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Erfolgsgeschichte. Zwischen 800 000 und einer Million Besucher kommen nach Andechs pro Jahr. Die meisten zieht es ins Bräustüberl und auf die Terrasse.
© IMAGO

Klosterbrauerei Andechs: Der Berg und sein Bier

Die Klosterbrauerei Andechs ist weltbekannt - und ein Mythos. Doch die Mönche denken nicht in Quartalszahlen, sondern in Jahrhunderten.

Gerhard Öttl sitzt an einem Montagabend am Stammtisch in der Schwemme des Bräustüberls von Andechs, eine fast leer getrunkene Maß Bier vor sich. Der 78-Jährige mit dem offenen, heiteren Blick kennt sich aus. Denn hier sitzt er schon seit Jahrzehnten – im weltbekannten Andechs. Was ist das Geheimnis dieses Ortes? „Es ist die Gemütlichkeit“, sagt Öttl. „Man kennt die Leute, wir sind hier richtig daheim.“

Andechs, das Bier, das Kloster: Das ist eine einzigartige Erfolgsmaschine. Alles scheint zueinanderzupassen. Hier strahlt Oberbayern, im Sommer und an jedem schönen Wochenende stellen die Autos und Touristenbusse den großen Parkplatz voll. Die Besucher fluten die Klosteranlage, schauen sich die altehrwürdige Wallfahrtskirche mit dem Zwiebelturm an und gehen dann vor allem ins Bräustüberl und auf dessen Terrasse. Die Klostertradition der Benediktinermönche, die Andechs betreiben, trifft sich hier mit der Bier- und der Biergartenkultur. Und das ist Kult geworden. 800.000 bis eine Million Menschen kommen pro Jahr nach Andechs, sagt Pressesprecher Martin Glaab. Sie trinken das Bier der Mönche, essen dazu Leberkäs und Brezn.

In der Schwemme setzt sich eine Familie mit zwei kleinen Mädchen an einen der Tische. Josef Eckl sieht die Kinder, springt auf, bringt Malstifte und Zeichenpapier. „Alle sollen sich wohlfühlen“, sagt er. Eckl, 50 Jahre alt, ist für die Gastronomie verantwortlich. Er ist leitender Angestellter im Dienste des Klosters, sich selbst bezeichnet er lieber als Bräustüberlwirt. Der gelernte Koch aus dem Bayerischen Wald weiß von dem Ruf des Ortes. „Wenn man im Urlaub ist, lernt man ja andere Leute kennen“, sagt er. „Man wird gefragt, was man beruflich so macht. Ich sage: Andechs.“ Und dann? „Dann sind das Staunen und die Bewunderung groß.“

„Das Andechser Gefühl besteht darin, nie allein zu sein“

Was also ist das Geheimnis von Andechs? Josef Eckl beruft sich auf den Münchner Filmemacher Herbert Achternbusch, der gesagt haben soll: „Das Andechser Gefühl besteht darin, nie allein zu sein.“ Und Eckl meint: „Es ist der Blick auf Andechs.“ Die Anlage liegt unweit des Ammersees auf einem Hügel. Den nennen sie „den Berg“, ja, „den heiligen Berg“. Ohne das Bier hier, 40 Kilometer südwestlich von München, gebe es allerdings nur wenig. Da wäre die Klosterkirche mit ein paar umliegenden Gebäuden. Da wären sechs Mönche und ein wenig Personal. Vielleicht gäbe es das Kloster auch gar nicht mehr, wie so viele andere Ordensgemeinschaften, die wegen Nachwuchsmangels aufgelöst werden.

Doch es ist eben ganz anders. „Man erlebt hier einfach alles“, erzählt Wirt Josef Eckl. Er sieht hier einfache Leute, Politiker, Schauspieler und „bayerische Prinzen“. Kürzlich war die Ilse Aigner da, die bayerische Wirtschaftsministerin. Und nach wie vor ist Eckl stolz darauf, dass sich im Bräustüberl jeder seine Brotzeit selbst mitbringen darf – Obatzda, Wurstsalat, Brot und Radieschen. In einem Tresor haben Stammgäste ihre persönlichen Bierkrüge eingeschlossen, aus denen sie im Bräustüberl immer trinken. 336 Plätze gibt es, die Wartezeit dafür ist lang. Doch Andechs gilt auch als Treffpunkt für wüste Trinkgelage mit anschließenden Ausschreitungen. Dieses Bild will Eckl korrigieren: „In zwei Jahrzehnten musste ich nur ein Mal die Polizei holen. Ansonsten hat es immer gereicht, wenn ich mich dazwischenstelle.“

