Wohnen: Berlin brennt
Draußen knackige Kälte, drinnen bollert’s: In immer mehr Wohnungen stehen Öfen, die an einen offenen Kamin erinnern. In Zukunft sollen sie auch Wärme speichern.
Olavo Schneider fällt rückwärts in seinen Sessel und lächelt zufrieden – fast ein bisschen stolz. Gerade hat er Holz nachgelegt. Auf dem runden Stehtisch vor ihm steht eine Flasche Rotwein, aus der Ecke bollert sein Kaminofen. Eine mattschwarze, schlichte Tonne. Modell Aduro 1. „150 Zentimeter hoch/Vermicullitbrennraum für Hochtemperaturverbrennung/geeignet für Holz, Braunkohle und Holzbriketts/Heizleistung 6 kw“, sagt der Katalog. Das gemütliche Flackern hinter der Glasscheibe überstrahlt Gedanken an technische Details allerdings nachhaltig.
„Mein Nachbar hat schon seit Jahren einen Kaminofen“, sagt Schneider. Im vergangenen Sommer hat er sich auch einen besorgt. Der Grund: eine Mischung aus Nostalgie und Unabhängigkeitsstreben, sagt der 55-jährige Künstler aus Schöneberg.
Heizen mit Feuer, das kenne er noch aus seiner Kindheit. „Das steckt in mir drin“, sagt er. Deshalb läuft der Kaminofen jetzt auch fast jeden Tag. „Außerdem“, sagt Schneider, „fällt in meinem Haus jeden Winter zwei, drei Mal die Heizung aus.“ Mit dem Ofen kann ihm die unfreiwillige Heizpause jetzt egal sein.
Allerdings sei es wegen des gewaltigen Angebots nicht einfach gewesen, das richtige Modell zu finden. 30 oder 40 Öfen habe er sich im Internet und im Fachhandel angeschaut, bevor er sich entschied, sagt Olavo. Mit seinem sei er jetzt zufrieden. Es verleihe dem Raum etwas sehr Behagliches. Außerdem sei ins Feuer starren einfach eine schöne Sache.
Mit der Einstellung ist Olavo Schneider nicht alleine. Laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GFK) gab es in Deutschland im Jahr 2005 rund 3,5 Millionen und im Jahr 2010 bereits 4,45 Millionen Kaminöfen. Jene freistehenden und durch ein Ofenrohr mit dem Schornstein verbundenen Festbrennstofffeuerstätten mit Glasscheibe – so heißen sie korrekt. Vor gut 30 Jahren kamen sie aus Schweden nach Deutschland, heute sind sie in jedem Baumarkt zu finden.
Das wird auch noch eine Weile so bleiben, glaubt Michael Lüddecke, Verkäufer beim Fachhändler Feuer und Flamme, der unter anderem Filialen in Hamburg und Berlin betreibt. „Seit zehn Jahren nimmt der Absatz stetig zu“, sagt er.
Käufer seien vor allem Eigenheimbesitzer im Alter ab 30 Jahre aufwärts, wobei die Motive für die Anschaffung sowie Aufgabenteilung alle Klischees bestätigen: „Für viele Männer hat das Feuer eine archaische Faszination, Frauen interessieren sich gewöhnlich mehr für die zusätzliche Wärme.“ Sie seien es gewöhnlich auch, die am Ende entschieden, wie das Gerät aussehe. Gerade seien schlanke und hohe Modelle gefragt. Früher habe man es eher wuchtig gemocht. Kosten lassen sich die meisten einen solchen Ofen derzeit rund 1500 Euro. Mehr als das doppelte und dreifache auszugeben, ist allerdings kein Problem. Nur zum Vergleich: DVDs mit abgefilmtem Kaminfeuer für den heimischen Fernseher gibt es bei Internetkaufhäusern wie Amazon schon ab 4,99 Euro.
Olavo hat für seinen Ofen rund 1200 Euro bezahlt. Inklusive Rohre, ohne Montage. „Das konnte ich selbst“, sagt er und schenkt nochmal Wein nach. Wand aufstemmen, Rohr verkleben, das sei nicht so schwer. Der Schornsteinfeger habe das natürlich nachher abgenommen. Das muss sein.
