Lady Di: Das Gewissen der Jäger
Die Paparazzi und Dianas Tod: von der Justiz freigesprochen, vom Volk verurteilt. Einen Fotografen hat der 31. August 1997 verändert.
Arthur Edwards war irgendwo im Umland von London unterwegs in jener Nacht. Er fuhr mit seiner Frau von einer Hochzeitsfeier nach Hause. Da erreichte ihn der Anruf aus der Redaktion: Autounfall in Paris, Prinzessin Diana schwer verletzt, ob er sofort hinfliegen könne? Das Gespräch über das schöne Fest, das Arthur Edwards und seine Frau eben erlebt hatten, brach ab. Arthur Edwards, damals wie heute der „Royal Photographer“ der britischen Boulevardzeitung „The Sun“ war schlagartig im Dienst. „Ich habe mir zu Hause meine Kameras gegriffen und bin sofort zum Flughafen“, erzählt er. Es war die Nacht auf den 31. August 1997.
Als Edwards in Paris ankommt, hört er die Nachricht vom Tod der Prinzessin. Er fährt zum Tunnel, macht ein paar Aufnahmen am Unfallort, das Auto, der Pfeiler, gegen den es gerast ist, die Absperrungen. „Die Bilder von der Prinzessin nach dem Unfall hatten wir ja“, sagt er und klingt in diesem Moment – ganz Profi – wie einer, der einen Routinevorgang beschreibt. Doch dieser Tag war für Arthur Edwards alles andere als Routine. Der Tod der Prinzessin hat ihn schwer getroffen und dazu gebracht, über sich und seinen Beruf nachzudenken. Schließlich wurde den Fotografen, die sich mit dem schweren Mercedes des Hotels Ritz eine Verfolgungsjagd lieferten, vorgeworfen, an Dianas Tod schuld zu sein.
Kurz nach Mitternacht, am Hintereingang des Pariser Ritz. Prinzessin Diana, Dodi al Fayed und Dianas Leibwächter Trevor Rees-Jones besteigen einen Mercedes 280S, am Steuer sitzt der stellvertretende Sicherheitschef des Ritz, Henri Paul; er hat 1,75 Promille Alkohol im Blut. Dodi al Fayeds eigener Fahrer war kurz zuvor in seinem Mercedes 600 vom Vordereingang abgefahren, um die Fotografen abzulenken, doch die hatten den Wagen mit der Prinzessin trotzdem erkannt. Sie folgen ihm, aber mit über 180 Stundenkilometern rast Henri Paul ihnen davon. Um null Uhr 26 kracht der Wagen im Tunnel unter der Pont de l’Alma gegen einen Pfeiler. Kurz darauf erreicht der Fotograf Stephane Darmon auf dem Motorrad den Unfallort, hinter ihm sitzt sein Partner Romuald Rat.
Darmon: „Ich stieg vom Motorrad und rannte auf das Auto zu. Ich sah, dass es ein Mercedes war und erkannte, dass es das Paar sein könnte. Als ich das Auto erreichte, war ich mir sicher: Ich erkannte Mr. al Fayed. Ich war geschockt, es war kein schöner Anblick. Als ich auf das Auto zugerannt war, hatte ich zwei Fotos geschossen. Ich schoss noch eins, als ich al Fayed erkannte. Das alles hat weniger als zehn Sekunden gedauert.“
Zwei weitere Fotografen erreichen den Ort in einem schwarzen Fiat: Serge Arnal und Christian Martinez.
Arnal versucht, einen Krankenwagen zu rufen. Im selben Moment ruft eine Fahrerin von der Gegenfahrbahn die Feuerwehr an.
Arthur Edwards wirkt nicht wie ein abgezockter Paparazzo, eher wie ein Buchhalter. Die Brille, die hohe Stirn, der korrekte Anzug – wenn Arthur Edwards den Mund zum Sprechen rundet, ähnelt er ein bisschen dem deutschen Finanzminister Peer Steinbrück.
