Kein Fleisch, kein Reis, keine Nudeln: Der Unmut über den Corona-Lockdown in Shanghai wächst
Seit zwei Wochen befinden sich 25 Millionen Menschen im drastischen Lockdown. Nun soll er leicht gelockert werden. Dennoch hält China am Null-Covid-Kurs fest.
Für wenige Tage hatte Jared T. Nelson einen Trick, um sich trotz des Lockdowns in Shanghai etwas zu essen zu beschaffen. Der US-amerikanische Rechtsanwalt berichtet auf Twitter, dass er um fünf Uhr morgens aufgestanden ist und sein Smartphone einschaltete, weil es dann ein kleines Zeitfenster gab, um sich im Internet bei einem Lieferservice Lebensmittel zu bestellen.
Inzwischen haben noch ein paar andere der 25 Millionen Einwohner Shanghais dieses Zeitfenster gefunden – oder den Lieferdiensten sind die Lebensmittel ausgegangen. Auf jeden Fall gibt es schon länger nichts mehr zu bestellen, zu keiner Uhrzeit.
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Doch das stimmt auch nicht ganz, berichtet Jared T. Nelson und beschreibt einen weiteren Bestellversuch. „Wie üblich gab es kein Fleisch, kein Fisch, keine Nudeln, kein Reis – aber es gab Geburtstagskuchen.“ Nur zwei Stunden später stand der Schokoladenkuchen auf seinem Tisch, schreibt Nelson. „Doch eigentlich wollten wir in dem Moment nur Fleisch und frisches Obst essen.“
Von Kuchen also abgesehen spitzt sich die Versorgungslage in Shanghai weiter zu. In den sozialen Medien sammeln sich Videos von Menschen, die Absperrungen durchbrechen, weil sie hungrig sind und Lebensmittel brauchen. Oder die ihre ganze Verzweiflung aus den Fenstern rufen. Oder sich verbal oder gewaltsam gegen den Abtransport in eine der zentralen Quarantäne- und Isolationsstellen wehren, wo Tausende Menschen auf engstem Raum untergebracht werden.
Wohl auch um möglichen Unruhen in der Bevölkerung entgegenzuwirken, hat die Stadtregierung am Montag leichte Lockerungen des seit zwei Wochen andauernden Lockdowns bekanntgegeben.
Shanghai meldet Rekordwert an Corona-Infizierten
Shanghais Wohnkomplexe werden nun in drei Kategorien eingeordnet. Wo es in den vergangenen zwei Wochen keine Fälle gab, wird die Ausgangssperre aufgehoben. Dazu zählen im Moment rund 40 Prozent aller Wohnkomplexe. Wo seit einer Woche kein neuer Fall entdeckt wurde, können sich die Bewohner innerhalb der Wohnanlage aufhalten.
Wo jedoch neue Fälle aufgetaucht sind, müssen die Bewohner in ihren Wohnungen bleiben. Dazu zählten am Montag 7624 Wohnkomplexe oder Nachbarschaften. Und es dürften weitere hinzukommen, denn trotz des strengen Lockdowns steigt die Zahl der täglich Neuinfizierten weiter an. Am Sonntag gab es in Shanghai mit 26.000 Fällen an einem Tag erneut einen Höchststand, insgesamt sind bereits 250.000 Infizierte entdeckt worden.
Wie der deutsche Virologe Christian Drosten zu Beginn des Jahres befürchtet hatte, stellt die hochansteckende Omikron-Variante die chinesische Null-Covid-Strategie vor eine riesige Herausforderung. Während Australien, Neuseeland, Taiwan ähnliche Strategien längst oder allmählich lockern, gelingt das der Volksrepublik China bisher nicht. Zum einen, weil offenbar die Impfrate in der Bevölkerung geringer ist und die chinesischen Impfstoffe eine geringere Wirksamkeit haben. Zum anderen, weil die eigene Strategie so stark politisiert worden ist.
China setzt weiterhin auf Null-Covid-Strategie
Obwohl das Virus in Wuhan seinen Ursprung genommen hat, wurde es in der chinesischen Propaganda bald als ein Virus des Westens bezeichnet. Denn China, das bevölkerungsreichste Land der Welt, hatte die weiteren Virusvarianten mit vergleichsweise wenigen Infizierten und wenigen Toten erfolgreich bekämpft. Das galt in China als Beweis für die Überlegenheit des sozialistischen Systems.
Noch am Freitag, inmitten des Shanghaier Lockdowns, sagte Partei- und Staatschef Xi Jinping bei einer Ehrung von chinesischen Winterolympioniken: „Ausländische Sportler haben uns gesagt, wenn es eine Goldmedaille für Epidemie-Bekämpfung gäbe, würde China sie bekommen.“ Die staatlich kontrollierte „Volkszeitung“ schrieb, die Null-Covid-Strategie sei weiterhin die beste Wahl, und das Land solle „niemals abgestumpft, niemals müde im Kampf“ gegen die Pandemie werden.
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Das fördert nur die behördliche Virus-Paranoia. Aus dem Ausland ankommende Waren werden schon länger desinfiziert, nicht nur in Shanghai werden auch Haustiere auf das Virus getestet. Videos zeigen, wie streunende oder verlassene Haustiere von Mitarbeitern des Gesundheitsamtes erschlagen werden, offenbar weil sie das Virus übertragen könnten. Auch im Rest des Landes wächst die Furcht vor harten Lockdowns.
Viele beginnen, Lebensmittel zu horten, im Internet werden Tipps ausgetauscht, wie sich Gemüse länger hält. Die 15 Millionen Einwohner von Guangzhou könnten als nächstes von einem Lockdown betroffen sein, am Montag wurden laut „South China Morning Post“ 27 Omikron-Fälle entdeckt. Zu viele. Denn das könnte eine Lehre sein, die China aus dem Chaos von Shanghai zieht: Die Lockdowns müssen noch früher kommen.