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© dpa

New York: Der Turmbau zu Babel

Umstrittene Entwürfe, steigende Baukosten: Wann der Freedom Tower in New York fertiggestellt wird, steht in den Sternen – vielleicht im Jahr 2013.

Das war schon großes Kino, das sich da vor ziemlich genau vier Jahren in der Grube im Herzen Manhattans abspielte. Mit Fanfaren enthüllten sie am Nationalfeiertag einen 20 Tonnen schweren grünen Granit am Boden des Ground Zero, und der Gouverneur des Bundesstaates New York, George Pataki, rief feierlich: „Heute legen wir, die Erben des revolutionären Widerstandsgeistes, diesen Grundstein und zeigen der Welt unmissverständlich die ungebrochene Kraft dieser Nation und unsere Entschlossenheit, für Freiheit zu kämpfen.“

Kleiner hatte er es nicht, schließlich dachte der Republikaner damals noch daran, sich für das Weiße Haus zu bewerben. Heute ist Pataki im politischen Ruhestand – und der Grundstein des Freedom Tower steht auf Long Island unter einer Plexiglashaube, Besichtigung nur nach Voranmeldung. Das Gebäude selbst aber, das die am 11. September 2001 gefallenen Zwillingstürme des World Trade Centers ersetzen soll, ist weiterhin ein Rudiment. Seine prognostizierte Fertigstellung verzögert sich um Jahre, die Kosten schnellen nach oben.

So sehr, dass David Paterson, der neue Gouverneur New Yorks, sich Zeit bis September erbeten hat, um eine einigermaßen zuverlässige Prognose zu erstellen. Der Geschäftsführer der Hafenverwaltung von New York und New Jersey, die bei dem Projekt die Federführung hat, fand in einem Anfang der abgelaufenen Woche vorgestellten Gutachten erstaunlich deutliche Worte. Es sei an der Zeit, schrieb Christopher Ward, „das komplexe Projekt so anzulegen, dass es sich mit realistischen Budget- und Zeitplan-Erwartungen vereinbaren lässt.“ Das sei bislang nie wirklich geschehen. Stattdessen war der politische Wunsch, möglichst schnell ein möglichst starkes Symbol zu setzen, Vater des Gedanken.

Doch der ursprünglich von Daniel Libeskind entworfene Turm ist nur ein Teil in dem komplizierten Puzzle zum Wiederaufbau des World Trade Center. Insgesamt sollen fünf Wolkenkratzer entstehen, eine Gedenkstätte, ein Museum, ein Regionalbahnhof, eine neue U-Bahnlinie, ein Kulturinstitut, Parkplätze, Sicherheitszonen und Geschäftszeilen. Alles hängt mit allem zusammen, und jedes Vorhaben für sich genommen würde in den meisten anderen Städten der Welt als beispielloses Großprojekt durchgehen. 19 öffentliche Verwaltungen reden mit, 33 Designer, 101 Bauunternehmen und ungezählte Horden von Geschäftsleuten, Nachbarschaftsvertretungen und Betroffenen-Organisationen der Anschlagsopfer. Im Vergleich muss der Turmbau zu Babel ein Spaziergang im Park gewesen sein.

Ursprünglich sollte der Freedom Tower 2006 fertig werden, dann 2011, nun sprechen die jüngsten Prognosen von 2013. Schon jetzt lässt sich sagen, dass der bereits mehrfach aufgestockte Etat von 15 Milliarden Dollar um mehrere Milliarden überschritten wird. Dazu kommt das Kompetenzwirrwar. Die Fläche, auf dem die Zwillingstürme standen, gehört der Hafenverwaltung, in der neben den beiden Bundesstaaten New York und New Jersey auch die Stadt New York das Sagen hat. Sie muss sich mit Immobilienmagnat Larry Silverstein auseinandersetzten, der kurz vor dem Anschlag einen 99 Jahre laufenden Mietvertrag für das World Trade Center unterschrieben hatte.

Die mehr als drei Milliarden Dollar, die er von den Versicherungen als Entschädigung erhielt, spielen eine zentrale Rolle bei der Finanzierung des Projekts. So setzte Silverstein etwa durch, dass sein Architekt Chris Childs Libeskinds Pläne von Grund auf überarbeitete, zulasten der Kunst, zugunsten des Kommerzes. Kaum war er damit fertig, meldete die New Yorker Polizei Sicherheitsbedenken an, das Projekt musste wieder zurück ans Reißbrett.

Der jetzige Entwurf ist stark umstritten, weil er nach Ansicht der Architekturkritiker eher einem Bunker ähnelt. Die Hafenverwaltung hat Silverstein mittlerweile die Verantwortung für den Freedom Tower entzogen, trotzdem hakt es weiter. Geschäftsführer Ward kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, es gebe immer noch 15 Grundsatzentscheidungen, die offen seien. Gleichzeitig verspricht er: „Die Frage ist nicht, ob alle Projekte gebaut werden, sondern wann und für wie viel.“

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, bekannt als präziser, effektiver und höchst ungeduldiger Manager, gibt sich angesichts des Chaos erstaunlich gelassen. Es sei bei solchen Vorhaben nun einmal sehr schwierig, Kosten und Fertigstellungstermine vorauszusagen. New Yorks demokratischer Senator Charles Schumer findet deutlichere Worte für das, was bislang geschah: „Das waren sieben Jahre ’Alice im Wunderland’.“ Selbst wenn nun die Realität einsetzt, wird es eine ganze Weile dauern, ehe der grüne Granit wieder auf den Tieflader gehievt und zurück an den Ort seiner Bestimmung gebracht werden kann. Vermutlich muss man sogar von Glück sprechen, wenn sie ihn am Ende auf Long Island nicht einfach vergessen.

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