Genua: Brückeneinsturz womöglich durch Riss eines Tragseils
Experten suchen nach der Ursache für den Einsturz der Brücke in Genua. Zeugenaussagen weisen in Richtung Tragseile. Helfer suchen weiter nach Opfern des Unglücks.
Der Einsturz der Autobahnbrücke in Genua mit mindestens 38 Toten könnte nach Einschätzung eines Experten möglicherweise durch den Riss eines Tragseils verursacht worden sein. „Dies ist eine ernste Arbeitshypothese, aber nach drei Tagen ist es nur eine Hypothese“, sagte der Professor für Stahlbetonbau an der Universität Genua, Antonio Brencich, am Freitag vor Journalisten.
Brencich gehört einer vom Verkehrsministerium eingesetzten Unfallkommission an. Es gebe Zeugenaussagen und Videos, die in Richtung Tragseile wiesen, sagte er laut Nachrichtenagentur Ansa. Dagegen schloss er eine Überlastung der Brücke als Grund aus. „Der Regen, der Donner, die Überlastung sind fantasievolle Hypothesen, die nicht einmal in Erwägung gezogen werden.“
Der vierspurige, etwa 1200 Meter lange Polcevera-Viadukt in Genua setzt sich aus drei Einzelbrücken zusammen, von denen eine am Dienstag einstürzte. Die von den Pylonen zum Fahrbahnträger reichenden Stahlseile sind in eine Betonummantelung eingeschlossen. Diese soll vor Korrosion schützen.
Die Zeitung „La Repubblica“ schrieb, dass eine Studie des Polytechnikums Mailand schon 2017 Schwächen an den Seilen entdeckt habe. Die Zeitung zitierte außerdem Augenzeugen des Unglücks, die gesehen hätten, wie die Spannseile nachgaben. „Ich war am Steuer meines Autos und habe gesehen, wie die Seile an der Seite nachgaben. Gleich danach begann der Asphalt unter mir zu zittern wie bei einem Erdbeben“, sagte die Ärztin Valentina Galbusera der Zeitung.
Regierung verstärkt Druck auf Autobahnbetreiber
Das Verkehrsministerium leitete eine Untersuchung von Autostrade per l'Italia ein und forderte das Unternehmen am Donnerstagabend auf, binnen 15 Tagen nachzuweisen, dass es all seinen Instandhaltungspflichten nachgekommen sei. Die Gesellschaft müsse außerdem bestätigen, dass sie den Viadukt auf eigene Kosten vollständig wiederaufbauen werde.
Der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toto, und Verkehrsstaatssekretär Edoardo Rixi erklärten laut Nachrichtenagentur Ansa, Genua werde bis 2019 eine neue Autobahnbrücke haben. „Die Gesellschaft Autostrade wird sie bezahlen. Wer sie baut, werden wir abwägen“, sagte Rixi.
Rettungskräfte suchen weiter nach Vermissten
Hunderte Rettungshelfer suchten am Freitag in den Trümmern der eingestürzten Brücke von Genua weiter nach bis zu 20 Vermissten. In einem von der Feuerwehr veröffentlichten Video war am Freitag ein Helfer zu sehen, der in einen mühsam freigelegten Hohlraum zwischen Beton- und Stahlträgern ruft: "Ist da jemand? Ist da jemand?"
Nach Angaben von Genuas Staatsanwaltschaft könnten noch zehn bis 20 Menschen unter den Trümmern sein. Die Aussichten, Überlebende zu finden, gelten drei Tage nach dem Unglück allerdings als gering.
Hunderte Helfer versuchten unter Einsatz von Kränen und Bulldozern, die größten Trümmerteile der eingestürzten Brücke zu beseitigen. Spezialisten arbeiteten daran, die Trümmer in große Betonblöcke zu zerschneiden.
Einsatzkräfte haben derweil die auf den Resten der Brücke noch stehenden Fahrzeuge geborgen. Darunter war auch der grüne Lastwagen, dessen Fahrer bei der Katastrophe am Dienstag wenige Meter vor der Abbruchstelle bremsen konnte.
Die Behörden bereiteten für Samstag eine große Trauerfeier in Genua vor, die zeitgleich mit einer landesweiten Staatstrauer abgehalten werden soll. An der Veranstaltung soll auch Staatspräsident Sergio Mattarella teilnehmen.
Medienberichten zufolge wollen allerdings mehrere Familien nicht an der zentralen Trauerfeier teilnehmen, sondern ihre bei dem Brückeneinsturz ums Leben gekommenen Angehörigen lieber im kleinen Kreis beisetzen - unter diesen Opfern ist die 24 Jahre alte Stella Boccia, die zusammen mit ihrem Freund ums Leben kam. Einige Angehörige wollten auch aus Protest gegen die Regierung in Rom nicht an der Trauerfeier teilnehmen, der sie eine Mitverantwortung für das Unglück zuweisen. (dpa, AFP)
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