Der Royal Photographer hat auf der Couch in einem Besprechungszimmer der „Sun“ Platz genommen, ein kleiner Glaskasten, den seine Stimme mit ruhigem Rhythmus füllt. Rundherum wuselt die Redaktion, in einem Großraumbüro mit den Ausmaßen eines Handballfelds. In den 80er Jahren war die „Sun“ aus dem traditionellen Presseviertel an der Fleet Street in die neu erschlossenen Docklands östlich der Tower Bridge gezogen. Der Zeitungskomplex mit Redaktion, Verwaltung und Druckerei ist eine Mischung aus alten Lagerhallen und moderner Stahl- und Glasarchitektur – eine Sun-City an der Themse. Als an dieser Stelle noch die Londoner Docks brummten, schuftete Arthur Edwards’ Vater hier als Hafenarbeiter. Die Familie stammt aus dem East End, echte Cockneys. „Ich liebe meinen Job“, sagt Arthur Edwards. Auch mit 67 Jahren hat er nicht vor, in Rente zu gehen. Während des Gesprächs klingelt sein Handy. „Nippon TV? Bitte rufen Sie nächste Woche wieder an. Ich bin ab Morgen für mehrere Tage im Ausland.“ Wo geht es hin? „Das verrate ich nicht.“
Arthur Williams trägt den Titel eines Member of the Order of the British Empire, überreicht für seine Dienste an der britische Presse. Aber auch einer wie Edwards hatte seine Paparazzi-Momente. Zum Beispiel 1980; Charles und Diana sind gerade erst zusammengekommen: „Ich hing aus dem Seitenfenster eines Autos und habe Diana fotografiert, die den Wagen neben mir steuerte“, erzählt er. Damals wollte er dieses Foto unbedingt. Er hatte mit Kollegen vor einem der königlichen Schlösser herumgelungert, und das Sicherheitspersonal hatte sie angelogen. Eine Lady Diana Spencer habe hier niemand gesehen. Als Prinz Charles vorn am Haus mit den Fotografen sprach, überprüfte Edwards als Einziger den Hinterausgang und siehe, da fuhr die Lady davon. Das stachelte seinen Ehrgeiz an, erzählt Edwards, er habe sich hinreißen lassen. Andere Kollegen, etwa Kelvin MacKenzie, sein früherer Chef bei der „Sun“, berichten aber noch von anderen Paparazzi-Aktionen. Wochenlang habe Edwards zum Beispiel im karibischen Unterholz gelegen, um Diana im Bikini zu fotografieren.
Seine Einlage am Autofenster sieht Arthur Edwards seit Dianas Tod sehr selbstkritisch. „Es hätte ja auch schon da ein Unfall passieren können“, sagt er.
Romuald Rat entscheidet, die rechte Hintertür aufzumachen: „Ich wollte helfen. Ich weiß über Erste Hilfe Bescheid. Ich sah Dodi al Fayed zusammengesackt auf dem Rücksitz, mit dem Gesicht zu mir, die Augen halb offen. Man konnte nichts mehr für ihn tun. Die Prinzessin war auf dem Boden zwischen zwei Sitzen. Ich wollte ihren Puls fühlen. Als ich sie berührte, begann sie zu stöhnen. Ich sagte zu ihr auf Englisch: Bleiben Sie ruhig, der Arzt kommt. Genau in dem Augenblick begann der Bodyguard sich heftig in seinem Sitz zu winden. Ich stand auf, um nach ihm zu sehen. Sein Gesicht war furchtbar verletzt. Ich berührte ihn sacht an der Wange und am Kopf, um ihn wissen zu lassen, dass ich da war.“
Martinez: „Ich versuchte Diana zu kriegen. Ich musste ins Auto zoomen, um sie zu kriegen.“
Martinez und Rat tauschen Beleidigungen aus. Rat befiehlt Martinez, zurückzutreten und keine Fotos vom Innern des Wagens zu machen. Martinez sagt ,fuck off’.
Martinez: „Wir waren alle gestresst in dem Moment. Unsere einzige Reaktion war das Bemühen, nahe dran zu bleiben. Der Einzige, der ins Auto ging, war Rat. Ich denke, er ist ein guter Kerl. Er tat seinen Job ohne böse Absicht. Sie müssen berücksichtigen: Wir machen einen guten Job. Wir machen Bilder von Filmstars, von Sängern… Es stimmt, wir haben den Verwundeten nicht geholfen. Vielleicht aus Bescheidenheit. Es ist ein Zeichen großer Arroganz, Leuten zu Hilfe zu kommen, die wir noch Minuten zuvor verfolgt hatten. Ich war wie paralysiert von der Beziehung zwischen mir und den Leuten in dem Auto.“
Arthur Edwards, der „Royal Photographer“ der „Sun“ kann es sich auf Grund seiner Prominenz erlauben, anzuprangern, wovon sein Arbeitgeber ansonsten profitiert. Die Art, wie zum Beispiel Prinz Williams Freundin Kate Middleton von Paparazzi behandelt worden sei, hält Edwards für skandalös. „Einer jungen Frau rund um die Uhr aufzulauern, das geht nicht. Muss erst wieder ein Unfall passieren, bevor das aufhört?“ Er selbst rücke nur dann aus, „wenn es wirklich eine Nachricht gibt“, öffentliches Interesse. Dazu gehört seiner Meinung nach durchaus, wenn eine Prinzessin einen neuen Freund hat. Arthur Edwards saß zum Beispiel im wahrsten Sinne des Wortes mit den Paparazzi in einem Boot, als Diana kurz vor ihrem Tod mit dem Milliardärssohn Dodi durchs Mittelmeer kreuzte. Edwards erzählt, wie die Prinzessin die Fotografen bat, nicht so aufdringlich zu sein. Wie zum Dank warf sie sich bald darauf in Sichtweite in Pose. Es war ein Geben und Nehmen. Schließlich profitierte Diana ja auch von ihrer Prominenz.
