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Erzbischof Jorge Mario Bergoglio ist Papst Franziskus I.
© dpa

Papst Franziskus: Der Pontifex vom anderen Ende der Welt

Er macht es spannend, lässt die Menge auf dem Petersplatz warten. Doch endlich fallen die erlösenden Worte: Habemus Papam. Und dann steht Franziskus im Papstgewand auf der Loggia. Aber viele fragen an diesem Abend: Wer ist das eigentlich?

Warum kommt er nicht? Wo bleibt er, was ist los? Um 19.06 Uhr ist der weiße Rauch aus der Sixtinischen Kapelle aufgestiegen, in ganz dicken Schwaden und eindeutig weiß, nicht so rätselhaft hellgrau wie bei Joseph Ratzingers Wahl 2005. Um halb acht sind die Blaskapellen der vatikanischen Gendarmerie und der italienischen Carabinieri vor der taghell erleuchteten Fassade des Petersdoms angetreten, die Schweizergarde in ihren mittelalterlichen, blinkenden Stahlhelmen auch. Aber wo bleibt der neue Papst?

Eine Dreiviertelstunde, hatte es geheißen, würde es dauern vom weißen Rauch bis zum ersten Auftritt des Neuen. Aber schon der Rauch ist eine halbe Stunde später gekommen als erwartet. Schnell waren die 115 Kardinäle bei ihren zwei Wahlgängen am Morgen; demnach wären sie am Abend auch, nach dem insgesamt fünften Durchgang, gegen halb sieben Uhr fertig gewesen. Aber wer weiß, vielleicht hat der Neue so lange gebraucht, die Wahl anzunehmen; vielleicht war er sich nicht sicher, vielleicht hat er lange überlegt, vor dem in einer Nachbarkapelle extra aufgestellten Allerheiligsten allein für sich gebetet.

Der italienische Regisseur Nanni Moretti hat aus diesem Sujet einen ganzen Film gedreht: Ein Papst, der sich zu unsicher ist, der sich überfordert fühlt, dem sie mit frommem, verräterisch frommem Druck das Ja herauspressen, weil kein anderer den Job machen will. Und was ist an diesem realen 13. März 2013 in Rom los?

Endlich. Die Lichter hinter der Loggia des Petersdoms brennen schon einige Minuten, da tritt – oder besser wankt, von Alter und Krankheit gezeichnet – der Erste Kardinaldiakon auf den Balkon. Dem Franzosen Jean-Louis Tauran kommt diesmal die Aufgabe zu, die „große Freude“, aber natürlich auf Lateinisch: das „gaudium magnum“ anzukündigen: „Habemus Papam!“

Wir haben die Ereignisse im Vatikan den ganzen Abend über per Liveblog mitverfolgt, den Sie hier nachlesen können.

Tauran tut es mit unerwartet fester Stimme; der Platz jubelt. Lange haben sie schon gestanden, die hunderttausend, seit gut zwei Stunden die meisten, im unaufhörlich strömenden Regen. Alle sind sie durchnässt, auch die taubenblau gekleideten Nonnen, die schon den ganzen Tag auf ihren Campingstühlen hier Rosenkranz beten. Gekrümmt sitzen sie da; vor Kälte ringen sie die Finger und pressen sie zusammen, sie halten es schier nicht mehr aus. Die Unruhe ist von Minute zu Minute gestiegen, erst der weiße Rauch hat die Nervosität gestillt; doch jetzt, in der Frage: wo bleibt er?, wird das Gebrause des Unbehagens wieder lauter.

„Georgum Marium Bergoglio“, ruft Tauran von den Höhen der Loggia auf den Platz hinunter, denn auch der Name des Neuen muss, so weit wie möglich, lateinisch gefasst werden, und alle schauen sich fragend an. Wer soll das sein? Haben Sie von dem schon gehört? Oder Sie vielleicht? Schulterzucken allerseits. „...der sich den Namen gab: Franziskus.“ Und Tauran geht. Hinter ihm schließt sich der samtrote Vorhang. Und jetzt?

Nach schier endlosen Minuten rollen Arbeiter des Vatikans einen Vorhang über die Balustrade. Ohne Wappen. Ein alles beherrschender weißer Fleck in der Mitte. Ein unbeschriebenes Blatt gewissermaßen. Und wieder schließt sich der Samtvorhang. Doch mittlerweile hat sich auf dem Platz die Stimmung gedreht. Aus dem Warten entstehen die ersten Sprechchöre: „Francesco, Francesco, Francesco!“ Und ein Italiener in der Nähe meint: „Die können das aus dem Fußballstadion. Die denken bestimmt an Francesco Totti!“

Dann endlich. 20.22 Uhr. Er kommt. Langsam tritt Jorge Mario Bergoglio aus dem Vorhang. Nicht mehr im Kardinalsrot. Im Papstweiß. Franziskus, Franz, wie auch immer, auf jeden Fall „der Erste“. Denn so populär der Heilige Franz von Assisi ist, Italiens Nationalpatron, der Heilige, der zu den Vögeln und den Fischen predigte, zu Bruder Sonne und Schwester Mond, der bewusst Arme, der die reiche Machtkirche des Mittelalters provoziert hat – noch nie hat sich ein Papst nach ihm benannt. Und noch ein Erster ist dieser Franz: noch nie vor Bergoglio saß einer aus Lateinamerika auf dem Papstthron.

