Was Frauen wollen: Der neue Mann
Der Anti-Macho: Die neuen Männer sind lieb, empfindsam und zurückhaltend. Angeblich, weil Frauen das so wollen. Aber stimmt das? Unsere Autorin hat sich umgehört.
Die Luft ist stickig, der kleine Raum überfüllt. Feuerzeuge nehmen der schwitzenden Menge das letzte bisschen Sauerstoff. Auf der Bühne steht Philipp Poisel, ein kleines schmächtiges Bürschchen mit Gitarre. Leise haucht er Worte ins Mikro, die Augenlider auf Halbmast, gedankenverloren. „Wo fängt dein Himmel an und wo hört er auf?“, gibt Philipp mir mit auf den Weg, ich bin nicht sicher, ob ich so viel Melancholie verkraften kann.
Wer sich eine Karte für ein Philipp-Poisel-Konzert kauft, weiß, was ihn erwartet. Ein bisschen Herzschmerz, sehr viel Schwermut und vor allem ein Mann, der weiblichen Beschützerinstinkt weckt. Ich möchte ihn in den Arm nehmen, ihm einen Tee machen und ihn von seinen Sorgen erzählen lassen. Was passiert aber, wenn ein Schmerzensmann wie Philipp Poisel plötzlich in Gestalt meines Dates vom Vorabend mir am Frühstückstisch gegenübersitzt? Wenn er mir die Tragödien seines Lebens auf dem Tischtuch ausbreitet und die Butter auf dem Toast von so viel Wehmut zu schmelzen beginnt? Ist das die neue Männlichkeit, von der jetzt alle reden? Oder einfach nur der Versuch einer umgekehrten Emanzipation?
Angeblich haben wir Frauen uns Männer immer so gewünscht. Wir wollen den Familientyp, der uns versteht, der sich endlich mal lossagt von der öden Steinzeit-Debatte, der Jagd nach Körperlichkeit. Tiefgründig sollte er sein, höflich, häuslich und, na klar – gut aussehend! Wünschen sich Frauen den Mann als bessere Frau, oder wie? Was wollen wir Frauen eigentlich wirklich?
Hirn aus, Instinkt an
Mein Freundeskreis ist geteilter Meinung. Isa, Studentin, könnte sich mit der neuen Männlichkeit durchaus anfreunden: „Manchmal wünsche ich mir schon, mich ,flammend‘ an die Brust meines Freundes zu werfen. Schlussendlich ist mein Bedürfnis, vom Partner verstanden zu werden, immer größer. Andererseits kann ich es nachvollziehen, dass die ständige Selbstreflexion meines Gegenübers mich in den Wahnsinn treiben kann.“
Selbstreflexion ist das richtige Stichwort. Das, weswegen es bei so vielen Dates beim bloßen Reden bleibt: Der Mann hat Schiss, etwas falsch zu machen. In seinem Kopf geht das Rattern los. Und während Frau darauf wartet, endlich von ihm überfallen zu werden, überlegt er noch, ob er sie überfordern oder ihr zu nahe treten könnte. Schließlich ist auch er in vergangenen Beziehungen verletzt worden, das hat Wunden hinterlassen.
Hirn aus, Instinkt an. Gerade das typisch Männliche ist es, was mich an Männern reizt. Dabei müssen sie mich gar nicht immer verstehen und zum neuen besten Freund mutieren. Ein männlicher Mann – genau darum geht es doch in sogenannten Frauengesprächen immer wieder. Vielleicht wollen wir ja doch beim Küssen an die Wand gedrückt werden, eine Beziehung mit einem starken, dominanten aber einfühlsamen Mann erleben, die dann jedoch auch schnell wieder vorbei sein kann.
„Der Mann von 1900 kann nicht mehr der Mann von heute sein“, findet meine Freundin Marlene. „Menschenbilder verändern sich. Vielleicht sind die Männer heute weicher, aber man kann heute auch viel bequemer leben. Mann muss sich nicht mehr alleine um die Familie kümmern, ein Haus bauen oder das Geld nach Hause bringen. Diese ,männlichen‘ Aufgaben sind geteilt. Das entmännlicht einen Partner aber doch keinesfalls!“ Das heißt, mit schwindender Verantwortung hat mein Freund also mehr Zeit, sich selbst zu reflektieren, zur Gitarre zu greifen und mir die berüchtigten Mixtapes aufzunehmen, die die Probleme unserer Beziehung darstellen sollen?
