Clueso: Der original Thüringer
Ärfod? Ja, genau: Erfurt. So sprechen das alle hier aus – auch Clueso. Nichts zieht den Sänger weg aus seiner Stadt. Auch nicht, dass sein neues Album gerade auf Platz zwei in die Charts eingestiegen ist.
Ist die Espressomaschine kaputt, geht es erst mal nicht weiter. Erst sind es zwei, dann drei junge Männer, die den plötzlichen Ausfall des Apparats untersuchen, 20 Minuten dauert der Kampf in der Küche, dessen erfolgloser Ausgang schließlich mit einem „Defekt“-Zettel besiegelt wird. Die Jungs, alle Mitte 20, fluchen.
Auf dem Herd steht eine Pfanne mit kaltem verkrustetem Rührei, in der Spüle stapelt sich der Abwasch, es ist wie in einer durchschnittlichen WG – nur hat diese hier eine großzügig geschnittene Küche mit Metallic-Kühlschrank, ist in Wahrheit ein Musikstudio und liegt in einem stillgelegten Teil des Erfurter Güterbahnhofs. Zughafen heißt das Studio, gegründet hat es der 31-jährige Songwriter Clueso, ein waschechter Erfurter mit verwuscheltem Seitenscheitel.
Heute trägt Clueso, mit bürgerlichem Namen Thomas Hübner, ein schwarzes Jackett, eine Jeans und eine auffällige lilafarbene Brille. Ihn stört es nicht, dass ein Teil seiner Angestellten gerade Besseres zu tun hat, als eine Tournee vorzubereiten. Lässigkeit scheint Konzept des Zughafens zu sein. 16 Menschen arbeiten im dreigeschossigen Gebäude, dazu kommen ein Dutzend Künstler und ein schwarzer Mischlingshund – und sie alle scheinen dafür da zu sein, dass Clueso sich nicht langweilt und zu Hause fühlt.
Bis 2002 wurden in dem Bahnhof noch Güter umgeschlagen, jetzt sind auf 800 Quadratmetern und zwischen bröckelnden Wänden Studios und Management untergebracht. Als Clueso hier anfing, standen dort, wo jetzt leere Gleise vor einer befahrenen Hauptstraße zu sehen sind, Verladekräne. „Wie in einem Hafen“, sagt Clueso. Deshalb sei er, vielleicht auch ein Freund, er weiß das nicht mehr so genau, auf den Namen gekommen. Nur 100 Meter entfernt vom Zughafen liegt der geschichtsträchtige Willy-Brandt-Platz, benannt nach dem Kanzler, der 1970 Erfurt besuchte und dem am Bahnhof „Willy Brandt ans Fenster“-Rufe entgegenschallten.
In Erfurt kennt den Zughafen so ziemlich jeder, besonders die Jüngeren, von denen jeder Zweite von einem fast persönlichen Treffen mit Clueso erzählen kann. Oft sind die Anekdoten in schummrigen Clubs und vor etlichen Jahren angesiedelt, Clueso rappend auf der Bühne, eine Armlänge entfernt vom Publikum. Mitte der 90er Jahre und am Ende seiner Pubertät wurde Clueso eine lokale Hip-Hop-Größe, dann bald regional bekannt und spätestens durch Auftritte beim Bundesvision-Songcontest deutschlandweit erfolgreich. Seit 2001 brachte er sechs Alben heraus, er erhielt Gold- und Platin-Schallplatten, im März erschien das neue Album „An und für sich“ und kletterte auf Platz zwei der Verkaufscharts.
Clueso betont gerne seine Herkunft, er kann sie auch nicht verleugnen. Den thüringischen Dialekt hat er nicht ganz abgelegt. Er spricht seine Heimatstadt so aus, wie es nahezu alle Thüringer tun: ohne den Vokalen die gebotene Länge zu gönnen, und anstelle des U ein kurzes O andeutend. Ärfod, die Hauptstadt des Freistaats Thüringen, hat 200 000 Einwohner. Die Fachwerkhäuser, die Domplatte und die berühmte Krämerbrücke werden in den kommenden Monaten noch etwas herausgeputzt. Der Papst hat für September seinen Besuch angekündigt, er will vor dem gotischen Dom sprechen, 70 000 Menschen werden erwartet.
Cluesos Zughafen liegt nur wenige Gehminuten von der Domplatte und den anderen Sehenswürdigkeiten entfernt. Wenn er die Strecke in das Zentrum geht, ist es, als träte er in eine andere Welt hinein. „Wie eine Disney-Stadt“ wirke die Erfurter City auf ihn, sagt er, weil die Häuser im Krieg kaum beschädigt und im Laufe der vergangenen 20 Jahre mit viel Geld und frischer Farbe aufpoliert wurden. Pastell dominiert, helles Blau neben sanftem Orange und Gelb, Putzfassaden werden unterbrochen von Fachwerk. Es ist ja nicht so, stellt Clueso klar, dass er die Altstadt nicht mag. „Ich habe nichts gegen Touristenmeilen“, sagt er und läuft desinteressiert an den Schaufenstern vorbei. Aber er werde das Gefühl nicht los, dass hier alles zu geordnet laufe, „dass man die Leute ein bisschen antreiben muss“.