Haupteinnahmequelle der Abtei ist das in Andechs gebraute Bier

Das 1455 gegründete Kloster ist ein Ableger der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München. Haupteinnahmequelle der Abtei ist das in Andechs gebraute Bier – rund 100.000 Hektoliter im Jahr, das sind zehn Millionen Liter. Davon werden der Orden finanziert, die Sanierung der Gebäude, aber auch soziale Projekte in München, etwa für Obdachlose. „Wir sind ein mittelständischer Betrieb“, sagt der Sprecher Martin Glaab. Zum Vergleich: Die Münchner Paulaner-Brauerei produziert jährlich zwei Millionen Hektoliter, das ist das Zwanzigfache. Sechs Mönche leben noch in Andechs, sie sind zwischen 45 und 89 Jahre alt. Der Wirtschaftsbetrieb mit Brauerei, Gastronomie und Metzgerei hat aber 180 Beschäftigte.

Pater Valentin Ziegler ist einer der Andechs-Mönche. Zum Frühstück trägt er seine schwarze Kutte und überlegt eine Weile bei der Frage, worin das Geheimnis von Andechs liegt. „Wir sind regional, und wir sind sanft.“ Das Bier wird langsam gebraut. Der Hopfen stammt nicht wie bei anderen Brauereien aus China, sondern aus der Hallertau. Die Metzgerei kauft nur Schlachttiere aus Bayern. Der Pater war einige Jahre Cellerar in Andechs, das ist der Mönch, der für die Wirtschaftsbetriebe zuständig ist. Jetzt ist er Pfarrer und Seelsorger. „Wir biedern uns nicht überall an“, sagt der 45-Jährige. Und: „Es gibt keine Expansion um der Expansion willen.“ Ziegler ist Nachfolger von Pater Anselm Bilgri, der schillernd in der Öffentlichkeit auftrat, aber intern sehr umstritten war. Bilgri hatte heftig versucht, Andechs immer mehr zu vermarkten und zu kommerzialisieren. Teile der Mönche sahen das als einen Verrat an den benediktinischen Idealen an, zu denen etwa das Maßhalten gehört.

Bilgri schied schließlich im Unfrieden aus. „Benediktiner denken nicht in Quartalen, sondern in Jahrhunderten“, sagt Pater Valentin. Was nicht heißt, dass sie Konflikten immer ausweichen. Sie legen Wert auf die Feststellung, dass sie mit der bekannten Bio-Molkerei in Andechs und deren Produkten von Milch über Joghurt bis zum Käse nichts zu tun haben.

Schon um 21 Uhr ist es in Andechs ruhig

Zurück zum Stammtisch. Drei Mal in der Woche ist Gerhard Öttl hier. Er hatte früher eine Schreinerei und wohnt in Andechs, 18 Jahre lang saß er für die Christsozialen im Gemeinderat. Montags und freitags bleibt Öttl von 18 bis 20.30 Uhr. Am Sonntag kommt er zum Frühschoppen. Und das schon lange. Am Eröffnungstag des Bräustüberls nach dem Zweiten Weltkrieg war er auch schon da, als Jugendlicher.

Der Tag neigt sich dem Ende. Schon um 21 Uhr ist es in Andechs ruhig, man hört nur noch das Klappern von Geschirr, das Schrubben eines Besens. Es wird aufgeräumt. Das Bräustüberl schließt früh. „Die Mönche möchten ihre Ruhe haben“, sagt Pater Valentin. Um Mitternacht schlägt dann nur noch die Kirchenglocke. In der Kirche brennen zwei Kerzen in schmalen, hohen Fenstern. Stille in Andechs, der Berg schläft. „Das gehört dazu, das ist wichtig“, sagt Valentin, der Mönch. Denn bald kommen die Besucher wieder. Zu Tausenden.

Patrick Guyton

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