Tod eines schwarzen Jugendlichen: Demonstranten fordern Gerechtigkeit für Trayvon Martin
Amerika ist empört: Der unbewaffnete schwarze Teenager Trayvon Martin ist von einem selbst ernannten Wächter erschossen worden. Der Täter beruft sich auf Notwehr.
Vier Wochen nach dem Mord an Trayvon Martin brodelt es in Amerika. Der Tod des Teenagers, der in einer Februarnacht unbewaffnet von einem selbst ernannten Nachbarschaftswächter erschossen wurde, zieht Proteste in New York und anderen Städten nach sich. Tausende marschieren und fordern Gerechtigkeit für Martin und die Bestrafung seines Killers, der nach wie vor auf freiem Fuß ist.
Einen ersten Erfolg können die Demonstranten jetzt feiern. Das FBI hat sich in den Fall eingeschaltet und Ermittlungen aufgenommen – nicht nur gegen den Täter, sondern auch intern bei der lokalen Polizei von Sanford, wo Trayvon Martin erschossen wurde. Denn dort tat man zunächst nichts, um die Tragödie aufzuklären. Am Donnerstagabend legte der lokale Polizeichef Bill Lee unter dem Druck vorübergehend sein Amt nieder.
Die Tat ereignete sich in „Retreat at Twin Lakes“, einer geschlossenen Wohnanlage bei Orlando. Zu der Anlage mit 250 kleinen Einfamilienhäusern gehören ein Clubhaus und ein Pool, Disney World liegt eine knappe Stunde südlich. Hier wohnt Tracy Martin, der Vater des 17-jährigen Trayvon. Sein Sohn ist für das Wochenende zu Besuch, er wohnt sonst bei seiner Mutter in Miami. Gemeinsam sitzen sie am Sonntagabend vor dem Fernseher und schauen das Allstar-Spiel der NBA. Basketball-Fan Trayvon Martin sollte nur die erste Halbzeit erleben.
In der Pause läuft der Junge zu einem nahe gelegenen Laden, kauft eine Flasche Eistee und ein Päckchen Skittles, bunte Fruchtbonbons. Die aß er am liebsten. Auf dem Heimweg kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung. Trayvon läuft einem bulligen Latino, 28 Jahre alt und selbst ernannter „Nachbarschaftswächter“, über den Weg. In den letzten Monaten hatte es einige Einbrüche in der Wohnanlage gegeben, Zimmerman fühlt sich berufen, der Sache auf den Grund zu gehen. Als er Trayvon sieht, einen jungen Schwarzen mit Kapuzenpulli, hat er seinen Verdächtigen gefunden. Der Mann ruft die Polizei. Nicht zum ersten Mal, wohlgemerkt. Seit Jahresbeginn sind von ihm 46 Notrufe registriert, die allesamt keine Hinweise auf ein Verbrechen ergaben. Das Tonband vom Notruf des „Nachbarschaftswächters“ ist vor ein paar Tagen veröffentlicht worden, und es zeigt einen frustrierten Mann, der sich darüber ärgert, dass „diese Arschlöcher immer davonkommen“. Ob sich das auf die Einbrecher bezieht oder auf Schwarze, ist unklar. Mit einer Neun-Millimeter-Pistole im Hosenbund stellt er Trayvon nach, erst per Auto, dann zu Fuß. Ein Polizist am anderen Ende der Leitung will ihn stoppen: „Verfolgen Sie ihn nicht. Das ist nicht nötig.“ Doch der Mann ist unbeeindruckt. Wenig später stellt er Trayvon unweit seines Elternhauses. Es kommt zu einem kurzen Handgemenge, Trayvon schreit „Oh, mein Gott, Hilfe“, dann löst sich ein Schuss und der Teenager ist tot. Außer Eistee und einem Päckchen Skittles hat er nichts dabei, nicht einmal einen Ausweis, was dazu führt, dass sein Leichnam drei Tage bei der Polizei liegt, bis die Eltern erfahren, was mit ihrem Sohn passiert ist. Sie hatten ihren Sohn noch in der Nacht vermisst gemeldet, bei der Polizei in Sanford reagiert man nicht.
Ein Kapuzenpulli wird dem Jugendlichen zum Verhängnis.
Noch schlimmer: Vor Ort befragt die Polizei den selbsternannten Wachmann zum Tathergang, und der beruft sich auf Notwehr. Der Teenager – der wohlgemerkt unbewaffnet war, kleiner und 50 Kilo leichter – habe ihn angegriffen, er habe sich nur verteidigt. Zeugen widersprechen, darunter ein 13-jähriger Junge, der zehn Meter entfernt stand, außerdem ein Nachbar, der den Schuss sah und hörte, und Trayvons Freundin, mit der er bis zuletzt per Handy telefonierte. Aber die Polizei schließt die Akte, denn in Florida ist Notwehr rechtlich geschützt. Das „StandYour-Ground“-Gesetz, von der Waffenlobby NRA massiv unterstützt, gibt Bürgern das sofortige Schussrecht, wenn sie sich in irgendeiner Weise bedroht fühlen. Und der „Wächter“ fühlte sich bedroht, nicht zuletzt weil Trayvon Martin schwarz ist und ein sogenanntes Hoodie trägt. Das ist ein Kapuzenpulli. Einen solchen Kapuzenpulli identifiziert der Schütze als typische Kleidung von Drogenhändlern und Gang-Mitgliedern.
Dass viele Dealer und Bandenmitglieder solche Hoodies tragen, heißt nicht im Umkehrschluss, dass alle Menschen, die einen solchen Pulli tragen, Kriminelle sind. Millionen unbescholtener Amerikanerinnen und Amerikaner haben einen Kapuzenpulli. Nach drei Wochen Untätigkeit kommt jetzt Bewegung in den Fall. Mit den nationalen Behörden haben sich Politiker und Aktivisten eingeschaltet. Der Bürgerrechtler Al Sharpton nennt den Fall „eine nationale Schande“ und organisiert Massenproteste in Sanford. Politiker beider Parteien sagen, dass Notwehr kein Argument sei, wenn der Täter sein Opfer über längere Zeit verfolgt habe – noch dazu entgegen einer direkten Anweisung der Polizei. Eine erste Verhandlung ist für Anfang April angesetzt.
Unterdessen halten die Proteste an. Beim „Million-Hoodie-March“ in New York waren auch die Eltern von Trayvon Martin dabei. „Mein Herz tut weh“, sagte Trayvons Mutter Sabryna Fulton der Menge am Times Square. „Aber die Unterstützung von euch allen zu sehen, hilft uns sehr.“ Unterstützung kommt indes nicht von allen Seiten. Die Berichterstattung auf dem rechtskonservativen Sender Fox News deutet an, dass der Schütze durchaus einen Grund gehabt haben könnte, Trayvon Martin als möglichen Einbrecher zu sehen. Solche Stimmen gehen aber unter im Protest der Masse, die bislang mehr als eine Million Unterschriften für die Verhaftung des Täters gesammelt hat.