Bergoglio ist kein Charismatiker

Von Stadion hat Franz-Bergoglio aber gar nichts. Er reißt nicht die Arme hoch wie sein Vorgänger. Er lächelt nicht einmal. Steif steht er da, ungelenk, er lässt die Schultern hängen, das Brustkreuz hängt schief, gerade mal die rechte Hand hebt er zu einer verhaltenen Begrüßung. Besorgt sieht Franz aus, ernst; ein strenges Gesicht – durch die Brille verstärkt – wie der unnahbare Pius XII., dafür eine Statur, die an den populären Johannes XXIII. erinnert. Und dann sagt er einfach: „Brüder und Schwestern, guten Abend!“

Natürlich: der spanische Akzent. Vor 76 Jahren in Buenos Aires geboren,als Sohn eines italienischen Eisenbahnarbeiter und einer Hausfrau, ist Bergoglio über Argentiniens Hauptstadt kaum hinausgekommen. 1969 erhielt er die Bischofsweihe. Es waren aufreibende Jahre, es war die Zeit der Befreiungstheologie. Doch das war Bergoglios Sache nicht.

Bergoglio ist kein Charismatiker, sondern machte eher in den Ordensstrukturen Karriere. Die Lehre und die Publikation sind die Passion des „Philosophenpapstes“. Schon 1973 wurde er zum Provincial, dem Leiter des Jesuitenordens in Argentinien ernannt. Den Posten hatte er bis 1979 inne – während der härtesten Phase der Repression der Militärdiktatur. Seine Gegner werfen ihm vor, damals nicht energisch genug gegen die Verfolgung Andersdenkender eingetreten zu sein, nicht einmal, als auch Geistliche und Ordensschwestern hingemetzelt wurden. Vor einigen Jahren wurde er deshalb sogar vor Gericht zitiert. Er antwortete schriftlich. Papst Johannes Paul II., ein entschiedener Gegner der Befreiungstheologie, hielt große Stücke auf den langjährigen Vorsitzenden der argentinischen Bischofskonferenz und machte ihn 2001 zum Kardinal.

Er gilt als konservativ in gesellschaftlichen Fragen wie Homosexuellenehe oder Abtreibung. Mit der linken Regierung unter dem Präsidentenehepaar Nestor und Cristina Kirchner hat sich Bergoglio deshalb öfter angelegt – zuletzt wegen der Legalisierung der Homosexuellenehe im Jahr 2010. Dies sei ein Schachzug des Teufels, hatte er öffentlich kritisiert. Präsidentin Cristina Kirchner erklärte ihn für einen Lobbyisten des Mittelalters und der Inquisition.

Andere schätzen an Bergoglio hingegen seine Integrität, seine Fähigkeit zum Dialog und seinen einfachen Lebensstil. Er sei so aufrichtig, dass nicht einmal die Kirchners trotz intensiver Suche einen schwarzen Fleck in seinem Lebenslauf hätten finden können, sagte zum Beispiel der Agustinerbruder Ricardo Corleto.

Und nun steht dieser Mann im Papstgewand auf der Loggia des Petersdoms. Er beginnt mit einem Vaterunser plus Avemaria für den „emeritierten Bischof von Rom“, für Benedikt XVI., und der ganze, riesige Platz betet mit. Dann stellt er sich selbst auch als Bischof von Rom vor, den die „Brüder Kardinäle vom anderen Ende der Welt geholt“ haben. Dass Bergoglio Papst der Weltkirche und nicht nur Stadtbischof von Rom ist, das kommt in seiner Begrüßungsadresse nicht vor.

Franz-Bergoglio ringt nach Worten. Aufgeregt ist er. Er atmet schwer, und irgendwo im Gedächtnis taucht die Erinnerung an schwere Lungenprobleme wieder auf, die damals, beim Konklave von 2005, angeblich seine Wahl zum Papst verhindert haben. Er beugt sich im Gebet nach vorne, und fast hat es den Eindruck, er könnte im nächsten Augenblick von der Balustrade stürzen. Und dann kommt er doch noch mit einem Halbsatz auf die Welt zu sprechen; vor dem Segen „Urbi et Orbi“ lässt er den Platz, in Stille, für ihn, den neuen Papst beten.

Der Applaus hält sich in Grenzen. Die Leute gehen. Noch im Bus fragen sie einander: Wer ist das eigentlich? Und eine italienische Tageszeitung titelt in ihrer Online-Ausgabe: „Seine ersten Worte: Gute Nacht! Und erholt euch gut.“

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