Verwaltungsgericht: Der Hummer soll’s nett haben, bevor er stirbt
Zwei Wochen verbringen die Krebstiere beim Händler. In dieser Zeit müssen sie gut behandelt werden, findet das Bezirksamt Spandau. Eine kuriose Verhandlung bei Gericht
Am Ende jedenfalls wird der Hummer ins kochende Wasser gesenkt, er wehrt sich panisch, das sieht man, dann stirbt er. Leuchtend rot ist er, wenn er als Delikatesse serviert und mit Genuss verspeist wird. Ganz am Anfang wiederum schwimmt er im Meer, niemand kontrolliert Temperatur und Salzgehalt, die Natur richtet es schon.
Zwischen Ende und Anfang aber bekommt es der Hummer in Berlin mit dem Bezirksamt Spandau zu tun, genauer gesagt mit Amtstierärztin Diana Plange. Sie arbeitet beim Veterinäramt des Bezirks. Sie ist Tierschützerin, man könnte sie vielleicht sogar radikal nennen. Jedenfalls soll es der Hummer in der kurzen Zeit seiner Gefangenschaft nett haben, und dafür sorgt Plange, so, wie sie das auch für andere Tiere tut. Dabei schießt sie auch mal übers Ziel hinaus, dann wird sie vom Verwaltungsgericht in die Schranken gewiesen. So wie diesen Mittwoch wieder. Nur zwei von 15 Punkten einer Anordnung des Bezirks ließen die Richter gelten. Demnach muss pro Hummer eine Grundfläche von 290 Quadratzentimetern Fläche bereitstehen, und es muss für die lichtscheuen und einzelgängerischen Tiere schattige Bereiche und Rückzugsräume geben, etwa Versteckröhren oder Abteile.
Geklagt hatte die Firma Metro, es ging um ihren Supermarkt an der Nonnendammallee in Spandau. Dort werden lebende Hummer verkauft, an Gastronomen und Endverbraucher. Sie werden dort in drei Becken gehältert. Hälterung ist ein Begriff aus der Fischerei. Gemeint ist, dass die Hummer Schlachttiere sind, die nicht mehr lange zu leben haben. Sie werden nicht gefüttert. Das überstehen sie rund zwei Wochen.
Das Veterinäramt kontrollierte zwischen 2011 und 2013 die Hummerhälterung bei Metro – und hatte einiges zu beanstanden. Es verschickte im April 2013 einen Bescheid, in dem die Einhaltung von 15 Punkten vorgeschrieben wurde. Demnach musste dafür gesorgt sein, dass die Hummer in Becken mit einer Temperatur zwischen fünf und acht Grad leben, vorgeschrieben wurden auch der Salzgehalt des Wassers, pH-Wert, Sauerstoff-, Ammoniak-, Nitrit- und Nitratgehalt, zudem dürfe nur speziell geschultes Personal mit den Hummern umgehen, jedes Tier müsse einzeln erfasst und dokumentiert werden, mit Lieferdatum und -uhrzeit, eine Hälterung über mehr als 14 Tage sei nicht erlaubt, das Tier sei dann zu töten, an Endverbraucher sollten überhaupt keine lebenden Hummer abgegeben werden, ältere Tiere müssten zuerst verkauft werden, auch aggressive Tiere müssten isoliert und bevorzugt verkauft werden.
Wie viel Salz muss im Wasser sein? Und hat der Hummer Stress, wenn Leute am Aquarium vorbeigehen?
„Sie können tun, was das Gesetz Ihnen erlaubt“, sagt der Vorsitzende Richter Christian Oestmann am Mittwoch in Richtung Bezirk. „Sie können hingehen und kontrollieren. Aber Sie sind nicht der Gesetzgeber.“ Für so etwas wie die Dokumentationspflichten fehle jede Grundlage. Aber es sei nicht ordentlich dokumentiert worden, wendet Plange ein. Die Werte seien zu konstant: „Wenn neue Hummer reinkommen, atmen die da ihren Ammoniak ab, dann müssten die Werte steigen.“
Die Verhandlung dauert drei Stunden, es auch ein Sachverständiger gehört, Jan Wolter. Plange will wissen, ob es die Hummer stresst, wenn ständig vor der Scheibe des Aquariums hin- und hergelaufen wird. Ja, sagt Wolter, das schon. Und ob diese Art Stress ein Leiden im Sinne des Tierschutzgesetzes sei? Wolter sagt, ja, das gehe schon in Richtung Leiden. Wolter betreibt eine Zierfischpraxis. Metro-Anwalt Alfred Hagen Meyer, aus München eingeflogen, zieht seine Kompetenz in Zweifel. Zierfische seien etwas anderes als Hummer. Das Gericht lässt daraufhin erkennen, dass es schwer genug war, einen Sachverständigen zu finden, der sich mit Fischen auskennt. Wolter ist immerhin auch Vorsitzender des Prüfungsausschusses für Fachtierärzte, er befasst sich auch mit Nutzfischen, Krebstieren und Aquaristik. Außerdem ist er Ausschussvorsitzender bei der Tierärztekammer.
Der amerikanische Hummer sollte in Wasser mit einer Dichte von 1,030 bis 1,040 Salz pro Liter gehältert werden, der europäische mit 1,020 bis 1,030, so Wolter. Schafft man also 1,030 einzuhalten, braucht man wenigstens keine zwei verschiedenen Becken. Länger dauert das Gespräch über Nitrit. Plange will 0,01 Milligramm pro Liter, das hält Wolter für nicht erreichbar. Plange schon. Denn das Bezirksamt hat eine Dienstreise nach Hamburg gemacht, zu dem Traditionsunternehmen Hummer Pedersen, und sich dort in St. Pauli angeschaut, wie das geht. Nitrit sei schließlich in Lebensmitteln nicht erwünscht.
Am Ende hat Metro in den meisten Punkten Erfolg. Sechs von 15 werden in der Verhandlung erledigt, neun entschieden, davon sieben aufgehoben. Der Steuerzahler trägt in den meisten Punkten die Kosten des Verfahrens. Das Gericht setzt den Streitwert auf 75 000 Euro fest. Es lässt die Berufung zu. Der Anwalt des Bezirks, Hans-Georg Kluge, wollte es so. Er ist im Übrigen Veganer.