„Es kommt immer mal wieder vor, dass die Schornsteine im Haus nicht für Kaminöfen geeignet sind“, sagt Lutz Gawenda, Schornsteinfegermeister und Mitglied der Technischen Abteilung der Berliner Schornsteinfeger-Innung. Vor dem Einbau müsse sich deshalb jeder eine Tauglichkeitsbescheinugung vom zuständigen Bezirksschornsteinfegermeister besorgen. Mieter bräuchten außerdem eine Genehmigung vom Eigentümer. „Probleme können zum Beispiel auftauchen, wenn unbenutzte Schornsteine zugeschüttet wurden, oder eine nachträglich gebaute Dachgeschosswohnung die Öffnung blockiert“, sagt Gawenda. An solche Schornsteine dürfen keine Feuerstätten angeschlossen werden. Macht man es trotzdem, kann es passieren, dass man sich selbst oder seinen Nachbarn ausräuchert. Gelegentlich seien auch einfach schon zu viele Öfen angeschlossen, weshalb man sich nicht zu früh in ein bestimmtes Modell vergucken sollte. „Es sind Schornstein und Raumgröße, die die Größe für den Ofen definieren, den man einbauen kann“, sagt Gawenda. Deshalb sei man gut beraten, sich nicht auf ein Gerät festzulegen, bevor die Details geklärt sind.
Neben dem Wunsch nach heimeliger Ästhetik treiben in den vergangenen Jahren aber auch Ökobewusstsein und eine gestiegene Nebenkostenabrechnung die Leute in die Läden. „Vor allem das Energiesparen rückt in den letzten fünf, sechs Jahren in den Vordergrund“, sagt Verkäufer Michael Lüddecke. Die Idee: Wenn der Ofen bollert, dann springt der Thermostat nicht an und man verbraucht weniger Gas oder Öl. Ganz moderne Kaminöfen können sogar Wasser erhitzen, das dann in die regulären Heizkörper weitergeleitet wird. Lüddecke rechnet mit künftig steigender Nachfrage nach diesen großen Modellen, die auch dem seit 2009 geltenden Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz genügen, das Eigentümer dazu verpflichtet, den Energiebedarf ihrer Neubauten anteilig mit erneuerbaren Energien zu decken.
Schornsteinfeger Gawenda merkt allerdings an, dass diese Geräte so viel Technik und Platz brauchen, dass sie in vielen neuen Einfamilienhäusern gar nicht eingebaut werden können.
Dass seit geraumer Zeit niemand mehr eine Wohnung mit Ofenheizung will, sich aber bereitwillig einen Kaminofen in selbige stellt, findet Gawenda jedenfalls nicht paradox. „Das ist etwas ganz anderes, ob ich so heizen muss oder kann“, sagt er. „Für einen Kaminofen muss man ja nicht täglich Kohlen aus dem Keller schleppen. Damit kann man heizen wenn man will – weil man es schön findet, oder ein wenig Geld sparen will.“
Ob man tatsächlich spart, hänge aber sehr vom eigenen Nutzungsverhalten ab und auch von woher und für welchen Preis man sein Holz bezieht. Etwa 70, 80 Euro für den Raummeter Holz muss man schon rechnen. Hat man keinen Platz zum Lagern, zahlt man für kleinere Portionssäcke im Baumarkt oder an der Tankstelle deutlich mehr. Zusätzliche Kosten entstehen durch die regelmäßig notwendige Reinigung der Rohre durch den Schornsteinfeger.
Olavo Schneider weiß noch nicht, ob er Geld spart. „Das wird die nächste Abrechnung zeigen.“ Er hat jetzt erstmal rund 200 Euro für zwei Raummeter Holz bezahlt. „Dafür wurde das aber auch raumgetrocknet und brennt besser als das aus dem Baumarkt“, erklärt er. Er lagert es jetzt in dem alten Dienstbotentreppenhaus hinter seiner Küche. Scheit an Scheit reiht sich dort vier Meter breit und mehr als 1,50 Meter hoch das Holz. Darüber: ein Bild von Bob Dylan. Derzeit wirft Schneider täglich sieben oder acht Scheite in den Kamin. Damit brenne der acht Stunden, sagt er. Er schätzt, dass sein Vorrat locker bis Ende März reicht.
Keine Nachteile? „Eigentlich nicht“, sagt Schneider. Natürlich speichere der Kaminofen die Wärme nicht wie ein Kachelofen. Wenn er aus ist, kühle er schnell ab. Aber das habe er gewusst. Was er festgestellt hat, ist lediglich, dass bei gutem Wetter im Sommer, wenn der Kamin nicht an ist, manchmal muffiger Geruch aus dem Schornstein in die Wohnung drückt.
Überrascht hat ihn, wie viel Dreck so ein Ofen macht – jedes Mal wenn man die Tür aufmacht oder den Aschebehälter leert. Auch die Glasscheiben brauchen regelmäßig Reinigung, sagt Olavo Schneider, da sie sonst verrußen. Und wenn man das Feuer nicht sieht, dann sei ja der halbe Spaß weg.
Schneider jedenfalls will seinen Ofen nicht mehr missen. Das mit dem Heizen funktioniere super. Auch weil sein Ofenrohr nicht direkt in der Wand verschwindet, heize es noch kräftig mit. Zum Beweis springt er auf und guckt auf das Thermometer an der Wand. 23 Grad zeigt es. Das reicht, falls mal wieder die Heizung ausfällt.