Im letzten Sommer reichte es ihm. Er schnappte sich seine Gitarre, eine weißgerahmte Plastiksonnenbrille und einen befreundeten Saxophonisten und ging zur Krämerbrücke. Die mittelalterliche Brücke ist das Wahrzeichen der Stadt und deshalb so berühmt, weil sie beidseitig mit Fachwerkhäusern bebaut und bewohnt ist – ähnlich der Ponte Vecchio in Florenz. Das Konzert, dass er anlässlich der Fête de la Musique gab, meldete er nicht an. Sobald er anfing zu singen, strömten die Menschen aus den umliegenden Restaurants zu ihm, sie drängten sich in der engen Gasse um den Gitarrenkoffer, klatschten mit und nahmen alles dutzendfach auf Handykameras auf. Es kam keine Polizei, anders als so oft in Erfurt, wenn es in der Innenstadt mal lauter wird. Clueso erinnert sich gerne an diesen Tag, an dem er noch zwei weitere Spontankonzerte im Zentrum gab.
Aufgewachsen ist der Musiker im Südosten der Stadt. Die Gegend ist umgeben von Plattenbauten, im Stadtteil Wiesenhügel lebte Clueso mit Familie in einem Mehrfamilienhaus, hohe Decken, dicke Wände. „Eine Riesenbude war das“, sagt er. Viel Zeit verbrachte er bei der Oma, in einem Plattenbau im Norden, dort mochte er besonders den großen Spielplatz mit der Rutsche, direkt auf der Wiese vor dem Haus. Heute hat Clueso seine Wohnung ebenfalls in Erfurt-Nord, am Rande der Neubauten. „Rustikales Gebiet“, sagt er. Es ist eine Gegend mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit und Kriminalitätsrate, eine, in der man langen Blickkontakt meidet. Die Menschen in den Häusern mit den dunklen Klinkern haben einen recht direkten Umgangston, behauptet der Sänger.
Wie er mit Gegenwind umgehen muss, hat er gelernt, als er als „extrem auffälliger Schüler“ 1995 von der Gesamtschule an die Hauptschule versetzt wurde. Clueso machte sich unter anderem dadurch einen Namen, dass er einen Feuerlöscher im Treppenaufgang entleerte. „Ich musste mir an der Hauptschule Respekt erkämpfen“, erzählt er, mit selbstbewusstem Auftreten und der Organisation von Breakdance-Partys zum Beispiel. Sein Hauptschulabschluss war mäßig, in Musik bekam er eine Vier.
„Als Kind war ich mit Freunden eigentlich immer auf der Straße“, erinnert er sich, später war er auf allen möglichen Partys in der Stadt anzutreffen, noch später auch in den Clubs. Clueso und seine Freunde wollten was mit Musik machen, wollten auf die Bühne, fanden aber in Erfurt keine Szene, die zu ihnen passte. Mit 15 entdeckte er den damals aufstrebenden deutschen Hip-Hop für sich, Künstler wie Fettes Brot und Massive Töne. Wenig später trat er, damals noch als Clüso, in Erfurter Clubs auf, ein wenig unbeholfen am Anfang. Darauf spielt auch sein Künstlername an, den er sich von Inspektor Jacques Clouseau aus „Der rosarote Panther“ geliehen hat – dem ungeschickten, aber effektiven Ermittler.
Wie sehr Clueso mit seiner Heimatstadt verbunden ist, merkte er 1999. Andreas Welskop, der noch heute sein Manager ist und in der Zughafen-WG gerade Toilettenputzdienst hat, ging mit Clueso damals nach Köln in die 10vor10-Studios. Ein Jahr später wurde Clueso von der Plattenfirma der Fantastischen Vier, Four Music, unter Vertrag genommen. In Köln gab es kaum Produktionsdruck. „Ich konnte im Schatten reifen“, sagt er. Mit der Stadt ist er trotzdem nie so richtig warm geworden, die durchgängige 60er-Jahre-Architektur störte ihn. Er fasst die Zeit am Rhein so zusammen: „Es waren drei Jahre Party.“ Doch nach der Party will man nach Hause, und das blieb die ganze Zeit Erfurt.
