Massenmord in Texas: Dem Entsetzen folgt die erwartete Routine
Beim Gottesdienst in einem texanischen Dorf erschießt ein Ex-Soldat 26 wehrlose Menschen. Die USA sind geschockt - und trösten sich damit, dass ein bewaffneter Nachbar den Täter stellt.
Die Umstände der jüngsten Massenschießerei haben die USA besonders schockiert: Mitten im Sonntagsgottesdienst im kleinen Ort Sutherland Springs in Texas feuert ein Mann mit einem Schnellfeuergewehr auf wehrlose Familien in den Kirchenbänken, schont weder Kinder noch Greise. 26 Menschen sterben, acht davon aus einer einzigen Familie, das jüngste Opfer ist ein Jahr alt, das älteste 72. Unter den Toten sind auch eine Schwangere und die 14-jährige Tochter des Pfarrers. Aber, und das wird als Trost und Zeichen einer funktionierenden Gemeinschaft empfunden: Gestellt wird der Täter nicht von der Polizei, sondern von bewaffneten Nachbarn, die auf ihn schießen. Er stirbt am Ende einer Verfolgungsjagd, wohl durch die eigene Waffe.
Die USA werden inzwischen alle paar Wochen mit solchen Nachrichten konfrontiert, oft verbunden mit neuen Superlativen des Grauens. Diesmal war es der tödlichste Amoklauf in der Geschichte von Texas. Am 1. Oktober hatte ein Mann in Las Vegas, Nevada, auf Konzertbesucher geschossen, 58 Menschen getötet und 546 verletzt. Er feuerte aus dem 32. Stock eines Casinohotels in die Menge – die tödlichste Schusswaffenattacke durch einen Einzeltäter in der Geschichte der USA. Meist sucht die Nation vergeblich Antworten auf die Frage nach den Motiven und der Auswahl der Opfer.
Die Identität des Schützen in Texas und der Tatablauf sind am Tag danach weitgehend geklärt. Der 26-Jährige Devin Patrick Kelley wohnte in New Braunfels, einem von deutschen Siedlern gegründeten Ort im „Hill Land“ zwischen Austin und San Antonio. Bis 2012 arbeitete er für die Air Force in New Mexiko. Dann wurde er gewalttätig gegen Ehefrau und Kind, kam zwölf Monate in Haft und wurde 2014 unehrenhaft aus dem Militär entlassen.
Warum aber wählte Kelley Sutherland Springs als Tatort? Das ist unklar. Eine Theorie lautet, Kelley habe Streit mit der Familie seiner Frau gehabt; die Schwiegermutter besuchte angeblich mitunter diese Kirche, freilich nicht an diesem Sonntag.
Der kleine Ort liegt 45 Autominuten von New Braunsfeld entfernt, hat weniger als 400 Einwohner und besteht im Wesentlichen aus einer Straßenkreuzung mit einigen Seitenstraßen. „Man denkt, in kleinen Orten wie diesen geschehen solche Verbrechen nicht“, sagt der Sheriff des Landkreises, Joe Tackitt. „Jetzt wurden wir eines Schlechteren belehrt.“
Der Nachbar mit der Waffe wird zum Helden
Kelley hatte am Sonntagmorgen an der Tankstelle gegenüber der Kirche gehalten, dann mit seinem SUV, einem perlgrauen Ford Explorer, den Highway 87 überquert und war mit Gewehr und Pistole vor der Kirche ausgestiegen. Er war schwarz gekleidet wie für einen Spezialeinsatz. Erst ging er rechts um die Kirche herum und feuerte von außen auf die Gottesdienstbesucher, dann in die Kirche hinein und schoss weiter. Um 11 Uhr 20 trafen Notrufe bei der Polizei ein.
Durch die Schüsse war ein Nachbar aufmerksam geworden. Er verwickelte Kelley in einen Schusswechsel, als der die Kirche verlassen wollte. Kelley wurde getroffen, bislang ist unklar, wie schwer. Er rettete sich in sein Auto und floh.
Kurz zuvor kam Johnnie Langendorff, ein langer, schlanker Texaner mit Cowboyhut und Ziegenbart, auf dem Weg zu seiner Freundin in seinem SUV an der Kirche vorbei und war irritiert, dass dort ein SUV mit offener Fahrertür und laufendem Motor stand. Dann kam es zu dem Feuergefecht zwischen Kelley und dem bewaffneten Nachbarn; dessen Name ist noch nicht öffentlich bekannt.
Als Kelley mit seinem Auto floh, lief der Nachbar auf Langendorff zu, schilderte die Ereignisse und forderte ihn zur Verfolgung auf. „Handele jetzt, nachfragen kannst du später“, erklärt Langendorff im Rückblick, was in ihm vorging. Die beiden Männer verfolgten Kelley, die Tachonadel sei über 95 Meilen (152 Stundenkilometer) gestiegen. Über Mobiltelefon gaben sie ihre Position an die Polizei durch. Nach 17 Kilometern kam Kelley in einer Kurve von der Straße ab. Langendorff stoppte sein Auto 20 Meter dahinter; sein Mitfahrer zielte mit dem Gewehr auf Kelleys Fahrzeug, doch dort regte sich nichts mehr.
Waffenlobby fühlt sich wieder bestätigt
In den Stunden seither reagieren die USA mit Entsetzen, Trauer und den vorhersehbaren Routinen. Präsident Trump erklärt das Massaker zur „grausamen Tat“ einer „verrückten Person“. Mit dem Waffenrecht habe sie nichts zu tun. Linke Demokraten fordern eine Verschärfung der Gesetze.
Die Waffenlobby sieht sich diesmal besonders bestätigt in ihrer Aussage, die nach keinem Massaker fehlt: „Die einzige Lösung für einen bösen Kerl mit einer Waffe ist ein guter Kerl mit einer Waffe.“ In Texas wird man kaum jemand finden, der da widerspricht.