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Die Sneakers am Herzen - ein Kenner in Jeanshemd, Mütze und mit sorgfältig gezotteltem Bart.
© Sneaker Freaker

Sneaker: Der Sneaker hat ’n’ Lauf

Die Turnschuh-Szene boomt. Läden, Magazine, Webseiten und Conventions – die Subkultur wird zum Mainstream.

Berlin - Er ist auf dem Weg. Schritt für Schritt. Der Sneaker, er ist im Kommen. In den vergangenen Jahren hat sich in Deutschland eine Sneaker-Szene etabliert, die viel Geld, Zeit und Liebe in etwas investiert, worin andere nur einen gewöhnlichen Turnschuh sehen. Doch der Sneaker ist ein Turnschuh, der keiner mehr ist. Er ist sportlich, ohne Sport zu machen. Er ist Lifestyle. Sneakers sind teuer. Viele hundert Euro pro Paar sind keine Seltenheit. Leisten kann sich das nur, wer gut verdient oder andernorts verzichtet. Vor allem urbane, junge Menschen, gebildet, modisch interessiert, investieren teils in Dutzende Paare.

Man trägt Mütze und zur Pin-Roll gekrempelte Slim-Jeans

Je einzigartiger, desto besser. Je mehr Geschichte dahintersteckt, desto besonderer das Erlebnis am Fuß. Doch der typische Sneaker-Träger ist schwer auszumachen. Eine Mütze gehört zur Grundausstattung, man trägt röhrige Slim-Jeans. Die Enden eng um die Knöchel aufgerollt – die sogenannte Pin-Roll. Doch mit dem Erstarken des Trends fächert sich das Erscheinungsbild aus. Was zum Standard wird, wird am nächsten Tag gebrochen. Individualität ist das Mantra. Einzigartigkeit. Die personalisierte Lebensphilosophie am Hacken.

Die derzeit heißeste Sache ist NikeID. Ein Service von Sneaker-Produzent Nike, der es dem Kunden erlaubt, sich seinen Schuh selbst zu designen. Muster, Modell, Sohle – alles ist veränderbar.

Auf 200 Seiten kondensiert die Sneaker-Szene

Groß gemacht hat den Turnschuh-Trend in Deutschland unter anderem das Magazin „Sneaker Freaker“. Gegründet wurde es 2002 in Australien. Seit drei Jahren existiert ein deutscher Ableger, der sich mittlerweile zum Leitmedium der Szene hochgeschrieben hat. Vier Mal im Jahr kondensiert die Sneaker-Szene auf knapp 200 Seiten: Szenebilder, Vorankündigungen, Interviews und tiefe Einblicke in das Geflecht von Designern und Labels. Für Chefredakteur Pascal Prehn ist es ein schmaler Grad zwischen einer wachsenden Zielgruppe und der zunehmenden Gefahr, den Reiz der Subkultur für den Mainstream zu opfern.

In der letzten Ausgabe stellen Sie sich rhetorisch die Frage: „Sind wir schon Mainstream?“ Wir wüssten gerne die Antwort.

Pascal Prehn: (lacht) „Wir sind definitiv im Mainstream angekommen. Das kritisieren viele Leute, die sich mittlerweile ihres Hobbys beraubt sehen. Für sie war das früher ein Underground-Ding, heute scheint jeder dazuzugehören. Ich denke ein wenig anders darüber. Warum sollte man sein Hobby aufgeben, nur weil einige Hipster-Mädels jetzt auch mitmachen?

Beerdigen Sie nicht die ursprüngliche Idee der Szene als Subkultur, wenn Sie sich in Ihrem Magazin dem breiten Publikum öffnen?

„Wir als Magazin diskutieren natürlich darüber: Was bringt es uns, Mainstream zu werden? Wir haben den Anspruch, unsere Texte an eine breite Leserschaft zu bringen. Solange unsere ursprünglichen Kernleser durch das Heft blättern und sich auf 90 Prozent der Seiten wiederfinden und nur mit 10 nichts anfangen können, machen wir alles richtig.“

Wo es in Berlin die besten Sneakers zu finden gibt

Das Magazin „Sneaker Freaker“ ist einer der Kristallisierungspunkte der Szene. Steigende Verkaufszahlen zeigen, wie erfolgreich das Heft eine Lücke besetzt. Dabei ist zumindest der Osten kaum erschlossen. Nur wenige Sneaker-Sammler finden sich außerhalb von Berlin. In der Hauptstadt gibt es jedoch zahlreiche Shops, die auf eine wachsende Fangemeinde zählen können. Im Westen sind Frankfurt, München und vor allem Köln für eine virulente Szene bekannt. Allein drei der größten deutschen Sneaker-Blogs – wie beispielsweise sneaker-zimmer.de – berichten aus der Stadt am Rhein. Doch auch in kleineren Städten boomt die Szene. Immer mehr Stores öffnen auch in Kassel, Heilbronn, Gießen und Marburg. Deutschlandweit sind es derzeit rund 70 Stück.

