Panorama: Bill? Da stehst du doch drauf!
Die „Bravo“ wird morgen 50 Jahre alt. Wir sagen: Na, Glückwunsch! Unsere Autoren erinnern sich an ihr erstes Heft
50er Jahre: Ye Ye Ye
Wir Zonis als Teenager vor 50 Jahren, als drüben im Westen „Bravo“ erschien? War das nicht die Zeit, als Walter Ulbricht gegen das monopolkapitalistische „Ye Ye Ye“ wetterte? Unter dem Codewort „Bietels“ war der Klassenfeind in breiter Front angetreten, um die reinen Seelen unserer jungen Friedenskämpfer im Blauhemd zu unterminieren. Wir hatten jedenfalls ganz andere Sorgen, so richtig kuschelig war’s ja gerade nicht im Schützengraben des Kalten Krieges. Wir sollten eher egalweg „Bau auf, bau auf!“ singen und richtig ranklotzen und nebenbei zur Aufmunterung im Kino „Sturm über Asien“ und „Das Glockenspiel des Kreml“ schauen. Aber man konnte noch zur Verwandtschaft im Westen reisen. Und da hatten sie Speckseiten und Specksohlen, wunderbare Radios und Fernseher in den Schaufenstern, Elvis Presley auf Schallplatte, verrückten Rock ’n’ Roll und Freddy Quinn, also eine ganz andere Welt als die unsrige mit Fred Frohberg und Bärbel Wachholz. Da passte die „Bravo“ mit ihren Geschichten wie die Faust aufs Auge: Die einen fanden sie blöd, weil sie mit einem Schnittmusterbogen von Brigitte Bardots Busen nicht so viel anfangen konnten, andere wieder waren gerade darauf scharf und auf alles, was ihnen ihre so hygienische wie keimfreie und spießige Republik vorenthielt. So wurde „Bravo“, erst recht nach dem Mauerbau 1961, zum Schmuggelgut – wenngleich der Ost-Teenager später die intimen Ratschläge von Dr. Sommer beruhigt umblätterte. Er hatte sich seine Erfahrungen längst in den Dünen hinterm FKK-Strand geholt.
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Die 60er Jahre: Kommissar Fellatio
ER: Die „Bravo“ wird 50. Ich hab’ ein paar alte Titelbilder mitgebracht und…
SIE: …ooooooh, Pierre Brice als Winnetou. Den hatte ich als Starschnitt. Marie Versini als seine Apachenschwester auch. Ich habe die beiden aber nicht in meinem Zimmer aufgehängt, sie wurden in eine Mappe gelegt, und dann habe ich sie ab und an rausgeholt und angeguckt.
Er: Hier ist ein Titelbild aus dem Jahr 1966 - mit den vier Beatles drauf.
SIE: Die hatte ich auch. Und die Stones. Wichtig waren auch Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich, war ich ein Riesenfan von.
ER: (singt) Hideaway, lala… Bend it, bend it… Blödsinnige Texte. Hast du dir die „Bravo“-Hefte selbst gekauft?
SIE: Ich bin in den Zeitungsladen und hab drin geblättert, über welche Bands gibt es Geschichten, wer ist der Starschnitt? Wenn’s interessant war, hab ich’s gekauft. 60 Pfennig waren viel, aber vom Taschengeld machbar. Und du?
ER: Ich hab Zigaretten gekauft, die gab’s einzeln am Kiosk. Die Hoffnung war, mit Zigarette männlicher auszusehen.
SIE: Hm. Gut hast du ausgesehen, nur nicht männlich. Für mich waren als Mädchen mit 15 auch die Schminktipps wichtig. Welcher Puder passt zu dunklen Haaren, wie macht man die Augen größer? Aber in Wahrheit hat mich vor allem die Sexualaufklärung interessiert. Da waren immer Stellungen abgebildet, und in den katholischen Heftchen meiner Eltern stand nur: kriegt Kinder. Ich hab auch Begriffe auswendig gelernt, die ich nicht kannte, damit ich mich nicht blamiere: Französisch. Reiterstellung. Fellatio...
ER: Klingt wie der Fahnder in einem Katzenkrimi: Kommissar Fellatio ermittelt.
SIE: Blödmann. Es hat uns ja keiner gesagt, wie Sex geht. Also lag die dann offene „Bravo“ neben dem Bett. Wir haben dann zwischendurch nachgelesen, was man dabei gerade fühlen müsste. Ziemlich lustig, ich hab viel gelacht.
ER: Irre.
SIE: Sag mal, erinnerst du dich gar nicht? Du warst doch dabei!
