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Ein gutes Vierteljahrhundert nach seinem Tod bekommt der bekannteste belgische Comic-Künstler Hergé ("Tim und Struppi") in seinem Heimatland ein Museum.
© dpa

Comic-Zeichner Hergé bekommt Ausstellung in Paris: Der Vater von Tim und Struppi

Paris feiert den belgischen Comic-Zeichner Hergé mit einer großen Ausstellung im Grand Palais.

Haushoch prangt ein gelbes Banner am Pariser Grand Palais. Darauf der Kopf von Tim, im Original Tintin, die weltbekannte Schöpfung des Comic-Zeichners Hergé. Dessen Name, nicht derjenige Tims, steht über dem Kopf. Links an dem Pariser Haus für Großausstellungen hängt ein weiteres Banner, diesmal mit Name und Portraitfoto von Hergé. So nannte sich der belgische Zeichner Georges Remi, längst bevor er mit seinen Figuren, dem jugendlichen Reporter Tintin und seinem Hund Milou – auf Deutsch eben Tim und Struppi – berühmt wurde. Im Grand Palais feiert die Vereinigung der Nationalmuseen Frankreichs jetzt den Zeichner und sein Werk.

Hergé war Gebrauchsgrafiker von Beruf, geboren 1907 in Brüssel und seiner Heimatstadt bis zum Tod 1983 eng verbunden. Anfang der 1930er Jahre eröffnete er eine eigene Werbefirma. Doch die Pariser Ausstellung beginnt überraschenderweise mit Gemälden, wie sie Hergé in fortgeschrittenem Alter als Hobby malte. Immer betonend, dass die Liebe zu seinen Figuren stets Vorrang habe. Dann folgt ein Saal mit moderner Kunst, der sich Hergé vorsichtig öffnete. Zwei Portraits sind darunter, die Andy Warhol von ihm anfertigte – Zeichen der Verehrung, die Hergé seinerzeit, in den siebziger Jahren, auch im Mutterland der Zeitungscomics zuteil wurde.

Dann endlich ein Raum vollgepflastert mit den Umschlägen der Tintin-Bücher: 24 Alben wurden veröffentlicht, Übersetzungen in nicht weniger als 40 Sprachen gibt es mittlerweile. Hübsch sieht es aus, dieselben Alben mit Titeln in allen gängigen Sprachen und vor allem Schriften an der Wand zu sehen.

Auf die Übernahme von rechten Positionen geht die Ausstellung nicht ein

Erst der zweite Teil der Ausstellung zeigt die Entwicklungsgeschichte des Tintin-Comics. Hergé kam, neben seiner Arbeit als durchaus erfolgreicher Entwerfer von Werbeplakaten, eher zufällig zu Aufträgen für Bildergeschichten. Er publizierte in der stramm katholisch-konservativen Zeitung „Das 20. Jahrhundert“, und Tintins erstes Abenteuer „Im Lande der Sowjets“ von 1929 entsprach der politischen Linie der Zeitung.

Doch mit den weniger strahlenden Seiten Hergés, insbesondere seiner anfänglichen Übernahme kolonialistischer Positionen der belgischen Rechten, befasst sich die Pariser Ausstellung nicht. Oder nur im Umkehrschluss: Denn indem die Begegnung und baldige Freundschaft mit dem gleichaltrigen, französisch sprechenden Chinesen Chang Chong-chen im Jahr 1934 in einem eigenen Saal herausgestellt wird, lässt sich die vorangehende Einstellung des Zeichners ermessen. Chang öffnet Hergé die Augen für die chinesische und für alle fremden Kulturen.

Die von Hergé entworfenen Werbeplakaten im Grand Palais in Paris. Hergé ist weltweit als Schöpfer von "Tim und Struppi" berühmt geworden.
Die von Hergé entworfenen Werbeplakaten im Grand Palais in Paris. Hergé ist weltweit als Schöpfer von "Tim und Struppi" berühmt geworden.
© dpa

Fortan macht sich Hergé aufs Genaueste kundig über die Länder und ihre Kulturen, die ihm als Schauplätze der Abenteuer Tintins und des wachsenden Personals der Comics dienen. Käpt’n Haddock taucht auf, der bärbeißige schottische Seemann, der ebenso geniale wie zerstreute Professor Bienlein, die beiden grundsätzlich erfolglosen Detektive Schulze und Schultze – im Original Dupond und Dupont –, die sich allein an der Form ihres Schnurrbartes unterscheiden.

