Popstar Kesha: Der Lady-Gaga-Klon
Es war einmal ein Mädchen, das davon träumte, berühmt zu werden - jetzt ist sie es. Popstar Kesha, eine Art verrückter, aber sympathischer Lady-Gaga-Klon.
MTV, das hat sich mittlerweile herumgesprochen, ist gar kein richtiger Musiksender mehr. Aber wenn MTV seine Preise vergibt, dann schaut die Popwelt trotzdem ganz genau hin, welche Künstler ausgezeichnet werden. Es sind nämlich nicht immer die richtigen, aber dafür die erfolgreichsten. Als kürzlich in Madrid die MTV Europe Music Awards vergeben wurden, hätten die Verantwortlichen wohl am liebsten alle Preise an Lady Gaga vergeben. Aber den als „Best New Act“ konnte sie nicht mehr bekommen, den hatte sie schon ein Jahr vorher erhalten. Warum, so mögen sich die Verantwortlichen gedacht haben, also nicht einfach eine neue Lady Gaga auszeichnen? Eine Art Lady-Gaga-Klon. Die Wahl fiel auf Kesha, die sich selbst Ke$ha schreibt, was sich wie Cash plus a spricht.
So wie Johnny Cash, die Country-Legende, für den die Mutter von Kesha schon mal einen Song geschrieben hat. Vor allem aber wie „cash“, das amerikanische Wort für Bargeld. Deshalb vielleicht auch das Dollarzeichen im Namen der jungen Frau, die eigentlich Kesha Rose Sebert heißt? Schon hier fangen sie an, die Schwierigkeiten, die man mit Künstlern wie Kesha haben kann: Wo hört die wirkliche Kesha Rose Sebert auf, wo fängt die künstliche Kesha an? Was an ihr ist echt, was haben sie und ihr Management sich ausgedacht, um die Karriere zu befeuern?
Fakt ist: Kesha wurde am 1. März 1987 geboren, wird also in ein paar Monaten 24. Zumindest sagt sie das. Und Fakt ist: Ende 2009 kam ihr Song „Tik Tok“ heraus, eines von Dutzenden, vielleicht sogar Hunderten von Liedern, die sich im Lady-Gaga-Sound versuchten. Leicht billig anmutender, heftiger Electropop. Dancemusic, die so etwas wie den kleinsten musikalischen Nenner der internationalen Popmusik darstellt. Der Unterschied zwischen Kesha und all den anderen Nachmachern: Ihr Song gelangte in mindestens sieben verschiedenen Ländern an die Spitze der Charts, darunter auch in Deutschland und in ihrer Heimat, den USA. Dort war der Song so übermächtig, dass selbst die Macher der TV-Serie „Die Simpsons“ ihn für eine veränderte Eröffnungssequenz benutzten: Bart und Homer und Lisa im Kesha-Rausch.
Vielleicht lag es an Textzeilen wie diesen: „Wake up in the morning feeling like P. Diddy ... before I leave, brush my teeth with a bottle of Jack“ – junge, blonde Frauen, die sich wie der Hip-Hop-Pop-Großmogul Puff Daddy alias Sean Combs vorkommen und zum Frühstück die Zähne mit Whisky putzen, finden sich auch im unterhaltungssüchtigen Amerika nicht allzu oft. Vielleicht lag es auch daran, dass Kesha schnell die dazu passenden Geschichten parat hatte. Geschichten, die sie als leicht durchgeknallte, schlitzohrige, aber trotzdem irgendwie sympathische junge Frau erscheinen lassen. Und bestimmt lag es auch an der zunächst aufs Internet ausgerichteten Marketingkampagne, die Kesha bekannt machen sollte. Zusätzlich tingelte sie von Interview zu Interview und erfreute Programmmacher, Hörer und Zuschauer mit Einsichten wie der, dass ihre Musik sich anhöre wie Gott, der einen Orgasmus habe. Dass ihr „Trash-Glam-Pop-Electro“ – so beschreibt Kesha ihren Sound – Menschen und Göttern, Alten und Jungen, Hipstern und Deppen als Ventil dienen könne.
