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Harald Höppner auf seinem Kutter.
© Malte Christians/dpa

Harald Höppner: Brandenburger will Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten

Mit einer spontanen Schweigeminute bei Günther Jauch hat Harald Höppner Millionen TV-Zuschauer bewegt. Vor einigen Wochen haben wir den Brandenburger, der mit einem Kutter Flüchtlinge auf dem Mittelmeer retten will, porträtiert. Hier können Sie den Text nachlesen.

Es war im vergangenen November, Berlin feierte das Jubiläum des Mauerfalls – und alle sprachen vom Schicksal der DDR-Flüchtlinge, damals, vor vielen Jahren. Harald Höppner aber dachte auch an jetzt, an heute, an all die Menschen, die jeden Tag auf dem Mittelmeer ihr Leben riskieren, um Europa zu erreichen. Dann hatte er die wohl verrückteste Idee in 41 Lebensjahren.

Er, der sich selbst eine Landratte nennt, der keinen Kapitän unter seinen Vorfahren hat, beschloss, ein Schiff zu kaufen, einen Haufen freiwilliger Seemänner anzuheuern, aufs Meer zu fahren und den Tod der Flüchtlinge, wann immer möglich, zu verhindern. Schnell wurde die fixe Idee zu einem Plan. Er nannte ihn „Sea Watch“ – Seewache.

Heute, vier Monate später, sagt Höppner, ein großer, schlaksiger Mann mit wuscheligen Haaren, der am liebsten ausgeleierte Jeans und Pulli trägt: „Wenn ich das jetzt nicht mache, würde ich es mein Leben lang bereuen.“

Er sagt immer wir

Gerade bindet er, der in Mahlsdorf groß geworden ist, auf seinem Hof im 300-Einwohner-Dorf Tempelfelde im Nordosten Berlins vier Wassertanks auf seinen knallbunt bemalten Unimog, einen Kleinlaster mit Allradantrieb und Wohnwagenaufsatz. In diesem Wagen sind die Höppners mit ihren drei Söhnen vor ein paar Jahren nach Indien und zurück gefahren, der Kleinste war da gerade ein Jahr alt. Mit 80 Stundenkilometern, schneller kann der Unimog nicht. In ein paar Stunden wird Höppner in diesem Tempo die vier Wassertanks zum Hamburger Hafen fahren. Denn dort liegt der dunkelblaue Kutter mit dem weißen Deck, den er im vergangenen Dezember gekauft hat. Auf dem Schiff arbeiten schon seit Wochen freiwillige Schlosser, Schifffahrtsingenieure und Mechaniker.

Höppner zieht prüfend an einem der Seile, die sich um den Wagen spannen, nickt zufrieden. „Wir brauchen viel Süßwasser auf dem Meer“, sagt er fröhlich. Er sagt immer wir, nie ich. „Für die Mannschaft und für die Flüchtlinge.“

Von Mai an, wenn die Luft wärmer und das Meer ruhiger ist, wenn wieder besonders viele Flüchtlinge nach Europa aufbrechen, wird Höppners Schiff zwischen Malta und der libyschen Küste nach Booten Ausschau halten, erste Hilfe leisten, die Seenotrettung alarmieren, die deutsche Öffentlichkeit informieren. Mindestens drei Monate lang soll das Boot unterwegs sein. Alle zwei Wochen wird die Mannschaft in dieser Zeit in Malta wechseln, immer wird mindestens ein Kapitän, ein Arzt und ein Journalist an Bord sein.

Drei Monate, so lange reicht das Geld

Drei Monate, so lange reicht das Geld der Höppners erst mal. Wie viel sie genau in das Projekt investieren, wollen sie nicht sagen. In jedem Fall sind ihre Ressourcen knapp bemessen. Kosten für ihre Flüge nach Malta müssen die Freiwilligen selbst tragen.

Das Schiff, das bald "Sea Watch" heißen soll.
Das Schiff, das bald "Sea Watch" heißen soll.
© epd

Ihr Geld haben die Höppners mit einem Laden verdient, in dem sie Kleidung, Möbel und Krimskrams aus Asien und Südamerika verkaufen. Die Idee dazu kam Harald Höppner vor 20 Jahren auf einem Markt in London, bald darauf stiegen seine Frau und ein Freund ein. Mittlerweile betreiben die drei zwei Geschäfte in Berlin, außerdem einen Onlinehandel.

