Viel Lärm um alles: Die Briten und ihr Olympia-Schlussspektakel
Mit einem dröhnenden Abschluss hat das Land ein neues Selbstbewusstsein gefeiert. Nicht jeder goutierte die Superstar-Revue, aber für Großbritannien kam es auf etwas anderes an: Dass eine heterogene Gesellschaft in schwierigen Zeiten zusammenhalten - und feiern - kann.
Man hätte gewarnt sein müssen. Das Shakespeare-Zitat „Habt keine Angst, die Insel ist voll des Lärms“ aus „The Tempest“ hatte schon bei der Eröffnungsfeier den Sturm der bunten Bilder und der Hits eingeläutet. Auch am Sonntag kündigte Winston Churchill in Gestalt von Schauspieler Timothy Spall mit diesen Worten großen Krach an, und so schepperte, hämmerte und dröhnte das Spektakel dann eben gut drei Stunden in die tiefste Nacht hinein, bis die Alt-Rocker von „The Who“ das leicht ermüdete Publikum mit der Jugendrebellen-Hymne „My generation“ entließen.
„Die Leute sehen zufrieden, aber nicht übermäßig begeistert aus, so in etwa wie nach einem 0:0 auswärts bei Aston Villa“, sagte ein Radioreporter der BBC mit klassisch ironischem Tonfall, als er am Ausgang des Olympiastadions Passanten abfing. So beeindruckend sich London 2012 in visueller Hinsicht verabschiedete, mit einem Riesenfeuerwerk und dem von 10 000 Athleten vollendeten „Union-Jack“-Kunstwerk von Damien Hirst, so beliebig mutete das Musikprogramm an. Es gab keine übergeordnete Idee, außer der, möglichst viele international bekannte Stars zur Party zu karren. Das war mehr als Show, es war „showing-off“: Wir, die Welthauptstadt des Pop, haben und kriegen sie alle, schrie das Line-Up mit den Spice Girls, George Michael, Noel Gallagher, Brian May und Ray Davies in die Welt hinaus.
Bei all den großen Namen blieb weniger Platz für humoristische Zwischentöne. Eine Einlage mit „Batman und Robin“, die an eine Folge der Fernsehkomödie „Only Fools and Horses“ anspielte und Eric Idles „Always look on the bright side of life“ waren neben einem missglückten Intermezzo von Russell Brand als Dandy- Clown die einzigen exzentrischen Ausreißer in der für ein globales Publikum konzipierten Varieté-Schau. In einem Punkt wies die Show unfreiwillig über die britische Selbstbezogenheit hinaus: Die RollsRoyce-Fahrzeuge hatten ihre Lenker links, wie in Deutschland.
Das Ganze hatte nicht die durchgeknallte Leichtigkeit und Intelligenz von Danny Boyles Auftaktvorstellung, die Großbritanniens Wandlung von der industriellen Revolution hin zur modernsten, weil globalisiertesten Gesellschaft als Geschichte mit Happy End inszenierte und damit dem konservativen Narrativ des nationalen Niedergangs lauthals widersprach. Wirklich etwas zu erzählen hatte die Show nur am Anfang, als London als Stadt des Verkehrs dargestellt wurde, in der neben Bussen, U-Bahnen und Taxis tagtäglich tausende Ideen befördert werden. Autos waren mit Zeitungsseiten verkleidet, denn die Zeitung ist an der Themse weiter ein wichtiger Lebensbegleiter. Die britische Liebe zum gedruckten – und gesprochenen – Wort kündet von geistiger Reiselust. „Read all about it“, sang Emeli Sandé, „we are a little different, we are wonderful people, now we are finding our voices“. Der Song bezieht sich auf ihre eigene Biografie – die 25-Jährige wuchs als Tochter eines afrikanischen Vaters und einer weißen Mutter in einem schottischen Dorf auf – traf aber als Plädoyer für den Mut zur Andersartigkeit exakt die Stimmung, die in den vergangenen 16 Tagen im Land herrschte. Großbritannien, dass aus Angst vor Enttäuschung stets ein Olympiasieger in der Disziplin war, sich präventiv selbst auf die Schippe zu nehmen und das eigene Licht unter den selbst-ironischen Scheffel zu stellen, hat gemerkt, was es an sich hat. Die „Times“ schrieb: „Die Olympischen Spiele haben so viel atemlosen britischen Patriotismus ausgelöst, dass die Welt sich fragen mag, ob wir es mit unserer Bescheidenheit und Selbstironie jemals ernst gemeint haben. Aber wir haben es ernst gemeint: Niemand ist so erstaunt wie wir, die Gastgeber, dass diese schwierige und komplexe Veranstaltung so gut geklappt hat.“ Die ganze Welt blickte nicht nur voller Bewunderung auf äußerliche Sehenswürdigkeiten wie Big Ben oder Buckingham Palace, sondern auch die Selbstlosigkeit von 120 000 freiwilligen, unermüdlich höflichen Helfern und ein Publikum, das bei all den patriotischen Emotionsausbrüchen für multiethnische Helden wie Mo Farah oder Jessica Ennis nie vergaß, Sieger und Verlierer aus anderen Ländern anzufeuern. Ausgebuht wurden nur korrupte Ringrichter beim Boxen, Badminton-Spielerinnen, die ihr Schlechtestes gaben – und Fifa-Boss Sepp Blatter.
Der entgegen aller Horror-Vorhersagen reibungslose Ablauf der Spiele wird das Land selbstbewusster machen und ein Stück weit von der gefährlichen Droge der Nostalgie emanzipieren. Man wird sich zudem viel stärker als zuvor dem „Soft Power“, der sanften Macht bewusst sein, die das Königreich mit seiner Leitkultur der Toleranz und Gelassenheit auszuüben vermag. Der „Guardian“ schrieb: „Die Olympischen Spiele haben gezeigt, dass eine heterogene Gesellschaft auch in schwierigen Zeiten zusammenhalten kann, um etwas zustande zu bringen, das Applaus verdient; etwas, das auch einen optimistischeren und erhebenden Blick auf uns selbst hervorgebracht hat.“
Dieser Sommer wurde auch deshalb mit so viel Lust gefeiert, weil London ja schon seit langem an die Grundprinzipien von Sport und Pop glaubt. Dass es nicht darauf ankommt, woher man kommt. Nur darauf, dass man es kann.
Raphael Honigstein