Tharp oder Thomas Vittner empfehlen einfache mechanische Handelssysteme, wie sie nicht nur die Profis anwenden, sondern auch einfache Anleger durchführen können, um den Faktor Gefühl zu zähmen. Handelssysteme legen genau fest, in welcher Situation gekauft oder verkauft wird. Ein wichtiger Faktor ist dabei die Risikokontrolle. Wer pro Trade nicht mehr als ein Prozent seines Handelskontos riskiert, hat eine bessere Chance zu überleben, als einer, der zehn Prozent riskiert und schon nach wenigen Verlusttrades aus dem Markt geworfen wird. Gier und Angst – mit Disziplin, Geduld und Demut lassen sie sich bändigen. Wer Zweifel hegt, sollte die Finger von all dem lassen und das Geld sparen. Er muss es ja niemandem verraten.

Literatur zum Thema: Van K. Tharp „Clever traden mit System 2.0“. Thomas Vittner „Das Trader Coaching“. Curtis M. Faith „Die Strategien der Turtle Trader“, alle im Finanzbuchverlag.

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