Was aber macht die Beliebtheit von Tim und Struppi aus, egal bei welcher Leserschaft? Zeichnerisch ist es „la ligne claire“, die klare Linie, die Hergés Bildergeschichten so exakt und trotz der vielen Details überschaubar macht. Alle Personen und Gegenstände sind durch schwarze Umrisslinien klar voneinander abgesetzt.

Er und damit das Gute siegen am Ende immer

Anfangs zeichnete Hergé nur Schwarz-Weiß, später dann sind die Flächen farbig gefasst, doch ohne tonale Abstufungen; im Übrigen gibt es keine Schatten. Inhaltlich aber – und das ist noch wichtiger – sind die Geschichten linear aufgebaut, besitzen Anfang, Mitte und Schluss. Die Personen sind eindeutig nach Gut und Böse sortiert, auch wenn – oder gerade weil – ihnen menschliche Schwächen nicht fremd sind, vom untadeligen Tintin abgesehen. Er und damit das Gute siegen am Ende immer. Dazwischen aber liegen filmreife Abenteuer, die mit fesselnder Dramatik erzählt werden. Hergé ist, wenn man so will, ein großer Romancier in der Tradition des 19. Jahrhunderts.

Ein Besucher in der Hergé-Ausstellung im Grand Palais in Paris
Ein Besucher in der Hergé-Ausstellung im Grand Palais in Paris
© Christophe Petit Tesson/dpa

Welch’ weiter Weg vom Entwurf zum fertigen Album zurückzulegen war, zeigt die Ausstellung ebenfalls. Sie hält originale Blätter bereit, auf denen die Aufteilung in Bildreihen auf einer Zeitungs- oder später der handlicheren Albumseite vorgegeben ist, die Dramaturgie und die Handlungen der Figuren festgelegt werden. Hergé arbeitet da mit weichem Bleistift, spontan und schwungvoll, da ist die „klare Linie“ noch nicht zu sehen.

Die kommt, wie auch die Einfärbung der Flächen, erst später im Atelier zur Ausführung, in dem Hergé mehrere Mitarbeiter beschäftigt, die allerdings – anders als bei Comic-Fabriken wie Disney – nie eine eigene Handschrift zeigen dürfen. Die Beliebtheit, ja emotionale Bindung, die Tintin bei Millionen von Lesern erreicht, beruht nicht zuletzt auf der Konstanz und Wiedererkennbarkeit der Bildsprache. Mit der Geschichte vom „Blauen Lotus“, gezeichnet 1934 nach der prägenden Begegnung mit Chang, findet Hergé seinen Stil und legt die Charakteristik des Personals fest. Einerlei, welche Figuren er im Laufe der Jahre noch hinzufügt.

Der belgische Comic-Künstler Herge (Archivfoto von 1981).
Der belgische Comic-Künstler Herge (Archivfoto von 1981).
© dpa

Hergés Produktivität erreicht in den vierziger Jahren ihren Höhepunkt, der Zeit des Zweiten Weltkriegs mit deutscher Besatzung – und Zensur! – Belgiens, und den Jahren unmittelbar danach. Der Zeichner wird der Kollaboration verdächtigt und erst im Mai 1946 entlastet. Immerhin kann Hergé auf antifaschistische Einsprengsel in seinen Geschichten verweisen. Er zeichnet, allerdings ohne große Begeisterung, weitere Serien, teils auf Auftrag seines Verlegers, die in der Pariser Ausstellung herausgestellt werden.

Die Fans kennen Tim und seinen unzertrennlichen Begleiter Struppi als unpolitischen jungen Mann, und auch das ist ein Grundelement seiner Beliebtheit: Tim ist der große Junge, der mutige und hilfsbereite Pfadfinder, der Hergé in seiner Jugend selber war. Oder gern gewesen wäre. In allen Figuren steckt etwas von ihrem Schöpfer. Das macht sie so menschlich und vertraut. Die Ausstellung in Paris ist eine einzige Feier des großartigen Zeichners, der mit seinen Figuren zur Familie gehört. Zu jedermanns Familie.

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