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Das Große auf dem Höhepunkt beenden, dann klein etwas Neues beginnen, so hat Alfred Biolek es immer gemacht.
© Oliver Berg/dpa

Alfred Biolek: Deutschlands bekanntester Fernsehkoch wird 80

Fernsehen? Interessiert ihn nicht mehr. Kochen? Hat er fast ganz aufgegeben. Alfred Biolek wird am Donnerstag 80 Jahre alt. Und wirkt gelassener denn je. Ein Portrait.

Das Absturzopfer kommt pünktlich um halb zwölf. Alfred Biolek, knapp 80 Jahre alt, bewegt sich schwerfällig durch den Kölner Stadtgarten, lässt sich von seiner Büroleiterin stützen. Im Laufe des Gesprächs wird herauskommen, dass er sich von den beiden Grundpfeilern seines Daseins verabschiedet hat: Er arbeitet nicht mehr, nicht fürs Fernsehen und auch sonst für niemanden. Er kocht fast gar nicht mehr, „das ist mir einfach zu anstrengend geworden“.

Doch während er das sagt, wirkt er entspannt und keineswegs wie jemand, dem der Sinn des Lebens abhanden gekommen ist. Ja, sagt er, es habe ihn schon geärgert, dass die Autorin seiner süddeutschen Lieblingszeitung ihn kürzlich zum Objekt einer quasi griechischen Tragödie stilisiert habe, zu jemandem, der aus höchsten Höhen abgestürzt und dann blitzartig von allen angeblichen Freunden fallen gelassen worden sei – das sei doch alles Unfug, denn in diesem Alter könne man einfach nicht immer so weitermachen wie früher. Er findet das ganz normal. Und warum – da gerät er richtig in Rage – darf denn einer, der das Fernsehen erklärtermaßen aufgegeben hat, nicht trotzdem mal aus Spaß auf einem Kreuzfahrtschiff auftreten, ohne dass man ihm würdelose „Tingelei“ vorwirft?

Aber auch das ist ja vorbei. Köln also, nicht mehr Berlin, wo er sich doch einst ganz niederlassen wollte. Eine überschaubare Wohnung in der Innenstadt, viel kleiner als damals der legendäre Salon in Prenzlauer Berg, der das heimliche Herz der Filmfestspiele war, der Ort, an den der Chef Dieter Kosslick seine Stars lotste, wenn die keine Lust mehr auf Begafftwerden und Paparazzi hatten. Manchmal kamen da 20, manchmal auch 70 Leute zusammen, Biolek kochte was, es wurde gelebt und musiziert und getratscht und getrunken, wie es im Borchardt nie möglich gewesen wäre.

Hauskonzerte in Berlin

Wie kam das überhaupt mit Berlin? Es war um die Jahrtausendwende herum. „Ich hab wohl einfach gedacht, da ist richtig was los, hab mich dann umgesehen und ein Haus gefunden mit einer sehr, sehr schönen Wohnung, große Küche, großes Esszimmer, Gästewohnung und noch eine im Keller.“ Biolek hatte keine alten Freunde in der Stadt, aber Kosslick, ein Bekannter aus alten Kölner Zeiten, fungierte als Türöffner. Dann fanden sich einige Musiker ein und gaben Hauskonzerte. „Da braucht man ja auch Zuhörer, und für die habe ich dann was gekocht, das hat Spaß gemacht. Wenn da 20 Leute waren, dann habe ich zehn später zum Essen eingeladen, und von denen sind fünf Freunde geworden.“ Thomas Quasthoff hat gesungen, Daniel Barenboim hat Klavier gespielt, „das hat mir die Stadt sehr nahe gebracht“.

Der Unterschied im Rückblick: Das in Berlin waren bei näherem Hinsehen doch nur viele „sehr gute Bekannte“, aber heute in Köln leben „wirklich gute alte Freunde“, und da genügen ihm ein paar; Thomas Woitkewitsch, mit dem er schon vor 40 Jahren gemeinsam Sendungen produziert hat, ist einer davon.

