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Der Australier Simon Whitlock betritt unter großem Jubel die Halle.
© AFP

WM in London: Dart: "Wir sind arm und wir wissen das"

Rund 60000 Zuschauer hat die Dart-Weltmeisterschaft seit Mitte Dezember wieder in den Alexandra Palace im Nordwesten Londons gelockt. Auch zum Finale heute Abend kommen sie nicht allein wegen des Sports, sondern wegen der bierseligen Stimmung auf den Rängen.

Tok, tok, tok – schnell und präzise landen die Pfeile in der Dartscheibe. Sechs Kameras fangen die Gesichter der Spieler, die Scheibe, die Fans und - in der Superzeitlupe - die Pfeile im Flug ein. Aus dem Kneipensport ist längst ein fernsehtauglicher Event geworden. Wie die Boxer haben alle Spieler ihre Einlauf-Hymne, und prägnante Spitznamen wie „The Power“ Phil Taylor. Der „ewige“ Weltmeister ist in diesem Jahr allerdings bereits in Runde zwei ausgeschieden. Bei einem Glas Wasser kämpfen auf der Bühne seine Kollegen der Professional Dart Corporation (PDC), dem wichtigsten Dart-Verband, um insgesamt eine Million Pfund Preisgeld. Allein der Sieger bekommt 200 000 Pfund. Das ist der Menge vor ihren großen Bierkrügen im „Ally Pally“ allerdings zeitweilig egal. Der Saal ist Pub geblieben.

Die Fans haben sich gruppenweise als Tiger, als Roboter oder als Ernie und Bert aus der Sesamstraße verkleidet. Grellgrüne Drachen drängen ebenso auf die Ränge wie eine Gruppe aus Super- und Bat-Männern. Kostüme erhöhen den Spaß und die Chance, für ein oder zwei Sekunden von der Saalkamera fürs Fernsehen eingefangen zu werden.

„Boring, boring tables“ singen sie von den Rängen den Zuschauern an den „langweiligen“ Tischen zu, wenn es ihnen dort zu ruhig erscheint, und bieten ihnen an: „Shall we sing a song for you?!“ Jeweils zu auch in deutschen Stadien bekannten Melodien johlt es dann selbstbewusst von den billigen Plätzen: „We are poor and we know we are.“ Wer im richtigen Moment „Stand up, if you love the darts“ anstimmt, kann den ganzen Saal in einen Chor verwandeln.

Ian ist mit sechs Freunden aus Schottland gekommen, als Schlümpfe haben sie sich verkleidet, weil blau und weiß die Farben ihrer Heimat sind. Natürlich singen sie Lieder auf ihren Landsmann Gary Anderson, die Nummer Drei der Weltrangliste. Gleichwohl wird jeder Spieler bejubelt, der mit drei Darts das Maximum von 180 Punkten schafft, das mit einer Aufnahme zu erreichen ist. 2500 Kehlen versuchen dann die rauchige Stimme zu imitieren, mit der der legendäre Ansager Russ Bray solche Punktzahlen verkündet. Noch lauter bebt die Halle, wenn ein Spieler einen 9-Darter schafft, dem Minimum an Pfeilen die es braucht, um von 501 Punkten auf Null zu kommen, wobei der letzte im passenden Doppelfeld stecken muss.

Die Regeln sind eine Besonderheit für sich. Es gibt nicht viele Spiele, bei denen rückwärts gezählt wird und das mit ziemlich irrationalen Zahlen.

Darts – das ist ein ehrlicher Sport, sagt Ian. Der Pfeil ist entweder im anvisierten Feld – oder halt draußen. Kein Gejammer ums Wetter, kein Hadern mit dem Schiedsrichter. „Entweder warst Du heute gut, oder Dein Gegner war halt besser.“ Beim Dart zollen gute Verlierer dem Sieger Respekt, sagt Ian. Ein Händedruck, eine kurze Umarmung, ein Lächeln ins Publikum. Die meisten Dartspieler sind gute Verlierer. Solche gebe es in den Fußballstadien leider schon lange nicht mehr, sagt Ian. Und Bier sei dort sowieso längst verboten.

Ob Du triffst oder nicht, sagt Ian, es spielt sich alles in deinem Kopf ab. Wie beim Elfmeterschießen. Dann wundert er sich lachend, warum die Deutschen noch nicht die Dart-Weltrangliste erobert haben. Er füllt die Becher von Wayne und dessen beiden Kumpanan. Die drei Londoner sind, was Fußball angeht, eigentlich bekennende Arsenal-Anhänger. Aber die Stimmung im Stadion sei mit der hier im „Ally Pally“ schon lange nicht mehr vergleichbar.

Draußen vor der Halle funkeln in der Ferne die Lichter der Londoner Skyline. Hier im Nordwesten der Stadt aber sind sie so weit entfernt wie die russischen Milliardäre, die französische Stars für englische Fußballclubs einkaufen. Während der Dart-WM ist das Publikum im „Ally Pally“ vor allem weiß und britisch, und sie haben einen leichten Bauch, wie die meisten Dart-Profis auf der Bühne, gegen die sie vielleicht vor einigen Jahren  noch im heimatlichen  Pub gespielt haben. Hier dürfen sie auf den Rängen stehen und das englische Bier trinken, bis sie sich die Kehle aus dem Hals gesungen haben. Oder müde auf dem Sitz einschlafen. Wie der Schlumpf Ian. Fast hätte er den Zwischenrunden-Sieg seines Landsmanns Anderson verpasst.                 

Andreas Frost

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