Königsdisziplin: Special Editions für horrende Preise

Die Königsdisziplin in der Sneaker-Szene sind die Special Editions. Sonderausgaben, die nur in geringer Stückzahl produziert werden. Einige sind nur in Asien erhältlich, bei anderen Editionen wird nur ein Schuhpaar pro Größe hergestellt. Hier scheidet sich der Sneaker-Konsument vom wahren Sammler. Je seltener, umso begehrter. Umso begehrter, desto teurer. Die Rechnung ist simpel – und geht auf. Monate bevor Marken wie Adidas, Nike oder Reebok ihre Schuhe auf den Markt bringen, diskutiert die Szene. Vorbestellen muss man, um noch ein Exemplar zu ergattern. Vor den Geschäften bilden sich oft lange Schlangen.

Herr Prehn, wo kriegt man in Berlin die besten Sneakers?

Ich nenne da ungern nur einen Laden. Mein Alltime-Favorit ist der Overkill-Shop in Kreuzberg, Köpenicker Straße. Dann gibt es natürlich das Solebox. Das ist das Geschäft, das in Deutschland die meisten Kooperationen mit Marken gemacht hat. Wer Sammler von Vintage-Schuhen ist, sollte zu Paul’s Boutique gehen. Da gibt es nicht nur Schuhe, sondern auch Klamotten. Ich werde dort immer fündig.“

Sie organisieren Conventions und leben am Puls der Szene. Träumen Sie davon, einen Schuh selbst zu entwerfen?

„Es ist mittlerweile so, dass große Marken auf unser Magazin zukommen und fragen, ob wir zusammen mit ihnen Schuhe designen wollen. Wir als deutscher Ableger von „Sneaker Freaker“ werden dann natürlich auch gefragt, was wir cool finden. Dieses Jahr ist der türkise „Blaze of Glory“ herausgekommen – eine Kooperation mit Puma. Knapp hundert Exemplare haben wir dabei produziert. Auf Ebay werden die mittlerweile für rund 2 000 Dollar gehandelt.“

Und welche Marke trägt die Kanzlerin?

Neben „teuer“ sind derzeit vor allem gedeckte Farben angesagt. Doch für das neue Jahr dürften aufwühlendere Töne das Sortiment bestimmen. PerformanceSchuhe sind im Kommen. Modelle, die für Marathonläufer entworfen und nun für den Lifestyle übernommen werden. Auch ein neuer Trend aus Bio-Sneakers schwappt aus Brasilien nach Europa. Die französisch-brasilianische Sneakermarke Veja macht auf der Fashion-Week mit ökologisch und sozial fairen Tretern von sich reden. Die Jungdesigner François-Ghislain Morillion und Sébastien Kopp versprechen ein gutes Gewissen und absolut Bio an der Ferse. 130 000 Paar haben sie im vergangenen Jahr produziert. Mehr war nicht möglich. Die Bio-Baumwolle ging ihnen aus.

Eines Problems muss sich die Szene 2014 jedoch annehmen, das bisher arg vernachlässigt wurde: Socken. So grandios der Schuh auch sein mag, die falsche Socke kann alles zerstören.

Herr Prehn, welche Rolle spielen Socken für Sneaker-Freaks?

„Das Thema Socken wird 2014 interessanter. Definitiv. Eine Zeit lang war es egal, welche Socke man trug. Mittlerweile findet die Socke aber immer mehr statt. Dabei gilt, was über den Knöchel geht, geht nicht. Low-Show-Socken, die kurz über dem Schuh abschließen, sehen einfach besser aus.“

In Ihrem Magazin schreiben Sie über die Turnschuh-Vorlieben der US-Präsidenten: Reagan trug Adidas, Clinton Asics’ „GT-II“, Obama setzt auf New Balance „990“. Welche Marke trägt die Kanzlerin?

„Das weiß ich nicht (lacht).Sie ist ein typischer Adidasträger. Es gibt ja noch Turnschuhe „Made in Germany“ von Adidas. Vielleicht lässt sie sich dort ein Paar anfertigen, um die deutsche Wirtschaft zu unterstützen. Aber das berühmteste Paar der deutschen Politik stammt ja von Joschka Fischer, der Nike „Fortress Hi“ bei seiner Vereidigung trug.“

Wie jede Subkultur hat auch die Sneaker-Szene ihre Skurrilitäten. In letzter Zeit machte vor allem der Reebok „ATV“ von sich reden. Obskur geformte Sohlen, genoppt und wulstig. Für den Sneaker-Ästheten schlicht ein Unfall, über den man besser schweigt. Und auch die Sohle des „Springblade“ von Adidas erregte mit ihren rückwärtsgelegten Stoßdämpfern Gelächter. Auf der Facebook-Seite von Adidas wurde gerätselt, ob man damit auch rückwärtsgehen könne.

Selbst Kunst aus Turnschuhen gibt es schon - die Sneaker Art

Ansonsten nimmt der Trend zum Lifestyle-Turnschuh ungebremst Fahrt auf. Messen für Sammler und Conventions für wahre Fans finden nicht mehr jährlich, sondern monatlich statt. Die Internetseite filfury.com stellt Kunst aus Sneakers ins Netz – sogenannte Sneaker Art.

Doch je mehr Erfolg die Sneaker-Szene hat, desto mehr läuft sie Gefahr, sich selbst zu zerstören. Das überlebenswichtige Gefühl der Subkultur der Andersartigkeit schwindet mit jedem großen Store für die breite Masse. Der Sneaker ist Ausdruck seiner Zeit. Doch nur, solange es nicht viele wissen. Sonst wird er beliebig.

Michel Penke

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