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Trümmer der abgestürzten Germanwings-Maschine.
© dpa
Update

Germanwings-Absturz: Co-Pilot vor Berufsantritt wegen Selbstmordgefahr in Behandlung

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat nun erstmals offiziell bestätigt, dass der Co-Pilot der abgestürzten Germanwings-Maschine in "psychotherapeutischer Behandlung" und sogar selbstmordgefährdet war. Das befeuert die Debatte um die ärztliche Schweigepflicht neu.

Der Co-Pilot der Germanwings-Maschine Andreas Lubitz war als selbstmordgefährdet eingestuft und in psychotherapeutischer Behandlung - bevor er den Pilotenschein erwarb. Das hat die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft am Montag mitgeteilt. Ob die Behandlung erfolgte, während Lubitz seine Ausbildung zum Berufspiloten unterbrach, blieb unklar.

Bei seinen Arztbesuchen in letzter Zeit sei ihm jedoch weder Selbst- noch Fremdgefährdung attestiert worden. Hinweise auf ein organisches Leiden gebe es in den ärztlichen Dokumentationen bislang nicht. Auch fehlten nach wie vor belegbare Hinweise auf eine Ankündigung oder ein Bekenntnis einer solchen Tat. (Hier die Erklärung der Staatsanwaltschaft im Wortlaut)

Fünf Arztpraxen durchsucht

Seit Montag hat die Ermittlungsbehörde nun auch Zugriff auf Krankenhaus-Akten über den Co-Piloten, wie eine Sprecherin der Uniklinik Düsseldorf sagte. Der 27-Jährige, der nach bisherigen Erkenntnissen den Airbus mit 150 Menschen an Bord absichtlich abstürzen ließ, war vor einigen Wochen als Patient an das Uniklinikum gekommen. Dabei ging es den Angaben zufolge um "diagnostische Abklärungen", die seitens der Uniklinik aber bislang offiziell nicht näher erläutert wurden. Nach Unterlagen der Ermittlungsbehörden, die dem Tagesspiegel vorliegen, litt Andreas Lubitz an einer psychosomatischen Erkrankung, für den Unglückstag war er krankgeschrieben. Eine entsprechendes zerrissenes Dokument hatten die Ermittler Ende vergangener Woche bei der Durchsuchung der Wohnung des Co-Piloten sichergestellt. Am vergangenen Freitag waren nach Angaben aus Ermittlerkreisen auch fünf Arztpraxen durchsucht worden, die der Co-Pilot aufgesucht hatte. Die dort sichergestellten Krankenakten werden jetzt ebenfalls ausgewertet.

Derweil sprach sich Andrea Voßhoff, Datenschutzbeauftrage der Bundesregierung, gegen eine Aufweichung des Datenschutzes bei Patienten aus. "Das Flugzeugunglück und die bislang bekannt gewordenen Hintergründe dürfen nicht in voreilige Forderungen zur Lockerung des Datenschutzes münden", sagte Voßhoff dem Tagesspiegel. "Insbesondere solange nicht alle Informationen ausgewertet wurden, wäre es verfehlt, den hohen Schutz, welchen gerade Gesundheitsdaten zu Recht genießen, in Frage zu stellen." Es bedürfe einer einer sorgfältigen Abwägung, die nicht erfolgen könne, solange nicht alle Zusammenhänge bekannt sind, so Voßhoff weiter.

Bis zu diesem Montag sind 325 Familienangehörige und Freunde der 150 Opfer der Germanwings-Flugzeugkatastrophe nach Seynes-Les-Alpes gereist. Bereits Ende vergangener Woche waren viele Angehörige der Opfer dorthin gekommen. Da die meisten Fluggäste aus Deutschland und Spanien stammen, sind vor allem deutsche und spanische Familienangehörige in die französischen Alpen gereist, aber auch Angehörige aus Mexiko, Japan, Kolumbien, Venezuela oder Argentinien. Das sagte Germanwings-Geschäftsführer Oliver Wagner am Montag. Wagner erinnerte bei einer Pressekonferenz zudem daran, dass Germanwings eine Soforthilfe für jede Familie in Höhe von 50.000 Euro beschlossen habe. Dieser Betrag werde außerdem nicht von möglichen späteren Schadenersatz-Zahlungen abgezogen.

In einem Hotel in Marseille kümmern sich seit Samstag 90 Mitarbeiter der Germanwings um die Angehörigen, die zur Absturzstelle reisen wollen. Sie nehmen die Trauernden in Empfang und begleiten sie auch zum Unglücksort. Zum Team gehören demnach mindestens zehn Psychologen.

Experten haben inzwischen DNA von 78 Opfern gesichert

Am Absturzort in den französischen Alpen konzentriert sich derweil die Arbeit auf die Suche nach dem zweiten Flugschreiber der Maschine sowie auf die weitere Identifikation der Opfer der Katastrophe. Von den auf dem Flugschreiber gespeicherten Daten erhoffen sich die Ermittler weiteren Aufschluss darüber, was an Bord des Airbus geschah, bevor die Maschine am vergangenen Dienstag mit 150 Menschen an Bord zerschellte. Bei der Lufthansa ist man allerdings skeptisch, ob der zweite Flugschreiber tatsächlich rasch Aufklärung über den Hergang des Absturzes bringen kann, da das Gerät möglicherweise stark beschädigt ist.