Die Stadt war übersichtlich, angenehm kleinstädtisch, kaum hektisch. „Wie man genießen kann, wenn man weiß, dass man geht“, heißt es im Song „Müsste gehn“ auf dem neuen Album. Die Gründung des Zughafens war eine teure Sache, aber Clueso zog es zurück. Er hatte einen Plattenvertrag, das Geld reichte gerade aus, um eine Etage des Zughafens zu mieten. Später kamen zwei weitere dazu. Clueso wollte als Vermieter selbst bestimmen können, wer in das Haus einzieht. „Wir hatten wenig Geld, nur eine Idee, das reichte uns.“
Clueso ist seitdem ein Botschafter Erfurts, in vielen Interviews spricht er über seine Stadt und sein Thüringen, das Rainald Grebe nicht umsonst als „Land ohne Prominente“ besingt. Ein bisschen ist Clueso auch Lokalpolitiker. Im Erfurter Rathaus ist er manchmal, um mit dem SPD-Oberbürgermeister über die Kulturpolitik und das Lärmproblem mit Clubs zu reden.
So viel und gern er über Erfurt redet, so wenig spricht er über ein anderes Thema: den Osten. Protagonist einer Erfolgsgeschichte Ost mag Clueso nicht sein. In seiner Familie teilen manche die Erfahrungen jedes zehnten Erfurters, die der Arbeitslosigkeit, seine Mutter hat erst seit kurzem wieder einen Job. Beste Voraussetzungen für Clueso-Ost-Geschichten. Zur Wende mag er beim Spaziergang über den Fischmarkt, vorbei am in die Höhe strebenden neugotischen Rathaus, dann auch nur kurz reden. „Es war eine krasse Zeit.“ Seine Eltern und die seiner Freunde waren vor allem mit sich selbst beschäftigt, nichts war sicher, die Arbeitsplätze nicht, die Wohnverhältnisse nicht. Clueso musste sich selbst Gedanken machen, wie es weitergeht, was er machen will. „In dieser Zeit sind viele Leute gescheitert, mich hat es kreativ gemacht.“ Mit Freunden probierte er sich als Sprayer von Graffiti, dann kam das Interesse an der Musik.
Die Straßenbahn kommt gerade, er entschließt sich spontan mitzufahren, Clueso will noch etwas zeigen. Die Blicke in der Bahn sind leicht verstohlen, gefolgt von auffällig beiläufigem Getuschel der Passagiere. Clueso wird erkannt, obwohl ihm die glamouröse Präsenz eines Stars abgeht – zumal er gerade nach Kleingeld kramen muss, um ein Ticket zu kaufen. Das Vorhaben scheitert an fehlenden Münzen.
Er wurde schon einmal beim Schwarzfahren erwischt, als er dem Sänger Max Herre Erfurt zeigte. Heute geht es gut. Die Bahn passiert die Staatskanzlei, hinauf geht es durch den für Thüringer Verhältnisse recht flachen Hügel im Südteil der Stadt in die Löbervorstadt, viele Mehrfamilienhäuser und gepflegte Vorgärten. Einige Freunde von Clueso wohnen hier, und er kommt gerne zu Besuch.
Das Café „Süden“ hat vor einigen Tagen eröffnet. Vor der Tür trifft Clueso Antje, sie hat den Kopf in den Nacken gelegt und genießt mit geschlossenen Augen die Sonne. Antje hat beim Song „So sehr dabei“ die Refrains mit eingesungen, Clueso sagt schnell Hallo, dann geht es in den neuen Laden. Die Fenster im Lokal sind groß, die Schritte werden durch Parkettboden gedämpft. Das Café gehört einem Freund des Sängers. Ein Mann im Schlabber-Shirt und mit dunklem Drei-Wochen-Bart schlurft an den Tisch, stellt sich als Henni vor, 40 Jahre. Er ist Lichttechniker in Cluesos Team und stellt einen Teller Lauchsuppe auf den Tisch. Clueso darf ihn Henner nennen, und Henni darf Clueso Klüsen rufen, seinen eigentlichen Spitznamen. Ein paar Tage später soll Klüsen zur Eröffnungsfeier im „Süden“ ein Konzert geben, danach gehen Henner und Klüsen auf Tour. Das ist Cluesos Erfurt, man kennt sich, man arbeitet zusammen, per Handschlag.
Henni hat seinen Restaurant-Traum verwirklicht, auch dank der Hilfe seines prominenten Freundes, der ihm mit Gratisauftritten Gäste verschafft. Clueso ist es wichtig, dass er seine Freunde unterstützt – und im Gegenzug Menschen um sich hat, auf die er sich verlassen kann. Er muss noch Lebensmittel einkaufen, später will er noch mal im Studio vorbeischauen. Der Neo-Folker Max Prosa spielt gerade sein Debütalbum ein, er ist zehn Jahre jünger als Clueso, wohnt eigentlich in Neukölln, verbringt seit einiger Zeit aber seine Tage lieber im Zughafen. „Das Album wird durchstarten“, sagt Clueso zum Abschied im Café. Er will, dass es vorangeht – mit seiner WG, mit dem Zughafen, mit Erfurt.
Das Album „An und für sich“ ist bei Sony erschienen. Am 20. April tritt Clueso in der Arena Berlin auf, Beginn 20 Uhr
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