Norbert Thomma, 54
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70er Jahre: Mamma Mia
Die Bay City Rollers, Sweet und natürlich der Doktor Sommer – alles Dinge, für die meine Eltern kein Verständnis hatten. So mit elf, zwölf Jahren entdeckte ich die bunte bravouröse Welt bei meiner älteren Cousine. Das konnte mich nicht kalt lassen, denn neben ein paar Singles – „Mamma Mia“ von Abba war meine erste – beschränkten sich meine visuellen Eindrücke von den Popstars doch auf die wenigen Male, als ich den hüpfenden Ilja Richter in seiner „disco“ mal sehen durfte. In Bravo aber gab es alles: Wichtige Star-Infos, bunte Bilder, halbnackte Busen und natürlich die „Posters“ – falsch eingedeutscht, das ist mir schon damals aufgefallen. Aber aufgehängt habe ich sie eh’ nicht. Die Bravo und ich, das war eine kurze heimliche Liebe im Keller, zwischen alten Umzugskartons. Da habe ich die Bravos vor meiner Mutter versteckt. Als ich sie dann zwei Jahre später nicht mehr verstecken musste, wurde die Bravo uninteressanter. Wie das halt manchmal so ist mit einer frühen Liebe. Claus Vetter, 41
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Die 80er: Unterschichtenzeugs
Jason Donovans nacktes Knie kam zur falschen Zeit. Teil 5 des Starschnitt-Posters gab’s ausgerechnet am 9. November. Der Riss in seinem rechten Jeansbein ging im Mauerfall unter. Ich kannte ihn nur von den Covern der „Bravo“, unser Fernseher hatte nur drei Programme (damit war ich die Einzige in der Schulklasse, welch’ Schmach!). Und im Fernsehen sah ich: Heulende Kinder in ungarischen Botschaften, Männer, die über Zäune klettern. Das war ARD. Jason Donovan war Privatfernsehen. „Das kommt uns nicht ins Haus!“, sagt mein Vater bis heute. Die Satellitenschüsseln waren damals monströs, eine Weile hatte ich sogar gedacht, der Vater meiner Freundin arbeite bei der Raumfahrt, wegen des weißen Riesendings auf der Garage. Sat1 gehörte in meinem linken Lehrer-Elternhaus zur gleichen Kategorie wie Barbies, Nutella und – ja, doch – „Bravo“: Unterschichtenzeugs eben. Anne Haeming, 2 8
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90er Jahre: Heavy Petting mit zehn
Boah, wie peinlich! Meine Schwester Nicole sollte im Minimarkt auf dem Campingplatz eigentlich nur „Normale“ kaufen („Schrippen“ versteht an der Küste niemand). Als sie wiederkam, fiel mir auf, dass sie eine „Bravo“ gekauft hatte. Ich war neugierig, Jungs haben ja immer nur „Popcorn“ oder „Poprocky“ gelesen (aber da stand nichts Spannendes über Knutschen, Heavy-Petting und – Igittigitt! – Tampons drin). Ich schaute also heimlich rein und sah – huch! – auf einer Doppelseite zwei stinknormale nackte 15-Jährige, die sich nicht unbedingt hätten ausziehen müssen. Die sahen irgendwie „unfertig“ aus. Ich drehte und wendete die „Bravo“, schaute mir genau den Busen an, die Schamhaare und dann – „Nein, wie süüüüüüß, mein kleiner Bruder schaut sich ein nacktes Mädchen an!“ – stand meine Schwester in der Tür und lachte mich aus (mich, den kleinen, unschuldigen, blonden Jungen im zarten Alter von zehn Jahren). Ein Trauma! Am nächsten Morgen bin ich zum Bäcker, ich kaufte die „Sportbild“. Die war meiner Schwester egal. Andre Görke, 26
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Heute: Kein Musikgeschmack
Seien wir doch mal ehrlich: Was soll eigentlich so toll sein an der Bravo? Die Texte über „Stars“ wie Tokio Hotel, die in fast jeder zweiten Ausgabe auf dem Titel sind? Oder die dämlichen Fotostorys? Vielleicht, dass die Bravo alle mit „Girls“ oder „Boys“ anredet? Das macht doch niemand, wer spricht denn bitte schön so!? Oder dieser Dr. Sommer! Also bitte, den kann man ja nur zu Hause lesen – ich würde ja auch nicht mit einem „Playboy“ im Bus sitzen ... Also, ich finde die Bravo jedenfalls ziemlich mies. Und Ahnung von Musik haben die auch nicht. Das beweisen jedenfalls die CD-Empfehlungen. Da denke ich ja, die hören die manchmal überhaupt nicht an. Franca Wolf , 13
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