Nein, da mischt sich keine Bitterkeit in die Rückschau. Natürlich war es ein Katastrophenjahr 2010, als die Produktionsfirma insolvent wurde und der Lebensgefährte ging, und vor allem, weil Biolek in Köln beschwipst eine Treppe hinunterstürzte, sich die Schulter verletzte, den Kopf anschlug und in Krankenhaus und Reha um sein Gedächtnis kämpfen musste. Aus diesem Gedächtnis trat dann ein Gedicht von Hermann Hesse zutage, das vorn in seiner Biografie steht, „Stufen“ heißt es, und darin kommt der Satz vor: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten/an keinem wie an einer Heimat hängen.“ Und ein anderer: „Wie jede Blüte welkt und jede Jugend/dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe.“ Der Unfall, das ganze Jahr war eine Lebensstufe, ahnte er, jetzt kommt eine neue. „Ich wusste, ich fahre jetzt wieder dahin, wo ich gute alte Freunde habe.“ Ab und an besucht er Berlin, aber das ist nicht mehr das Gleiche, und Berlin, ach, ist auch sehr, sehr voll geworden.

Er hat zwei Adoptivsöhne

An diesem Donnerstag feiert Alfred Biolek seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass hat Sandra Maischberger einen Film gedreht, der kürzlich in der ARD gelaufen ist und in dem ein paar nicht unbekannte, aber noch nicht weit und breit gesendete Fakten zum Leben Bioleks zusammengetragen wurden, zum Beispiel, dass er zwei Adoptivsöhne hat. Einer, Keith, lebt in New York. „Waren Sie vorher mal ein Paar?“, wurde er kürzlich von einem Interviewer gefragt, und er antwortete, „Hm, ja. Es kommt aber auch darauf an, wie man das Wort Paar definiert.“

Der zweite Sohn ist in diesen Status, den des Sohns, gerade erst erhoben worden: Scott Biolek-Ritchie, ein Freund des verflossenen Keith, lebt in Köln, er war da, als Biolek im Krankenhaus wieder zu sich kam, und er hat mit seinem Adoptivvater dessen letzte berufliche Arbeit begleitet, die Koch-App. Nein, die beiden waren nie liiert, sagen sie. Biolek selbst hat sich gefreut über den Film, für den Sandra Maischberger ihn zwei Jahre lang immer wieder begleitet hat, „ich wurde sehr viel darauf angesprochen“. Ach, und bitte noch ein Stück Zucker, er trinkt Latte macchiato koffeinfrei.

Alles ist irgendwie Schlager und Frohsinn

Kein Gespräch mit dem Großmeister der Fernsehunterhaltung ohne Reden übers Fernsehen. Aber man weiß: Es interessiert ihn nicht mehr. „Wenn ich heute so jung wäre, wie ich damals war, würde ich nicht mehr zum Fernsehen gehen, sondern Theater machen oder so was.“ Für schräge Experimente, unbekannte Musiker und internationale Stars, für Performances, generell für Neugier wie in „Bios Bahnhof“ sieht er heute im großen Programm keinen Platz, alles ist irgendwie Schlager und Frohsinn. Die Entfremdung scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn als beispielsweise alle Welt darüber redete, ob „Wetten, dass ..?" zu retten sei, hat ihn niemand angerufen, keiner vermutete das Geheimrezept gerade bei ihm.