Sébastien Dorzee, einer der beiden Polizeibeamten, die als Erste am Ort waren, sagt: „Da war eine Gruppe von zehn, 15 Fotografen, die Fotos machten. Die Blitze gingen los wie Maschinengewehre. Das Gesicht des Fahrgasts auf dem vorderen Sitz war sehr blutig. Ich erkannte, dass die Fotografen keine Bilder von ihm oder dem Fahrer machten, sondern vom hinteren Teil des Wagens, während die Tür ein wenig offen stand. Ich versuchte die Fotografen zurückzustoßen. In dem Handgemenge wurde ich mehrmals geschubst. Zu keinem Zeitpunkt kam einer der Fotografen, um zu helfen.“
Als Polizei und Notarzt nach ein paar Minuten eintrafen, wurden die Paparazzi bald festgenommen, aber später vom Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung entlastet. Auch Mitschuld am Unfall konnte ihnen nicht nachgewiesen werden.
Dorzee erzählt weiter: „Die Prinzessin hatte eine halbe Drehung gemacht. Sie konnte nun ihren Begleiter vorne sehen. Ich denke, sie sagte ,Mein Gott’, als sie sah, dass ihr Freund tot war. Sie hielt sich den Magen. Sie muss starke Schmerzen gehabt haben. Ich versuchte, mich ins Auto zu lehnen, um die Fotografen davon abzuhalten, mehr Fotos zu schießen. Sie wandte den Kopf nach vorne und sah den Fahrer. Sie wurde ganz aufgeregt.“
Rats Fahrer, Stéphane Darmon, über seine Kollegen: Ich setzte mich für einen Augenblick hin auf den Gehweg. Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund wegen der Fotografen. Ich konnte es nicht ertragen, dass sie Fotos machten.“
Um null Uhr 32 kommt die Ambulanz. Der Arzt Jean-Marc Martino schildert seine Beobachtungen so.
„Ich sah auf dem Boden des Autos eine Frau, die ich als Prinzessin Diana erkannte. Sie war aufgeregt und weinte und schien nicht zu verstehen, was ich zu ihr sagte. Sie war in einer ,medinisch abnormalen’ Lage zwischen Vordersitz und Rücksitz. Wir holten sie da unter Schwierigkeiten, aber Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen und mit Hilfe der Feuerwehrmänner heraus. Trotzdem erlitt sie, als wir es gerade geschafft hatten, einen Herzstillstand.“
Es ist kurz vor halb zwei Uhr morgens. Es hat fast eine Stunde gedauert, bis die Prinzessin aus dem Wrack befreit und der Herzstillstand behandelt war.
Arthur Edwards fährt nach seinem Einsatz im Tunnel weiter ins Krankenhaus. An einem Seiteneingang fotografiert er später, wie der Sarg mit der toten Prinzessin vorbeigetragen wird. Als er davon erzählt, klingt er gar nicht mehr kühl routiniert. Seine hohe Stirn verfärbt sich. „Ich war erschüttert und habe geweint.“ Doch er wollte seine Bilder auf den Weg bringen. Die Redaktion wartete. „Es war eine merkwürdige Mischung aus Routine und Gefühl“, sagt er im Rückblick. Zurück auf der Straße beschimpfte ihn ein Taxifahrer als Mörder. Edwards fand das ungerecht. „Ich empfand doch auch Schmerz.“ Schließlich habe er die Prinzessin gut gekannt. „Ich hatte sie 16 Jahre lang fotografiert, und jetzt war sie tot.“
„16 Jahre lang fotografiert“ ist untertrieben. Arthur Edwards war der Diana-Fotograf schlechthin. Die Prinzessin nannte ihn „our Arthur“ (unser Arthur). Er hatte das erste Pressefoto von ihr gemacht, bei einem Polospiel 1980 in Sussex. Schon damals habe sie gern für ihn posiert, erzählt Arthur Edwards. Er habe immer eine gute Beziehung zu ihr gehabt, aber auch zu den anderen Royals. Darauf legt er Wert. Denn das brachte ihm den einen oder anderen Tipp aus den königlichen Palästen ein, so dass er nicht selten vor der Konkurrenz wusste, wo sich welcher Royal wann aufhielt.