Die bisherigen Erkenntnisse über den Ablauf des Absturzes hat die Staatsanwaltschaft in Marseille aus den Daten des Stimmenrekorders aus dem Cockpit der Maschine rekonstruiert. Demnach hat der Co-Pilot von Flug 4U9252 die Maschine bewusst zum Absturz gebracht. Am Absturzort wurde bislang DNA von gut der Hälfte der 150 Opfer gesichert. Man habe „78 unterschiedliche DNA-Spuren“ identifiziert, sagte Staatsanwalt Brice Robin. Ob die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungsergebnisse über den offenbar psychisch kranken Co-Piloten bekanntgeben wird, war am Montagmorgen offen.

Lufthansa-Manager Kay Kratky verwies am Sonntagabend auf eine mögliche Beschädigung des Flugschreibers: Das Flugzeug sei mit Tempo 800 und damit mit unvorstellbarer Wucht an dem Bergmassiv nordöstlich von Marseille zerschellt, sagte Kratky in der ARD-Talkshow „Günther Jauch“. „Es könnte sein, dass die Belastung hier zu groß war und er keine Signale sendet.“

Nach einer nächtlichen Unterbrechung wurden die Arbeiten am Absturzort am Montagmorgen fortgesetzt. Gleichzeitig soll ein Weg ins Absturzgebiet in der Nähe des Örtchens Seyne-les-Alpes geschaffen werden. Der Zugang könnte Montagabend fertig sein und soll vor allem ermöglichen, schwereres Bergungsgerät in die Region zu bringen.
Bisher werden Ermittler und Bergungskräfte tagsüber mit Hubschraubern in das unwegsame Gebiet gebracht. Die Bergung der Toten habe absoluten Vorrang, sagte Staatsanwalt Brice Robin der Deutschen Presse-Agentur.

"Welt": Luftfahrtbundesamt lagen Hinweise auf regelmäßige medizinische Untersuchungen vor

Nach einem Bericht der "Welt" gab es zwar einen medizinischen Zusatzvermerk in der Lizenz-Akten des Co-Piloten beim Luftfahrtbundesamt (LBA). Das LBA hatte in der vergangenen Woche Medienberichten zufolge bestätigt, dass bei ihm eine Pilotenlizenz und ein Tauglichkeitszeugnis von Andreas Lubitz vorlägen. Darin gebe es den Hinweis "SIC", der auf eine regelmäßige medizinische Untersuchung hinweise. Genaues zu den zugrundeliegenden Diagnosen gehe aus Gründen des Datenschutzes aus den LBA-Unterlagen allerdings nicht hervor. Das bleibe allein in der Verantwortung der Ärzte.

Ob man bei der Lufthansa über den entsprechenden Vermerk informiert war, blieb unklar. Der "Welt" zufolge müsste der entsprechende Hinweis auf die medizinischen Untersuchungen auch in dem "Medical" genannten medizinischen Tauglichkeitszeugnis vermerkt sein, das die Fluggesellschaft "auf jeden Fall erhalten soll". Der Zeitung zufolge wollten sich weder LBA noch Lufthansa wegen der laufenden Ermittlungen dazu äußern.

CDU-Verkehrspolitiker Fischer für Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht

Als Konsequenz aus der Katastrophe fordert der CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht für sensible Berufe. „Piloten müssen zu Ärzten gehen, die vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Diese Ärzte müssen gegenüber dem Arbeitgeber und dem Luftfahrtbundesamt von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden sein“, sagte Fischer der „Rheinischen Post“. Der Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek (CDU) schlug eine Expertenkommission vor, die die Frage klären solle, wie mit ärztlichen Diagnosen bei Menschen in besonders verantwortungsvollen Berufen wie Piloten umzugehen sei.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, warnte dagegen vor einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht: "Die ärztliche Schweigepflicht ist ein sehr hohes Gut. Der Patient muss sich immer auf das besondere Vertrauensverhältnis zum Arzt verlassen können, nur dann wird er ehrlich und offen sein", sagte Spahn dem Tagesspiegel. "Ich kann nur davor warnen, hier aus spekulativen Annahmen heraus mit Schnellschüssen zu kommen", sagte der CDU-Politiker weiter.

Der Co-Pilot soll den Airbus A320 auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf absichtlich in einen Sinkflug versetzt haben, als der Kapitän das Cockpit kurz verließ. Die französische Staatsanwaltschaft schloss aus den Aufzeichnungen des Sprachrekorders, dass der 27-Jährige den Piloten aus dem Cockpit aussperrte. Französische Ermittler untersuchen allerdings weiterhin auch die Möglichkeit eines technischen Defekts der Maschine.

Die Arbeitgeberverbände würden eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht in bestimmten Fällen begrüßen. "Wenn Arbeitnehmer, die in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten, psychische Probleme haben, sollte eine unabhängige staatliche Stelle davon erfahren", sagte Thomas Prinz, Arbeitsrechtsexperte der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Dies könne etwa das Gesundheitsamt sein. Das gleiche gelte für Seuchen, die Kollegen oder die Öffentlichkeit gefährden könnten. Die ärztliche Schweigepflicht sei ein hohes Gut, betonte Prinz, "aber aus Sicht der Wirtschaft wäre es von Vorteil, wenn man bei drohenden Gefahren davon eine Ausnahme machen könnte."

Einer der Einsatzkräfte am Absturzort.
Einer der Einsatzkräfte am Absturzort.
© dpa

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