„Mein Mann tickt ganz anders als die meisten Menschen, die ich kenne“, sagt Tanja Höppner, 42, eine kleine, energische Frau mit kurzen, schwarzen Haaren und goldenem Nasenpiercing. Seit 17 Jahren leben und arbeiten die beiden zusammen, davor hat sie mal Jura in ihrer Heimatstadt Dessau studiert. „Wenn er sich etwas vornimmt, dann verengt sich sein Fokus“ – sie öffnet die Arme weit und führt sie dann vor dem Gesicht zusammen – „und er konzentriert seine Kraft ganz und gar auf diese eine Sache.“

Als Höppners Entschluss fiel, war gerade „Mare Nostrum“ eingestellt worden

Höppners, die von sich selber sagen, sie seien „eher unpolitisch“, erzählen, wie sie mit zwei Freunden bei einer Flasche Wein am Küchentisch saßen. Schon oft hatten sie über die Unglücke im Mittelmeer gesprochen. An jenem Abend im vergangenen November aber fiel ein Satz, der etwas in Bewegung setzen sollte. Ein Freund sagte halb im Spaß, halb im Ernst: „Damit die Flüchtlinge nicht ertrinken, müsste man mit einem Frachter nach Libyen fahren und sie abholen.“ Allen war natürlich klar, dass das illegal ist, sie wären dann Schlepper. Also spannen sie weiter, sprachen von privaten Segeljachten, die den Job übernehmen sollten. Und dann hatte Harald Höppner diese Idee.

Neben Tanja Höppner am Küchentisch sitzen jetzt ihr 15-jähriger Sohn Moritz und ein befreundetes Paar. Die Freundin sagt: „Wenn irgendein anderer Freund von so einem Projekt erzählt hätte, hätte ich gedacht: mal schauen, ob das klappt. Bei Harald wusste ich sofort: Der zieht das durch.“ Moritz sagt: „Papa kriegt immer alles irgendwie hin.“ Dass Harald Höppner bis dahin noch nie auf einem Hochseeboot gewesen war, dass er nicht mal wusste, ob er leicht seekrank werden würde, störte niemanden.

„Das ist vielleicht ’ne verrückte Idee. Aber ich bin Realist“, sagt Harald Höppner. „Mir ist klar geworden, ich kann etwas tun, also tue ich was.“ Er sagt: „Müsste, könnte, sollte – diese Wörter mag ich nicht.“

Die Suche nach dem geeigneten Schiff

Im November, als Höppners Entschluss fiel, war gerade „Mare Nostrum“ eingestellt worden. Jene Rettungsmission, die Italien gestartet hatte, nachdem am 3. Oktober 2013 fast 400 Flüchtlinge vor der Insel Lampedusa ertrunken waren. In den folgenden zwölf Monaten holte die italienische Armee nach eigenen Angaben mehr als 100 000 Bootsflüchtlinge aus dem Wasser. Trotz der Hilfsaktion kamen mindestens 3000 weitere ums Leben. In diesem Jahr sind schon mindestens 400 Flüchtlinge gestorben, vier Mal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Europäische Union hat mit „Triton“ zwar eine Nachfolgemission beschlossen. Deren vorrangiges Ziel ist es aber, illegale Einwanderer abzuhalten – nicht, sie zu retten.

Nächtelang suchte Höppner im Internet nach dem geeigneten Schiff, zwei Mal flog er dafür nach Italien, zwei Mal nach Holland, er reiste quer durch Deutschland. Am zweiten Weihnachtsfeiertag kaufte er in Amsterdam einen Stahlkutter. 98 Jahre alt, 21 Meter lang, 180 Tonnen schwer, hochseetauglich, mit einer Kajüte, in der acht Menschen Platz haben.

Jetzt fehlen noch Ärzte und Kapitäne

Schon davor hatte er eine Webseite programmiert, über die er nach freiwilligen Helfern suchte; er kontaktierte Organisationen wie „Watch the Med“, „Schau aufs Mittelmeer“, die in Deutschland Notrufe von Flüchtlingen in Seenot annehmen, an staatliche Stellen weiterleiten und anschließend Rettungsaktionen dokumentieren – oder die unterlassene Hilfeleistung. Innerhalb weniger Tagen meldeten sich die Ersten bei ihm. Am vergangenen Wochenende musste Höppner das Anmeldeformular schließlich ausschalten. Mehr als 200 Freiwillige wollen ihm bereits helfen. Für die ersten drei Monate braucht er aber weniger als 60. Jetzt fehlen nur noch einige Ärzte und ein paar Kapitäne.

Über „Watch the Med“ fand Höppner auch Tilmann Holsten, Kapitän und Besitzer einer 110 Jahre alten Fregatte. Holsten verfolgt seit dem Unglück vor Lampedusa im Oktober 2013 das Sterben im Mittelmeer. Mit jedem Toten wächst seine Empörung über die Tatenlosigkeit der Politik. Als Harald Höppner ihn anrief, dachte er: „Endlich gibt mir jemand ein Werkzeug, selbst etwas zu tun.“ Und: „Oh Gott, oh Gott, dass die mal keinen Mist bauen.“ Seitdem gehört er zu „Sea Watch“. Er half Höppner auch bei der Suche nach dem Schiff und gehört zu jenen Helfern, die daran seit Dezember werkeln und arbeiten.

