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Frankreich: Den Reichen reicht’s

Frankreich streitet über die neue 75-Prozent-Steuer. Wie Depardieu verkaufen viele ihre Luxusimmobilien und flüchten ins Ausland.

Den einen gilt er als Märtyrer, den anderen als Egoist. Gérard Depardieu spaltet die Nation. Seit der Filmstar seine Steuerflucht nach Belgien bekannt gab und dem sozialistischen Premierminister JeanMarc Ayrault als Reaktion auf dessen Kritik („erbärmlich“) den Verzicht auf die französische Staatsbürgerschaft ankündigte, wird sein Fall an den Theken der Bistros wie in den Salons der feinen Gesellschaft mit Leidenschaft diskutiert. An Schärfe ist die Kontroverse kaum noch zu übertreffen. „Nimm dein Geld und verschwinde“, giftete der Schauspieler Philippe Torreton von der Comédie Francaise in einem offenen Brief in der linken Tageszeitung „Libération“. „Wir werden auch ohne dich Filme drehen und aus Steuern subventioniertes Theater spielen.“ Gegen diese Art, Depardieu „mit Schmutz zu bewerfen“, verwahrte sich in derselben Zeitung Catherine Deneuve, seine Partnerin in mehreren erfolgreichen Filmen. Im rechten „Figaro“ fand der Regisseur Xavier Giannoli die Angriffe auf Depardieu schlicht „zum Kotzen“. Sein Kollege Pascal Thomas meinte: „Für ein Monster wie Depardieu ist Frankreich zu klein.“

Nach einer Umfrage des Instituts Ifop, die der „Figaro“ am Freitag veröffentlichte, halten 40 Prozent der Franzosen Depardieus Entscheidung, Frankreich wegen der hohen Steuern zu verlassen, für verständlich. Aber fast ebenso viele (35 Prozent) finden sie schockierend. Das Verständnis steigt mit der Höhe der Einkommen der Befragten, fanden die Meinungsforscher heraus. Doch die Gefühle sind zwiespältig. 81 Prozent meinen, es sei gerechtfertigt, angesichts der Lage des Landes von den Reichen höhere Steuern zu verlangen, während andererseits 54 Prozent Verständnis dafür haben, dass einige Reiche vor den hohen Steuern ins Ausland flüchten.

Über die Frage der Parteinahme für oder gegen Depardieu ist die Debatte damit längst hinaus. Wird das Beispiel des populären Schauspielers Schule machen? Werden andere Reiche jetzt ebenfalls die Tür hinter sich zuschlagen? Und sich nach Belgien, in die Schweiz, nach Monaco oder Großbritannien absetzen? Antworten gibt es nicht. 2,5 Millionen Franzosen leben im Ausland. Viele aus beruflichen Gründen, manche aus familiären. Wie viele an Steuerallergie leiden, lässt sich allenfalls vermuten. „Wir müssen da sehr vorsichtig mit Angaben sein“, warnt Gilles Carrez, der konservative Präsident der Finanzkommission des Parlaments. „Steuerflüchtlinge pflegen ihre Motive ja nicht bekannt zu geben.“ So bleibt auch die Frage, ob ihre Zahl seit dem Wahlsieg des Sozialisten Francois Hollande zugenommen hat, vorerst spekulativ.

Doch die Stimmung unter den Reichen ist zweifellos schlecht. Immer höhere Steuern und dann der Vorwurf, unpatriotisch zu sein und dem Vaterland die Solidarität zu verweigern – Laurence Parisot, die Präsidentin des Unternehmerverbandes Medef, meint, man sei dabei, „ein Bürgerkriegsklima wie 1789“ zu schaffen. Dass das in ihren Reihen so empfunden wird, konnte Hollande bei den Gesprächen mit führenden Unternehmern feststellen, die ihm in den vergangenen Monaten ihren Verdruss über die 75-Prozent-Steuer auf Einkommen von über einer Million Euro klagten. Diese Reichensteuer gilt für zwei Jahre. Zusammen mit anderen Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, die die sozialistische Regierung seit ihrem Amtsantritt beschloss, werden allen Franzosen ohne Ausnahme Opfer in einem bisher nicht gekannten Ausmaß zugemutet. Im Einzelfall kann es auch dazu kommen, dass ein Steuerpflichtiger wie Depardieu in diesem Jahr 85 Prozent seines Einkommens – in der Theorie sogar 100 Prozent, wie die regierungsfreundliche Zeitung „Le Monde“ errechnete – an den Fiskus abführen muss. Das ist von höchster Stelle als „nicht möglich“ angezweifelt worden. Doch Fabrice Lorvo und Nicolas Message, zwei Pariser Steueranwälte, halten die Angabe durchaus für plausibel, wenn man alle direkten Steuern zusammenrechnet, die Depardieu als Schauspieler, Regisseur und Produzent seiner Filme und als Inhaber mehrerer Restaurants, Weingüter und anderer Geschäfte auf Einkünfte und Vermögen zahlt. So erscheint es auch glaubhaft, wenn Jean-Yves Mercier, ein anderer Steuerberater, sagt, er habe jetzt fünfmal mehr Klienten als früher, die ihn um Rat fragen, wie sie ihre Steueremigration organisieren könnten. Von 5000 ist die Rede. Doch überprüfen kann auch das keiner. Es gibt jedoch Indizien, die die grassierende Angst belegen können. So habe sich das Angebot von Luxusimmobilien verdoppelt, berichtet Charles-Marie Jottras, der Präsident der Agentur Féau, die Depardieus 50-Millionen-Euro-Anwesen in Paris makelt. Unter seinen Klienten seien nicht nur Rentiers, die es in die Sonne zieht, sondern viele Aktive, die ihr Eigentum verkaufen, um nach London oder Brüssel zu gehen.

