Zu Hause: Das stärkste Gras der Welt
Bambus ist kein Holz, aber für den Möbelbau ideal: hart, elastisch und glatt. Zudem passt er perfekt zu einer Gesellschaft, die nachhaltig sein will – manche Sorten wachsen 30 Zentimeter am Tag.
Einmal platzte Markus Schell in ein sehr typisches Immobilienmaklergespräch. Es ging um schnelle Autos, Geschwindigkeitsrekorde und Ledersitze, um Drehzahlen und PS. „Und Markus, wie viele hat deiner?“, fragte einer der Makler. Markus Schell antwortete: „24 Gänge. Mountainbike.“ Dann lachten alle und wechselten das Thema hin zum geplanten Wohnungsausbauprojekt: ein Dachgeschoss in Prenzlauer Berg. Markus Schell ist Architekt und Möbeldesigner. Und er ist ein Öko. Deswegen hat Markus Schell auch bei dieser Wohnung wieder versucht, sein Lieblingsmaterial ins Spiel zu bringen: Bambus. Warum Bambus? „Weil alles dafür spricht.“
Bambus ist ein seltsames Produkt, ein komischer Allrounder, der vielleicht gerade deswegen merkwürdig erscheint, weil es sowohl Bambussocken als auch Bambusschnaps als auch Bambusstühle gibt. Weil man Bambus trinken wie essen kann, weil man daraus Kleidung herstellen kann, Kosmetik und eben auch Möbel. Ökomöbel eigentlich, denn Bambus wächst – im Gegensatz zum in Deutschland sehr beliebten Möbelmaterial Eiche – sehr schnell nach, manche der über 1000 Bambussorten sogar 30 Zentimeter am Tag. Während der Wachstumszyklus einer Eiche bei 80 bis 100 Jahren liegt, braucht der Bambus im Schnitt fünf. Außerdem benötigt er keine starke Bewässerung und nimmt bis zu 30 Prozent mehr Kohlendioxid auf als andere Gewächse. Er ist robust, fest, sehr glatt, er splittert nicht. Dazu muss man ihn nur mit einem Naturharzöl behandeln, und schon sieht er aus wie zehn Mal lackiert. Markus Schell behauptet, er würde auch Stahlträger durch Bambus ersetzen, gäbe es dafür eine Zulassung.
Aus diesen Gründen hat er die „Gesellschaft für bessere Möbel“ in der Sophienstraße in Berlin-Mitte gegründet. Da gibt es einen Showroom, in dem man sich davon überzeugen kann, dass es dort, wo Bambusmöbel stehen, nicht automatisch riechen muss wie in einem „Spinnrad“-Laden und dass der Besitzer solcher Möbel nicht zwangsläufig Zimtlatschen trägt. Edle Möbel sind es, in klassischem, zeitlosen Design. Gefertigt aus etwas, das aussieht wie sehr aufwendig behandeltes, lackiertes Holz, in einer Farbe, die vielleicht am ehesten an Ahorn erinnert, wären dort nicht die deutlich sichtbaren bambustypischen dunkleren Wachstumsabschnitte. Markus Schell entwirft Betten aus Bambus. Hocker und Stühle aus Bambus. Zeitschriftenständer, Regale, Sideboards. Elegant-schlichte Esstische, wie sie in stilvollen Altbauwohnungen in Prenzlauer Berg stehen. Aber dennoch zierlich. Tische, die deswegen so lang und filigran sein können, weil Bambus so widerstandsfähig und kräftig ist, dass er nicht durchhängt. So dünn könnte ein in der Form identisches Möbel aus Holz nicht sein. Auf Möbelmessen hatte Markus Schell schon den einen oder anderen Schreinermeister fachmännisch unter einem Bambustisch liegen, der gefragt hat: „Warum zum Teufel bricht der Tisch denn nicht?“ Er bricht nicht, weil Bambus ein Gras ist, kein Holz.
Seinen ersten Kontakt mit dem Material hatte Markus Schell 1996. Es war der Tag, an dem er auf der Suche nach etwas Neuem zufällig bei einem Holzhändler eine Bambusparkettplatte in der Hand hielt. Er brachte sie dem Steglitzer Ehepaar mit, für das er ein Dachgeschoss ausbaute, aber dem war das Material suspekt. „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“, sagt Markus Schell. Das Ehepaar wählte am Ende kanadischen Ahorn und vergaß den Bambus. Markus Schell vergaß ihn eigentlich auch, aber der Holzhändler hatte Schell in seine Kundenkartei aufgenommen und schickte ihm bald eine Bambusplattenprobe zu. Nun lag in seinem Büro ein kassettengroßes, rechteckiges Stück, das einfach irgendwie von niemandem weggeräumt wurde. Einzelne Streifen aus dem Bambusrohr, die netzartig übereinandergelegt und zu einer kleinen, kompakten Platte verleimt wurden. Ein Stück, das immer irgendein Büro-Mitarbeiter durch Zufall in der Hand hielt, um sich dann zu wundern, dass das, was er anfasste, so viel weicher ist als Holz. Und dann immer die Frage: „Was ist denn das eigentlich?“ Manchmal hat Markus Schell sogar Mitarbeiter beobachtet, die gar nicht merkten, dass sie schon wieder mit verklärtem Blick die samtige Bambuskassette streichelten. „Da muss man doch was draus machen“, dachte Markus Schell.
Erst kam der klassische viereckige Hocker. Dann ein Tisch. Dann der große Esstisch, Kostenpunkt 1800 Euro. Und dann kam die Überzeugungsarbeit, denn es war 1999, eine Zeit, in der es „Bio-Company“ noch nicht an jeder Ecke gab, und in der man noch nicht ständig vom Klima, sondern höchstens vom Wetter sprach. Mit dem Wort „nachhaltig“ ließ sich noch nicht punkten, und schon gar nicht ohne bereits verbuchte Erfolge, ohne Beispiele, bei denen das „Konzept Bambus“ funktioniert hatte.