Im Bekanntenkreis reagierten viele zurückhaltend

Nun, da sie das Projekt vergangene Woche erstmals Journalisten vorgestellt haben, klingelt Harald Höppners Telefon mehrmals in der Stunde. Er kommt nicht mehr hinterher, seine E-Mails zu beantworten, hunderte waren es in den vergangenen Tagen. Einige wollen über ihn und sein Projekt berichten, noch mehr Sanitäter, Skipper, Mechaniker, Schlosser wollen mitfahren oder an Land helfen, andere möchten spenden, kritisieren, loben. „Das ist Spitze! Endlich fängt jemand an, was zu tun“, schreibt ein junger Mann. „Ich bin für alle Handlangerdienste zu haben.“

In den Monaten, bevor sie ihren Plan fassten, versuchten die Höppners beim Abendessen immer wieder, die Perspektive der Flüchtlinge einzunehmen. Es begann mit Tanja Höppners Frage: „Wieso riskieren eigentlich so viele Menschen auf dem Mittelmeer ihr Leben?“ Sie recherchierten und fanden heraus: Asyl kann man nur auf europäischem Boden beantragen – außer man gehört zu den wenigen syrischen Kontingentflüchtlingen. Da die Landroute für die meisten Flüchtlinge zu lang und zu teuer ist, versuchen es so viele übers Meer.

"Die Sache ist doch ganz simpel"

Im Bekanntenkreis reagierten viele zurückhaltend, als sie vom neuen Projekt der Höppners erfuhren. „Wieso helft ihr nicht den Flüchtlingen, die schon hier sind, statt noch mehr zu holen?“ fragte ein Freund. Ein anderer sagte: „Mit so einer Aktion lockt ihr doch noch mehr Menschen an.“

Es sei natürlich wichtig, den Flüchtlingen in Deutschland zu helfen, sagt Harald Höppner. Er will aber nicht über Einwanderungspolitik reden, darüber, wer ein Recht hat zu bleiben oder nicht. Das sei hohe Politik. Er sagt: „Ich sehe nur: Die Menschen kommen in jedem Fall, egal, ob wir da sind oder nicht, egal, was unsere Politiker entscheiden.“ Höppner spricht schnell, gestikuliert. „Die Sache ist doch ganz simpel: Wir dürfen die Menschen einfach nicht ertrinken lassen!“ Seine Stimme überschlägt sich fast. Tanja Höppner schaut ihren Mann an, wartet, ob er noch etwas sagen will. Dann ergänzt sie, ganz ruhig: „Damit muss doch auch jeder Kritiker der Einwanderung einverstanden sein.“

Die Politik hat sich bisher nicht für das Projekt „Sea Watch“ interessiert. Harald Höppner hat mehreren Abgeordneten E-Mails geschrieben, keiner hat sich gemeldet. „Greenpeace hat auch mal klein angefangen“, sagt er. Und: „Vielleicht kreuzt bald eine Flotte von privaten Jachten im Mittelmeer, um Bootsflüchtlingen zu helfen?“ Aber natürlich ist ihm klar, dass sein Projekt nur ein Anfang sein kann, dass die Politik handeln muss.

Ihr Gegner: Frontex

Höppner weiß, dass er nichts Illegales tun wird, weil auf dem Wasser jeder verpflichtet ist, Schiffbrüchigen beizustehen. Er hat sich auch bei den Anwälten erkundigt, die jene Seeleute der „Cap Anamur“ verteidigt haben, die 2004 Flüchtlinge im Mittelmeer aufnahmen und anschließend wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung angeklagt wurden. Mit den Küstenwachen wird er Kontakt aufnehmen, wenn sie auf dem Mittelmeer sind. Die Grenzschutzorganisation Frontex hingegen wollen sie gar nicht ansprechen. Die sehen sie eher als Gegner.

Höppner selbst fährt jede Woche für ein paar Tage nach Hamburg zu seinem Boot. Auf einem Schrottplatz für Schiffe in Dänemark fand er acht gebrauchte Rettungsinseln, mit Platz für je 60 Mann; er bestellte tausend Rettungsringe aus China und kaufte eine Satellitenanlage, so teuer wie ein Kleinwagen. Sie ist das Herz des Kutters, der nächste Woche auf den Namen „Sea Watch“ getauft wird. Ein Berufskapitän wird Anfang April damit losschippern Richtung Malta. Im Mai geht Harald Höppner dort an Bord.

Er denkt jetzt oft darüber nach, wie es sein wird, wenn die „Sea Watch“ dem ersten Flüchtlingsboot begegnet. Sein Boot ist zu klein, um Menschen an Bord zu nehmen. Aber das war ja auch nie der Plan. Die Mannschaft soll die Seenotrettung rufen, bei Bedarf die Rettungsinseln auswerfen, Essen verteilen, Verletzte betreuen, einfach da sein.

Doch was ist, wenn die Küstenwachen die Mission boykottieren? Was, wenn die Flüchtlinge – in Panik – versuchen, auf die „Sea Watch“ zu klettern? Was, wenn das Flüchtlingsboot kentert? Was wird mit ihm passieren, wenn Tote unter den Flüchtlingen sind? Harald Höppner sagt: „Wegschauen kann ich sowieso nicht mehr.“

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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