Der Typ Strickjacke und Hornbrille.
Die Meinungen meiner männlichen Freunde untermalen das Dilemma: „Ich bin irgendwie immer nur der beste Freund von Frauen, für die ich mich interessiere, irgendwas mach ich doch falsch!“, fällt einem dazu ein. Er studiert Philosophie und Kunstgeschichte, ist genau der Typ Strickjacke und Hornbrille, von dem in aktuellen Zeitungs- und Blogartikeln immer die Rede ist. Er ist in sich gekehrt, liest Hesse und Sartre und macht sich Gedanken. „Warum sollen wir Männer uns immer nur nach euch Frauen richten?“, findet ein anderer, „ihr wisst doch selbst nicht, was ihr wollt!“ Er ist der selbstständige Typ, ihm ist es egal, ob er eine Frau versteht. Wenn nicht, auch nicht so schlimm. Er hat diese Prise Gleichgültigkeit – und Dates ohne Ende. Er ist keinesfalls dumm, verlässt sich auf seine Männlichkeit und alle Macken, die das vielleicht mit sich bringt.
Meiner Ansicht nach sind wir Frauen selbst schuld. Es hat einen Grund, warum der beste Freund eben nicht mehr ist und der Partner nicht der beste Freund. Die Ansprüche an beide sind kaum vereinbar. In einer Beziehung wünsche ich mir keinen Mann, der zu allem Ja und Amen sagt und immer nachgibt. Das ist langweilig. Vielleicht sind es genau die Gegensätze, die Reibereien und Fehler, die als anziehendes Moment zwischen Mann und Frau funktionieren.
Mann oder Anti-Mann?
Männer sind für uns interessant, weil sie eben Männer sind – und sich so verhalten. Da bringt es nichts, mir jahrelang einen Typ Mann zu wünschen, den ich nun nach außen hin verurteile, der plötzlich zum „Problem“ wird. Was hatte er für eine Wahl, wenn ihn die Frauenwelt sowie Stereotype in den Medien davon zu überzeugen versuchten, dass etwas nicht stimmt: Männer als vom Sexualdrang gesteuerte Wesen, ständig auf der Pirsch. Versicherungsvertreter feiern Sexpartys, Wetterfrösche die Polygamie. Weiber, Brüste, Saufen: Will man so reduziert noch Mann sein? Da versucht man doch lieber, sich mit Hornbrillen, Cordhosen und Strickjacken genau davon zu distanzieren.
Hinzu kommt, dass ich von Männern herzlich wenig darüber höre, wie eine Frau „zu sein hat“. Diese latente Einseitigkeit der Beschwerden darf uns zu denken geben und uns einfach mal weniger jammern lassen. Ob ein Mann nun das Zeug zum besten oder zum festen Freund hat, ist unwichtig. Sonst müsste ja jeder Mann als potenzieller Liebhaber bestehen und das ist unendlich anstrengend. Außerdem verhält sich der „Hornbrillenmann“ ganz und gar nicht unmännlich, sondern vielmehr schlau, findet zumindest Marlene: „Im Endeffekt hält der Typ sich mit Unentschlossenheit alle Türen offen! Wenn es dann doch so weit kommt und man im Bett landet, hat er sich aber noch überhaupt nicht auf dich festgelegt! Er kann also noch beruhigt weitere Sexualpartner ausprobieren.“
Bleibt also nur noch die Frage: Kann man Männer auf genau zwei Typen reduzieren? Mann oder Anti-Mann? Was ist mit den „weichen Helden“, Männer die eben genau beides sind, einfühlsam und männlich? Der fällt bei der ganzen Debatte irgendwie unter den Tisch.
Wenn man überhaupt noch von Geschlechterrollen sprechen kann, darf der Mann für mich gerne auf seiner Seite verbleiben. Und vielleicht sollten wir uns lieber an Gegensätzen aufrichten, anstatt sie wegzuwünschen, denn genau das macht eine Beziehung spannend. Zuguterletzt bleibt uns Frauen immer noch die Eigeninitiative. Bevor ich einen Mann als „Waschlappen“ bezeichne, weil er sich nicht traut, mich zu küssen, nehme ich eben das Zepter in die Hand, wider die Erwartungshaltung. Dabei kann nichts schiefgehen.
Constanze Bilogan
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