Einer wie er, der sich immer auf dem Gipfel verabschiedet hat, versteht sowieso nicht, was manch gestandener Kollege heute im Fernsehen so treibt. Wie hat er den Absprung geschafft? „Man muss vor allem spüren, dass man die Qualität, die man erreicht hat, nicht halten und erst recht nicht verbessern kann.“ Das Große auf dem Höhepunkt beenden, dann wieder klein etwas Neues beginnen, so hat er es gemacht. Er gilt sogar als Erfinder der Kochshow, weil in „Alfredissimo“ unentwegt gekocht und probiert und angestoßen wurde, weist das aber von sich: Kochen, meint er, war nur das Vehikel, das die Gespräche in Gang brachte, war nicht so wie heute das Zentrum der Sendung. Manchmal, sagt er, gerät er beim – seltenen – Fernsehen heute noch in Kochshows hinein, bleibt zwei oder drei Minuten und zappt dann weiter. Irgendwie entnervt, aber doch loyal: „Fernsehen ist heute nicht schlechter, aber total anders als früher.“

Gelassene Routine

Biolek ist im Gespräch konzentriert und genau, sucht manchmal eine kleine Weile nach einem Namen oder Begriff, lässt aber immer noch die gelassene Routine unzähliger Gespräche mit und ohne Kamera spüren. Die Quelle dieser Gelassenheit liegt vermutlich in seinen frühen Jahren, dort, wo es tatsächlich einen gewaltigen Absturz gegeben hat, einen Absturz, der bis heute nachhallt, an den er sich im Detail erinnert. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Denn seine glückliche Kindheit und Jugend im heute tschechischen Freistadt wurde 1945 rabiat durch die Vertreibung beendet, russische Soldaten schoben die Familie in Transportwaggons, und der Zug kam erst irgendwo in Bayern zum Stehen, zwischen München und Augsburg.

Der Vater gelangte nach kurzer Haft auf anderen Wegen nach Deutschland, gründete in Waiblingen 1946 eine Anwaltskanzlei. Die wäre selbstverständlich eines Tages an den Sohn übergegangen, wenn der gewollt hätte. Doch Alfred Biolek, Mitglied der CDU und einer katholischen Studentenverbindung, hatte wohl Ambitionen, die über ein solides schwäbisches Bürgerleben hinausreichten. Schon 1951 verbrachte er ein Jahr als einer der ersten deutschen Austauschschüler in den USA, gründete später ein Studentenkabarett. 1958 legte er das drittbeste juristische Staatsexamen in Baden-Württemberg ab, promovierte und vertrat seinen erkrankten Vater – doch dann kam das Fernsehen. 1963, unmittelbar nach der zweiten Staatsprüfung, begegnete er Kurt Rebmann, dem designierten Verwaltungschef des neuen Zweiten Deutschen Fernsehens, der später Generalbundesanwalt wurde, und ließ sich als Assessor in die Rechtsabteilung des ZDF einstellen – für kurze Zeit. Denn nach wenigen Monaten begann er zu moderieren; einen Ruf als begnadeter Witzeerzähler hatte er schon damals.

Als Produzent bei der Bavaria genoss er jede Freiheit

Ungefähr Mitte der 60er Jahre verliebte er sich zum ersten Mal in einen Mann – wohl der Beginn des neuen, ganz anderen Lebens. 1970 kündigte er den bombensicheren Job in Mainz und zog nach München, den Sitz der kulturellen Avantgarde um Rainer Werner Fassbinder. Als Produzent bei der Bavaria genoss er jede Freiheit, durfte die obskuren Witzbolde nach Deutschland holen, die in England unter dem Namen „Monty Python’s Flying Circus“ absurde Sketche vorführten; Rudi Carrells „Am laufenden Band“ war 1974 der berufliche Durchbruch.

Und privat? „Ich habe immer offen schwul gelebt, aber nicht öffentlich“ – dieses Prinzip hielt bis 1991, bis zum berühmten Outing durch den Filmemacher Rosa von Praunheim, dem auch Hape Kerkeling zum Opfer fiel, „ein Schlag, der eine Verspanntheit gelöst hat, die dann weg war“, wie er später aufgeräumt analysierte. Im Maischberger-Film gibt er sich im Rückblick als eher schüchtern und vorsichtig zu erkennen, fährt im Taxi an den legendären Stätten des schwulen Aufbruchs vorbei, berichtet von seinen Erlebnissen. Aber: Der grobe Stil, Darkrooms und so etwas, das sei nichts für ihn gewesen, glücklicherweise, „denn sonst wäre ich heute nicht mehr am Leben“.

