Nestlé zieht Fertignudeln zurück: Das "Letzte Maggi-Abendmahl" in Indien
Indien ist längst nicht mehr nur das Land von Currys, Samosas und Golgappas. Jeden Tag verschlingen Millionen Inder Zwei-Minuten-Nudeln eines Schweizer Konzerns. Vielleicht nicht mehr lange.
In Indien ist Fertignudel nicht gleich Fertignudel. Manche mögen sie statt in der Schüssel lieber im Omelett, andere als Füllung im Fladenbrot oder als Belag auf der Spicy-Tikka-Pizza. Einige essen die knusprigen, gewellten Nudeln sogar ungekocht als Snack. Aber egal ob im Himalaya-Dorf, das nur zu Fuß erreichbar ist, oder an einem Straßenstand in Goa: Für viele Inder gibt es bei Fertignudeln nur eine einzige Marke, nämlich Maggi von Nestlé. Doch die Beziehung vieler Inder zu ihrer Zwei-Minuten-Nudel wurde nun schwer erschüttert. Die Behörden fanden bei mehreren Tests ein vielfaches der erlaubten Mengen an Blei in den Produkten des Schweizer Lebensmittelriesen.
Die TV-Sender des Subkontinents kennen seit Tagen kaum ein anders Thema. Es wurde so schlimm, dass der Nestlé-Konzernchef höchstpersönlich nach Indien eilte und versicherte: Die Nudeln sind sicher. „Wir sind seit mehr als 100 Jahren hier, wir sind ein Teil Indiens“, sagte Paul Bulcke. Doch mehrere Bundesstaaten verboten den Verkauf der Packungen, die für zwölf Rupien (17 Cent) pro Portion zu haben sind. Schließlich zog Nestlé die Produkte selbst aus den Regalen zurück, „vorsorglich“ nur, wie Bulcke bei der Pressekonferenz gleich dreimal betonte.
Aktivisten verbrennen aus Protest Nudelpackungen
Indien ist geschockt. Einige Aktivisten in Kolkata verbrannten aus Protest Nudel-Packungen. Doch viele andere sagen, sie könnten nicht ohne leben. „Ich bin ein Maggiholiker“, meint etwa der Internatsschüler Deep Choudhary. Eine Flut an Liebeserklärungen zu dem Fertiggericht überrollte in den vergangenen Tagen auch die sozialen Medien. Studenten verabredeten sich zum „Letzten Maggi-Abendmahl“ oder, wie der Comedian Aadar Malik, nahmen es mit Humor: „Wenn Maggi-Nudeln wirklich Blei enthielten, hätte ich so viel in mir, dass Superman nicht durch mich hindurchschauen könnte“, erklärte Malik auf Twitter.
Die Wut hingegen richtet sich gegen die Lebensmittelaufsicht. Die oberste nationale Behörde - mit indischer Liebe für Abkürzungsmonster FSSAI getauft - vergibt die Lizenznummern und lässt die Unternehmen ihr Logo auf die Packungen drucken. Das bedeute aber nicht, dass die Nahrung auch getestet sei, erklärt Amit Khurana vom Zentrum für Wissenschaft und Umwelt (CSE) in Neu Delhi. Im Gegenteil sei es jetzt das erste Mal, dass die indischen Behörden industriell verarbeitete Lebensmittel auf Schwermetalle testeten. Den meisten Bundesstaaten mangele es an ausreichenden Laboren und Testern, meint Khurana.
Seine unabhängige Organisation habe schon gefährliche Pestizide in Flaschenwasser, zu viel Koffein in Energy-Drinks oder Antibiotika in Honig und Hühnchen gefunden. Doch selbst als Insektenvernichtungsmittel in Cola und Würmer in Schokolade auftauchten, kamen die Unternehmen ohne Strafen davon. Noch ist unklar, ob auch der Maggi-Sturm schnell vorüberziehen wird. Der Betriebswirtschaftsstudent Chirag Goel isst jetzt erst einmal Pasta statt Maggi-Nudeln am beliebten „Tom Uncle's Maggi Point“ der Universität Delhi. Wenn Maggi wirklich schädlich sei, solle es verboten werden, findet er. „Aber die Auseinandersetzung bricht uns das Herz.“ (dpa)