Der Glücksfall für Markus Schell hieß „Monsieur Vuong“. Jener In-Vietnamese in der Alten Schönhauser Straße in Mitte, der zu jeder Tageszeit so übertrieben voll ist. Markus Schell war Stammgast im alten „Monsieur Vuong“ in der Gipsstraße. Dann wollte sich der Laden vergrößern, der Besitzer Dat Vuong fragte Schell, ob er nicht den Fall übernehmen wolle. Markus Schell sagte „Bambus“, und Monsieur Vuong war begeistert. Heute kennt man das „Monsieur Vuong“ als das Restaurant mit der bühnenartigen Bar in der Mitte: unten Glasfaserbeton, oben Bambus. Drumherum die Gäste auf u-förmigen Bambushockern. Ein asiatisches Restaurant, das gezeigt hat, dass es keine goldenen Löwen vor dem Eingang braucht – das durch die Mischung aus schnörkellos-modernem Mobiliar mit der uralten asiatischen Tradition des Bambus so richtig hip wurde.
Bei „Monsieur Vuong“ musste Markus Schell keine Überzeugungsarbeit leisten. Und die Tatsache, dass dies so ist, deutet das Bambus-Problem bereits an. „Was uns die Eiche ist, ist denen der Bambus.“ Dat Vuong fühlte sich durch Markus Schell an zu Hause, an Vietnam erinnert.
Ein Ehepaar aus Mitte fühlt sich nun mal eben nicht an zu Hause erinnert, wenn es einen Bambustisch sieht. Das Vertrautheitsgefühl aber ist bei Möbeln nicht zu vernachlässigen, weiß Markus Schell. Das Holz eines bekannten Baumes riecht nach Heimat. Ein schöner Wald mit vertrauten Bäumen lässt an Picknicke denken, an das Essen daheim, an gemütliche Vertrautheit. Möbel seien keine Sache der Logik, sagt Schell.
Die Diskussion um den Klimawandel und der allgemeine Trend dahin, dass Öko nicht nur salonfähig, sondern sogar cool ist, hat die Nachfrage nach Bambusmöbeln enorm gesteigert. Zwar sei es immer noch kein Massenprodukt, aber es schaue auch keiner mehr komisch, wenn Markus Schell sagt, dass er mit großer Überzeugung in Bambus macht. Seit zwei Jahren merkt er, dass Umsatz und Nachfrage steigen, dass er immer mehr Material von den Feldern bei Shanghai anfordern muss. Die Bambusart, die Markus Schell verwendet, kann er nicht in Europa anbauen lassen – Phyllostachys Pubescens verträgt das Klima nicht. Also werden die Gräser bereits in China in Streifen geschnitten, diese werden dann zu meterlangen Platten zusammengeleimt. Eine Stuttgarter Tischlerwerkstatt verarbeitet die Platten für Schell.
Im vergangenen Jahr haben die Anfragen der Kunden, die sich Möbel aus Bambus wünschen, erstmals seine eigenen Erwartungen übertroffen. „Na siehst du, es geht doch“, hat er sich da gedacht.
Ähnlich klingt Alexander Schmidmeier. Er ist seit 20 Jahren im Geschäft, inzwischen verkauft er seine Stücke online über die Seite bambusmoebel.de, nach eigener Aussage hat er das weltweit führende Unternehmen für Produkte aus Bambus aufgebaut. Auch seine Firma spürt, wie stark die Beliebtheit von Bambus zunimmt. Zwar habe sich sein Umsatz nicht deutlich gesteigert, wenn man aber bei Google heute das Suchwort „Bambusmöbel“ angibt, erscheinen seit etwa zwei Jahren plötzlich um die 300 Mitbewerber, wo früher immer nur sein Name auftauchte. Trotzdem sieht auch Alexander Schmidmeier das Problem der Übermacht der vertrauten Baumsorten. „Man will doch etwas Bodenständiges, etwas Bekanntes“, sagt er. Deswegen glaubt er auch daran, dass es falsch ist, dass viele Vertreiber Bambus als etwas Exotisches, Karibisches darstellen, das an ferne Kulturen und Südsee erinnern soll, anstatt einfach mit den universal gültigen Vorzügen zu argumentieren: Härte, Robustheit, leichte Handhabung, Elastizität.
Auch auf der Gefühlsebene gibt es Hoffnung für den Bambus. Man muss sich, wie Markus Schell, nur lange genug damit beschäftigen, dann passiert es, dass man sich dazu hinreißen lässt zu sagen, den Bambus wegen seiner „Gutmütigkeit“ zu mögen oder ihn derart „als Freundin“ anzusehen, dass man von ihm behauptet, er habe „nun mal eine trockene Haut“. Einmal nämlich hat ein Kunde einen großen Tisch zurückgegeben, weil sich mit der Zeit längs über die Tischplatte kleine, feine Haarrisse gebildet hatten, die unschön aussahen. So etwas passiert, wenn Tropengewächse in zu trockene Luft, in Heizungsatmosphäre geraten. Unter 30 Prozent Luftfeuchtigkeit ist nichts für Bambus. Ein Kollege von Markus Schell behielt den gerissenen Tisch bei sich. Nach einem Jahr schließlich erhielt Markus Schell einen Anruf. „Die Risse sind komplett verschwunden“, sagte der Kollege. Der Tisch hatte sich erholt. „Bambus verzeiht“, sagt Markus Schell.
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