Seit den 70er Jahren arbeitet Arthur Edwards bei der „Sun“. Er war wohl der erste „Royal Photographer“ weltweit, der Erste, der sich in seiner Arbeit voll und ganz auf das Königshaus konzentrieren konnte. „Ich war in mehr als hundert Ländern mit den Royals unterwegs“, sagt Arthur Edwards. Wie wichtig die Windsors für das Boulevardblatt sind, zeigen die Schlagzeilen auf den Titelseiten, die in vergrößerten Kopien an den Wänden in der Redaktion hängen: 22. Juni 1982: „It's a boy“ zu Prinz Williams Geburt; 12. Juli 1996: „Divorce Today“ zur Scheidung von Charles und Diana; 13. Januar 2006: „Harry the Nazi“, nachdem der Prinz mit Hakenkreuzbinde bei einer Party auftauchte.
Am 31. August 1997 machte Romuald Rat der „Sun“ ein Angebot. Fotos der Prinzessin im Auto, „aufgenommen aus 20 Fuß Entfernung“, seien für 300 000 Pfund (heute rund 450 000 Euro) zu haben. „Er hat gesagt, ich könne die Bilder einen Tag lang exklusiv haben“, erzählte Ken Lennox, damals Fotochef der „Sun“ später der Diana-Biografin Tina Brown. Sogar noch während Diana um ihr Leben kämpfte, habe man sie exklusiv verkauft, schreibt Brown. Gedruckt wurde von alldem nichts. Die Bilder waren selbst für die „Sun“ zu intim und schockierend. Und angeblich hatten die Journalisten der Boulevardblätter schon in jener Nacht eine Ahnung, dass sich die Stimmung des Volkes draußen gegen sie wenden würde als Mitschuldige an Dianas Tod.
Ken Lennox sah Romuald Rats Fotos und ordnete an, sämtliche Kopien aus dem Computersystem zu entfernen. So hat er es Tina Brown zumindest erzählt. Der Chefredakteur der Konkurrenz, Piers Morgan vom „Daily Mirror“ will einem Fotografen, der seinem Blatt Unfallbilder anbot, Folgendes mit auf den Weg gegeben haben: „Hör zu, Kumpel. Diana wurde wahrscheinlich von den verdammten Paparazzi umgebracht, und du willst mir Bilder ihrer noch warmen Leiche verscherbeln.“ Er solle sofort überall anrufen und sagen, dass diese Bilder nicht zur Veröffentlichung bestimmt seien. „Wenn ich du wäre, würde ich das Land verlassen. Denn wenn die Leute herausfinden, was du getan hast, werden sie kommen und dich kriegen.“
Arthur Edwards glaubt, dass in jener Nacht von Paris das Schlimmste hätte verhindert werden können. Hätte nur Diana selbst Regie geführt und nicht die Sicherheitsleute des Ritz, das Dodi al Fayeds Vater gehört. „Diana ließ sich von Fotografen nicht aus der Ruhe bringen. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie sicher kurz vor dem Hotel posiert.“ Auf den Bildern vom Abend aber wirke sie unzufrieden mit dem, was da geschah. „Ich kannte diesen Gesichtsausdruck sehr gut“, sagt Arthur Edwards. Er hoffe, dass sie zumindest in den Wochen zuvor noch eine schöne Zeit hatte. „Ich wünsche ihr so sehr, dass sie nicht unglücklich gestorben ist.“
Um vier Uhr früh in jener Nacht hatten die Ärzte im Krankenhaus Pitié-Salpêtrière Prinzessin Dianas Tod erklärt.
Die Aussagen der Paparazzi und Polizisten entstammen gekürzt einer Dokumentation, die der französische L'Express zusammengetragen und mit Ergebnissen einer französischen Enquetekommission ergänzt hat. Übersetzung: Christine-Felice Röhrs.
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