Um sich dem Fiskus in Frankreich zu entziehen, ist der Erwerb einer anderen Staatsbürgerschaft nicht nötig. Depardieu muss also nicht Belgier werden oder auf das Angebot des russischen Präsidenten Vladimir Putin eingehen, der ihm einen russischen Pass anbot. Die Einbürgerung in Belgien ist ohnehin an Bedingungen geknüpft, an denen jetzt selbst der Antrag des Milliardärs Bernard Arnault zu scheitern droht. Der Bewerber muss sich zum Beispiel besondere Verdienste um Belgien erworben haben. Womit sich „Obelix“ ausgerechnet um das Königreich verdient gemacht hat, wäre dann die Frage.

Tatsache ist, dass Steuerflucht nicht erst seit dem Wahlsieg der Linken ein Problem Frankreichs ist. Die Liste der prominenten Großverdiener aus Wirtschaft, Sport und Showgeschäft, die sich in den vergangenen Jahren, als die Rechte noch regierte, vor dem Zugriff des Fiskus in Sicherheit brachten, ist lang. Der Schauspieler Alain Delon, der Chansonnier Charles Aznavour, der Schriftsteller Eric-Emmanuel Schmitt oder die Tennisspielerin Amélie Mauresmo und ihr Kollege Guy Forget residieren schon seit langem in der Schweiz; ebenso Paul Dubrule, der Mitbegründer der Hotelkette Accor, und seit 2008 auch Frankreichs Rockeridol Johnny Hallyday. Als es den Tennisstar Henri Leconte Anfang der 1990er Jahre in die Schweiz zog, begleitete ihn sein Anwalt, der spätere Staatspräsident Nicolas Sarkozy, bei seinen Behördengängen in Genf. In Belgien ließen sich Régis Mulliez von der Supermarktkette Auchan, Jacques Badin vom Konkurrenten Carrefour sowie der Zeitungsverleger Alain Lefebvre nieder. Nach London ging kürzlich Christian Clavier, der Schauspieler, der an Depardieus Seite die Rolle des „Asterix“ verkörperte. Ihm folgte diese Woche Alai Afflelou, der Gründer der gleichnamigen Optikerkette. Angeblich auf Drängen seines neuen Hauptaktionärs, eines britischen Investitionsfonds, wie er in einem Brief an die Mitarbeiter schrieb. Zurück kommen nur wenige. Der frühere Tennisstar Yannick Noah ist einer von ihnen. Oder der Schriftsteller Michel Houellebecq („Elementarteilchen“). Der sagte: „Geld ist nicht das Wichtigste.“

Seine Bindungen an Frankreich wird Depardieu auch nach seiner Übersiedlung nach Belgien beibehalten. Das hoffen die Angestellten in seinen Restaurants, Weingütern und Boutiquen. Doch der Fiskus wird genau im Auge haben, wie oft er sich dort sehen lässt, ohne gegen die Residenzpflicht in Belgien zu verstoßen. Für seine Angestellten sorgt er wie ein Vater, wie es heißt. Von seinen Reisen bringt er ihnen oft Geschenke mit. Bei Erkrankungen ruft er seinen Arzt für sie herbei. In einen Scheidungsfall schaltete er seinen eigenen Anwalt ein. „Wenn alle Patrons so wären wie er“, seufzt Etienne, zweiter Koch in seinem Luxusrestaurant La Fontaine Gaillon in Paris. Auf ihren „Gégé“ lassen sie nichts kommen.

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