Sein Leben scheint sich auf das Wesentliche zu konzentrieren

Das Leben Bioleks als eine der populärsten deutschen Fernsehfiguren begann 1976, als er zusammen mit dem Journalisten Dieter Thoma für den WDR die Talkshow „Kölner Treff“ begründete. „Bios Bahnhof“ startete 1978, es folgten später „Bei Bio“, „Showbühne“, „Mensch Meier“ und „Boulevard Bio“, zum Teil nacheinander, zum Teil parallel; „Alfredissimo“ wurde von 1994 bis 2006 produziert, lief aber in Wiederholungen noch lange weiter. Dazu das Ehrenamt: Honorarprofessor, UN-Sonderbotschafter für Weltbevölkerung, Gründer einer Afrika-Stiftung. In Berlin übernahm er die Schirmherrschaft für die „Bar jeder Vernunft“. Sein letzter Auftritt im größeren Rahmen schloss einen Kreis: Er spielte 2009 einen Historiker im Kölner Musical „Monty Python’s Spamalot“.

Biolek hat sich nie als großen Schreiber gesehen, war aber schließlich auch als Buchautor erfolgreich: „Unser Kochbuch“, 2001 zusammen mit Eckart Witzigmann verfasst, war ein Beweis seines enormen Gespürs für gesellschaftliche Trends auch in diesem Metier. Es handelte sich um eine der ersten modernen vegetarischen Rezeptsammlungen auf dem deutschen Markt. Biolek selbst war nie Vegetarier, es hat ihn einfach die Marktlücke angelächelt, „ich lag im Bett und dachte, man hört immer mehr von Gerichten ohne Fleisch und Fisch, aber hat nie was über die Rezepte erfahren“.

Man traf sich auf Mallorca, dann in Berlin

Witzigmann war der passende Partner, der Rezeptideen und Kochtechnik mitbrachte, man traf sich erst auf Mallorca, dann in Berlin. Das Ergebnis kann sich auch heute noch sehen lassen, inmitten einer Flut thematisch ähnlicher neuer Veröffentlichungen. Biolek hat zwar das Kochen nie professionell gelernt, konnte sich mit dem berühmten Chef dennoch auf Augenhöhe verständigen. Und wie das so ist mit dem Geschmack, wusste er ohnehin: Gerade in französischen Drei-Sterne-Restaurants „war ich tief enttäuscht, wie schlecht das Essen war“.

Auch heute geht Biolek manchmal noch auswärts essen. Aber nicht mehr im Pulk, sondern nur noch mit zwei oder drei Freunden. Sein Leben scheint sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Ich hab jetzt einen lieben Freund, der wohnt auch bei mir und kocht für uns. Ich vermisse das Kochen nicht, ich bin ja noch dabei.“ Am Vorabend des Gesprächs gab es mariniertes Huhn mit Pasta – am besten geschmeckt hat es ihm auch meist in Italien.

Ab Donnerstag folgt das Feiern. Noch einmal großer Bahnhof für Bio, dann – nichts. „Es wird sich sicher noch was ergeben, ahnt er, „aber auch von den Sachen, die sich ergeben, lehne ich das meiste ab“. Mal zu Hause einen Film sehen, ein Buch lesen, ein geruhsames Rentnerdasein führen, darauf läuft es hinaus. Meryl Streep in der Rolle der Margaret Thatcher neulich, das hat ihm gefallen. Aber hat er das WM-Spiel Deutschlands am Vorabend gesehen? „Nein!“ Mit Ausrufezeichen. Das interessiert ihn nicht, und wenn Deutschland Weltmeister wird, dann liest er das anderntags in der Zeitung. Viel spazieren gehen will er, mit Sohn Scott und Freunden, das ist das späte Leben des Alfred Biolek – wohl der letzte Raum, den er in seinem Leben durchschreitet, heiter.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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