Wer genau also ist diese hyperaktive Frau mit der losen Zunge, die sich ständig nervös durch die Haare fährt, heftig über ihre Arme streicht, die nicht weiß, wohin mit den Händen? Diese blonde Sängerin, die gerne Zebraleggings, Glitzer-Make-up oder sternförmige schwarze Verzierungen um ein Auge trägt? Geboren ist sie in L.A., aufgewachsen aber in der Countrymetropole Nashville. Hierhin hatte es ihre Mutter, die Songschreiberin Pebe Sebert, verschlagen. Und hier, so behauptet Kesha, habe sie ihre musikalische Begabung praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. Als Bett diente ihr zeitweilig ein Gitarrenkoffer.
Mittlerweile gibt es im Leben der Kesha zwei Geschwindigkeiten. Rasend schnell verläuft die Karriere, zwischen ersten Auftritten als Backgroundsängerin für Paris Hilton und ihrem Debütalbum „Animal“ liegen gerade einmal vier Jahre. Von Paris Hilton als Sängerin spricht niemand mehr, „Animal“ verkaufte sich weltweit über zwei Millionen Mal, erreichte die Chartspitze in den USA, bei uns Platz sieben der Hitparade. Und dann gibt es noch die andere, mittlerweile extrem verlangsamte Geschwindigkeit, für alle, die etwas abhaben wollen von Kesha, die Interviews und Kooperationen und Gefälligkeiten erhoffen. Sie müssen sich hinten anstellen, spätestens nach dem Gewinn des MTV-Preises geht es für die Sängerin und ihr Umfeld ums ganz große Geld, da wird jeder Schritt genau geplant. Sich rarmachen und trotzdem überall präsent sein, so hat es Madonna gehalten, so hat es Lady Gaga gehalten und wenn es so weitergeht für Kesha, dann wird auch sie es so halten.
Wobei: In Interviews sagt Kesha ohnehin meist das Gleiche, es klingt locker, aber in der Wiederholung wie einstudiert: Ja, das Dollarzeichen in ihrem Namen sei ironisch gemeint, ein Statement aus der Zeit, als sie selbst kaum Geld gehabt habe und in Autos schlafen musste. Ansonsten spiele Geld keine so große Rolle. Ja, sie habe als Fünfjährige, nackt und mit Fingerfarbe bemalt, im Wohnzimmer gestanden und gesungen und geschrien, dass sie Popstar werden will. Ja, sie habe sich einmal in das Haus von Altmeister Prince geschlichen, wurde erwischt, konnte aber trotzdem eine CD mit ihren Songs dalassen, bevor der Sicherheitsdienst sie abführte. Von Prince hat sie danach nie wieder etwas gehört. Nein, ihren Vater kenne sie wirklich nicht. Es habe aber vor Jahren mal einer angerufen, der es hätte sein können. Zu ihm nach Los Angeles sei sie dann gefahren, aber ein 40-Jähriger, der die ganze Zeit an seinem alten Videospieltisch sitzt? Mit dem könne sie ja gar nicht die Gene teilen, das sei sofort klar gewesen. Ja, sie sei der ehrlichste Mensch der Welt, die Geschichten in ihren Songs seien genau so passiert. Und dass sie auch den Spruch „Tue Gutes und rede darüber“ kennt: Im Sommer gab sie ein Benefizkonzert für die Opfer einer Flutkatastrophe in Tennessee.
In ganz frühen Interviews sieht man eine zwar schon blond bemähnte, ansonsten aber sehr normale, fast schon schüchterne junge Frau. Der Schluss liegt nah: Kesha war einmal ein Mädchen, das, wie so viele vor und nach ihr, davon träumte, berühmt zu werden. Jetzt ist sie auserwählt worden, Lady Gagas Nachfolgerin zu werden. Kesha sagt dazu: „There’s room for both of us. We are super different.“ Platz genug für beide. Und man sei ja sowieso grundverschieden. Die Regeln des Spiels namens Showgeschäft wollen es so – und Kesha auch.
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